Christian Steiffen, die börse Wuppertal, 07.04.2018

Christian Steiffen Wuppertal

die börse in Wuppertal ist eine der Locations, bei denen es richtig Laune macht, ein Konzert zu besuchen. Das Publikum umfasst maximal 800 Leute, die Mitarbeiter an der Bar sind extrem gut gelaunt, die Drinks preiswert und noch zehn Minuten vor Beginn des Konzerts wird vor dem Eingang gemütlich geraucht und gelacht.

Die Crowd, die sich am 7.4.18 für Christian Steiffen dort anfindet, ist bereits auffällig-unauffällig. Das Durchschnittsalter liegt irgendwo um die 30, obwohl einige Zuschauer bereits ihren 50. gefeiert haben dürfen und so nicht erwartet wurden. Der Großteil ist männlich, angetrunken, in Feierstimmung und wahrscheinlich links. Ausverkauft ist die Hütte nicht, aber gut gefüllt.

Um Punkt 20h betritt ein Mann mittleren Alters die Bühne. Nerdig, sehr langweilig angezogen. Nach kurzen Mikrofonchecks, verlässt er die Bühne, das Licht geht aus. Er und Christian Steiffen betreten nun gemeinsam die Stage, hängen eine Leuchtreklame mit den großen Lettern „Ferien vom Rock‘n Roll“ frei und es geht los. Solche Charaktere benötigen keine Vorband. Wie laut hingegen ein paar hundert Menschen sein können, wird schon nach wenigen Sekunden deutlich. Wuppertal rastet einfach mal komplett aus und schreit, als ob es keinen Morgen gäbe. Der Running Gag zeigt sich bereits vor dem ersten Song. Ein Großteil des Publikums ruft „Zugabe! Zugabe!“ und zieht das konsequent nach jedem Track bis zum Finale durch. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein Ritual – da wir aber das erste Mal bei einem Steiffen-Konzert sind, wirkt es erstmal äußerst lustig.

Hardy Schwetter – wie Christian Steiffen bürgerlich heißt – trägt an Klamotten das, was vorzustellen war: braune Schlaghose mit braunem Jackett, weißes Rüschenhemd mit Muster, Sonnenbrille und sexy Boots. Dazu seine gewellten Haare. Eine Koryphäe des modischen Geschmacks Anno 2018. Damit der Zuschauer lang genug was davon hat, behälft Steiffen das Outfit bis zum Ende an, entblättert sich zum Finale aber ein wenig. Nachdem das Jackett aus ist, werden auch die Hälfte der Knöpfe vom Hemd geöffnet. Ein paar Fans aus der ersten Reihe dürfen sogar anfassen. Heiß.

Zurück zu dem Typen vom Soundcheck – Steiffen stellt ihn als Das Original Haseland Orchester vor. Der Multiinstrumentalist sitzt zwar bei der Show nur an zwei Tasteninstrumenten, hat aber dennoch genügend Fans im Publikum, um ebenfalls lauthals angefeuert zu werden. Beide liefern sich einen scharfen und schnellen Schlagabtausch und moderieren zynisch-ironisch durch das Programm. 115 Minuten lang geht die Show und bietet nicht weniger als 21 Songs. Natürlich kommt die Musik größtenteils vom Band, wird aber immer wieder dank kleinen Akustikparts veredelt. Steiffen singt in seiner Basslage durchgehend live und tonal stets auf dem Punkt. Klingt wie von Platte.

Die zwei Stunden ergeben eine Kombination an Elementen, die so selten aufeinandertreffen: zwei schlaue Musiker, die gemeine und witzige Texte präsentieren, untermalt von viel Schlager, einiges an Country, ein wenig Walzer und Calypso. Steiffen wackelt mit der Hüfte und dem Po, macht Moves der Disco-Ära und wirkt einfach so altbacken, dass es schon wieder geil ist. Dazu ein Publikum, das an den letzten Ballermann-Urlaub erinnert, nur in schlauer. Der Alkohol fließt, der Gummi-Flamingo wird in die Luft gehalten, mit Leuchtherzen gewedelt, Sonnenbrillen und Hawaiiketten dienen als Accessoires und es wird so getanzt, als ob niemand zuschaut. Irgendwie haben alle wirklich Spaß und wirken ausgelassen. Selbst die coolsten Typen können jeden verdammten Text auswendig und kommen mit ihrem Bier in der Hand trotzdem authentisch rüber. Endlich darf zu Schlager abgefeiert und gehüpft werden, ohne dass man sich für die eindimensionalen Texte schämen braucht. ENDLICH! Haben wir uns das nicht alle schon mal gewünscht!?

Auf der Hälfte der Show kippt kurzzeitig die Stimmung: Herr Haseland macht eine klare Ansage und weist einige männliche Besucher in den vorderen Reihen zurecht, die es etwas zu gut meinen. Es wird damit gedroht, dass sie das Konzert verlassen müssen, wenn sie die Mädels im Umfeld nicht in Ruhe lassen würden. Tatsächlich wirft der Security daraufhin ein kritischeres Auge auf das ansonsten friedlich wirkende Partyvolk.

Songtechnisch ist mit 21 Nümmerchen die Setlist mehr als vollgepackt. Da dürfen sich andere Solokünstler gern eine Scheibe von abschneiden. Leider fehlt der Dancefloorfiller „Viel zu heiß“ vom zweiten Album. Neue, unbekannte Songs oder Coverversionen sucht man ebenso vergeblich. Dafür ist aber sonst alles Wünschenswerte dabei. Neben Klassikern wie „Ich fühl‘ mich Disco“ (kann HIER auf unserem Instagram-Account bestaunt werden), „Selbstmitleid“, „Eine Flasche Bier“ und „Sexualverkehr“ funktionieren die Tracks vom „Ferien vom Rock’n Roll“-Album ebenso ordentlich. Bei dem Duett mit Eva Schneidereit „Du und ich“ kommt zwar der weibliche Gesangspart vom Band – stattdessen darf aber eine textsichere Frau auf die Bühne und mit dem selbsternannten „Arbeiter der Liebe“ performen, was hervorragend klappt und Hormone in Wallungen bringt. Dazu heißt sie auch noch Eva. OMG!

Fürs Encore hat sich der Osnabrücker noch etwas besonders Feines einfallen lassen: der „Flasche Bier Marsch“ wird genutzt, um mit dem gesamten Publikum eine Polonaise durch die börse zu machen und mal kurz frische Luft zu schnappen. Steiffen ist der Kopf der Schlange, alle anderen watscheln hinterher. Ein Bild für die Götter, das leider mit der Kamera nicht festgehalten werden konnte – Mitmachen war wichtiger.

Für unter 30€ bietet Christian Steiffen mit seinem Ein-Mann-Orchester nicht weniger als zwei Stunden absoluten Spaß, Irrwitz, Irrsinn und klugen Unsinn. Manchmal darf Musik auch einfach nur Bock machen. Eine Mixtur aus Helge Schneider, Udo Jürgens, Dieter Thomas Heck und Guildo Horn, die gefällt. Lassen wir den Alltag doch vor der Tür nationaler Eventhallen und kaufen uns alle stattdessen lieber neue Tickets fürs nächste Konzert. Zugabe! Zugabe!

Und so hört sich das an:

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https://www.youtube.com/watch?v=f3tfyk2X1y4

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Fotos von Christopher F.

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