Crack Ignaz – Sturm & Drang

Cover von Crack Ignaz "Sturm & Drang".

Weg mit der Rationalität, lang lebe die Emotion! Ganz getreu Herders einflussreichem Mantra – „Die Stimme des Herzens ist ausschlaggebend für die vernünftige Entscheidung  – richtet Crack Ignaz sein viertes Solo-Album „Sturm & Drang“ nach den Signalen, die seine Intuition und seine Gefühle ihm vermitteln. Ein konzeptuelles Rap-Album über die Liebe: Darf das vor Kitsch triefen?

Die Antwort Ignaz’ lautet eindeutig: Ja! Getreu der Anti-Traditions-Haltung der literarischen Gattung des Sturm und Drang wendet sich der Österreicher deshalb gegen die konsumgetriebene Ausrichtung des Rap-Mainstreams und taucht die zwölf Songs seines neuen Werkes tief in den brodelnden Whirlpool der Liebe. Diese selten klassischen Love-Songs verpackt der Rapper in eingängige, organisch anmutende Trap-Gewänder. Eskalative Parties werden diese nur selten entfachen. Dafür stehen Atmosphäre und Soul zu sehr im Vordergrund. „Ave Manie“ beispielsweise legt unter sein dünnes Drum-Konstrukt ein sphärisches Soul-Instrumental, das nur vereinzelt von scharf gespieltem Bass durchschnitten wird. „Bipolar“ arbeitet dahingegen vor allem mit breiten Soundflächen. Die können jedoch selbst die knatternden 808s nicht in Richtung Turnup geleiten.

„Sie wollen alle dein Herz und das nur weil ein Hawara fame ist.“

Die Texte offenbaren gleichsam: Ignaz blickt keinesfalls durch eine rosarote Brille auf zwischenmenschliche Liebesbeziehungen hinab. Eher scheint der Österreicher der zentralen Literaturform des Sturm und Drang, dem Drama, entsprechend eine Trennung zu verarbeiten: Er schreibt über Sehnsüchte, über Fehltritte, über empfundenen Schmerz. Zusätzlich verzahnt der Rapper diese Gefühlswelten mit eindeutigen Mental-Health-Hilferufen. Plakative Ausrufe wie „Ich müsst’ schon lang in Therapie“ („Bipolar“) fallen in der Starke-Männer-Welt des deutschsprachigen Hip-Hop zusätzlich aus dem Muster. Weg von den etablierten Idealbildern! In „Bist du echt“ bekommt das wiederum einen schizophrenen Beigeschmack, wenn Ignaz K. über flirrendem Synthie-Motiv die zumindest zum Teil durch die Rolle als Musiker ausgelöste psychische Belastung reflektiert und sich selbst nicht mehr ausmalen kann, ob seine Erwählte auch wirklich ihn oder nur ein Abbild seiner Künstlerfigur begehrt.

Der Vortrag von „Sturm & Drang“ machen ebenfalls stutzig: Als verwaschenes Deutsch sprechender Rheinländer hat man zumeist keinerlei Schwierigkeiten den Erzählungen zu folgen. Das liegt daran, dass Crack Ignaz erstmals auf dialektfreie Sprache zurückgreift und auf den Salzburger Sprech verzichtet, der seine Musik sonst derart prägte. Auch diese neugewonnene Klarheit passt zu der konzeptuellen Ausrichtung am Sturm und Drang, der immer für seine direkte Ausdrucksweise stand. Nur an wenigen Stellen wird mit all diesen Reglements gebrochen: „Ähä“ versucht sich daran, der direkte Nachfolger von Yung Hurns „Nein“ zu werden und öffnet in dem Zuge kurz die Tür für den markanten Dialekt, droht für einen kurzen Moment jedoch ins Nervtötende abzurutschen. Auch musikalisch bietet die kahle Steppe mit Namen „Atmosphäre“ zwei Oasen des Turnup: „Herzschmerzgang“ als Hymne für alle verlassenen Seelen sowie „Sportschützenverein 5020“ mit seinem niemals still stehenden Synth-Bass und hektischen Drums.

Denke groß

„Firn“ knarzt mit seinem deftigen Bässen nicht weniger und demontiert die Formel mit seiner englischsprachigen Hook – gesungen von den Iren Hare Squead – weiter. Neben dem Sound, der tatsächlich offener und organischer ist als vieles im deutschsprachigen Hip-Hop, den europäischen Metropolen – Rom, London, Wien, Berlin –, in denen an der Platte gearbeitet wurde, und der Beteiligung des italienischen Produzenten BVRGER ist das nur einer von vielen Belegen dafür, dass Ignaz seinen „Sturm & Drang“ international und groß denkt. Und damit erneut den bestehenden Traditionen widerspricht.

Wenn Ignaz zum Schluss in „Zufällig“ fragt, ob seine Ersehnte down mit ihm ist, dann bleibt auch als Zuhörer*in kaum anderes übrig, als jede Zeile, jedes Wort so zu fühlen als mache man ähnliche Qual durch. Das liegt zu großen Teilen auch daran, dass Crack Ignaz bei all den tiefergreifenden Vorhaben niemals gefühlvolle Melodieführungen aus dem Blick lässt. Gerade Songs wie dem berührend-traurigen „Flaschenpost“ versetzt das den letzten Schubs hin zum Hit. „Sturm & Drang“ erfüllt insofern nicht nur die Kerncharakteristika der historisch prallvollen Epoche der gleichnamigen Literaturgattung, sondern hält gleichsam gutes Songmaterial bereit. Ein Kunststück.

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