Credibil – Semikolon

Credibil - Semikolon

Der allererste Song, den ich von Credibil hörte, war eine radikale Abrechnung mit seinem Vater. Nach 5 Minuten und 16 Sekunden fühlte ich mich, als sei ich selbst ohne liebenden Vater aufgewachsen und würde seit 27 Jahren mit dem unfassbaren Schmerz einer verletzten Kinderseele durchs Leben stolpern.

Seit diesem Moment führen Credibils Musik und ich eine klassische Fernbeziehung: Wenn sie vor meiner Tür steht, falle ich ihr in die Arme, wir legen uns in Löffelchenstellung zusammen ins Bett und sinnieren über den Unsinn des Lebens. Und dann, irgendwann, wenn die Nähe zu viel wird und man Küssen vor dem Zähneputzen nicht mehr romantisch findet, schiebe ich sie aus der Tür raus und denke mir beim Zumachen so: „Eigentlich passen wir gar nicht zusammen.“

Und doch hab ich Credibils Musik auch diesmal wieder liebevoll die Tür geöffnet. Und sie hatte ein Geschenk dabei: Semikolon.

Der neue Album-Titel des Frankfurter Rap-Philosophen hat mich direkt in freudige Erwartung versetzt, klingt „Semikolon“ doch nach einer vertraut verkopften Platte mit lyrischem Tiefgang und zähem Durchwühlen sämtlicher Gefühlswelten. Das Intro verstärkte meine Vermutung: Eine Sprachnachricht seiner Mutter. Man muss kein Türkisch können, um zu verstehen, dass es in dieser Nachricht nicht um Baklava geht. Ein rührender Auftakt, der mich in wohlige Emotionen hüllt – um diese dann mit dem Hochdruckreiniger gewaltsam abzuschrubben. Denn spätestens ab dem zweiten Song wird klar: Credibils Musik hat sich radikal verändert.

Das bezieht sich zum einen auf das Soundbild. Im Gegensatz zu Renæssance oder Molokopf ist Semikolon nun von elektronischen Beats und hin und wieder auch von Autotune-Hooks geprägt. Inhaltlich ist „Semikolon“ wesentlich fröhlicher, unbeschwerter, aktueller. „Solang sich’s dreht“ ist exemplarisch für den neuen Credibil-Stil: Inhalt, der sich nicht aufdrängt, gepaart mit eingängigem Beat und Hooks, die man schnell mitsingen kann. „Wenn du willst“ oder „Was du nicht siehst“, einem Featuresong mit MoTrip, klingen wundersam erfrischend und ungewohnt lässig. Doch meine Suche nach einer tiefergehenden Message steht noch aus.

Vielleicht muss ich mich einfach damit abfinden: Auf Semikolon hat Credibil seine Emotions-Bazooka zur Seite gelegt und sich eine neue Waffe gesucht. Stellenweise klingt Semikolon wie eine wilde Messerstecherei auf der Suche nach einfachen Treffern, wie der Song „Hallo“, der schnell eintönig wird. Zwischendurch dann wieder Tracks wie „Bahnhof“ oder „Frankfurter Schule“, deren Rapparts zeigen, welches unglaubliche Talent in Credibil steckt und welcher Hunger nach wie vor in ihm schlummert.

Alles in allem ist Semikolon eine solide Platte, der Sound ist aktuell. Für mich, als jemand, der Credibil vor allem für seine emotionalen Tiefgänge liebt, ist das Album dennoch gewöhnungsbedürftig. Deshalb habe ich mich entschieden, die Fernbeziehung mit seiner Musik vorerst zu beenden. Dafür machen wir jetzt Freundschaft-Plus mit Option auf Hochzeit, wenn in die nächste Platte rauskommt. Semikolon Klammerzu.

Und so hört sich das an:

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https://youtu.be/quYX__Uamsw

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Die Rechte für das Cover liegen bei Sony.

 

 

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