Alligatoah, Lanxess Arena Köln, 15.09.2019

Hereinspaziert, hereinspaziert – und willkommen im Anwesen des feinen Herrn Gatoah, dem Hotel Kallifornia. In die gut gefüllte Lanxess Arena, in der jüngst noch bekannte Größen wie die Backstreet Boys oder Ariana Grande spielten, hatte der Rapper, Sänger, Musiker, Schauspieler und Vollblut-Entertainer Alligatoah am vergangenen Sonntag geladen. Ein musikalisches Fest der Unterhaltung und des Amusements, das im Zuge seiner großen „Wie Zuhause“-Tournee eigentlich schon im Januar hätte stattfinden sollen. Aber Lukas Strobel – wie der Mann hinter der Kunstfigur (hust, oder den Kunstfiguren?) Alligatoah mit bürgerlichem Namen eigentlich heißt – war kurz vor Abschluss seiner Tour erkrankt und musste unfreiwillig mit seinem Bett vorliebnehmen.

Am vergangenen Herbstsonntag, der durch und durch mit strahlendem Sonnenschein übersät war, sollte es nun also nach geschlagenen 8 Monaten soweit sein: Nachdem pünktlich wie die Maurer um 19:30 Uhr Rapper und Reggae-Liebhaber GReeeN den schmalen Steg vor der mit schwarzem Vorhang abgedunkelten Bühne betreten hatte und die (für Deutschrap-Konzerte viel zu überdimensionierte) Halle mit seinem seichten Laid Back-Reggae-Rap eine halbe Stunde lang in Stimmung zu bringen versuchte, fiel nach nur wenigen Minuten Umbauzeit auch schon der schwarze Schleier. Die Sicht wurde freigegeben auf einen weiteren Vorhang, der die Blume des Artworks von Alligatoahs jüngster Platte „Schlaftabletten, Rotwein V“ zeigte. (Die Review zu der Platte findest du hier.)  Aus dem Kopf der Blume ragte dabei – für Fans der ersten Stunde sehr erfreulich – das mit Sturmhaube bekleidete Gesicht von Alligatoahs „früherem“ Terroristen-Alter Ego, das im Schnelldurchlauf ein Snippet aus älteren Hits des Rappers herunterratterte.

Kurz darauf fiel aber auch dieser Vorhang und gab den Blick frei auf die gewaltig-imposante Kulisse des Abends. Denn Alligatoah hatte seinem Tourplakat (siehe hier) alle Ehre gemacht und im Zuge seiner „Wie Zuhause“-Tour ein zweistöckiges, mobiles Hotel – das Hotel Kallifornia – errichten lassen. Auf dessen Balkon residierten nicht nur Drummer und DJ, die – wie alle anderen Band-Mitglieder – in gelbe Bademäntel gehüllt waren, auch die Hotel-Räume wandelten sich hier situationsangepasst wie Tischlein-Deck durch eine aufwändige Drehtür-Konstruktion – und vermutlich Dank einiger fleißiger Helferlein im Bühnenhintergrund.

Mit Einstiegskrachern wie “Alli-Alligatoah“, “Wer weiß“ und “Ein Problem mit Alkohol“ stellte der 29-Jährige seine Entertainer-Fähigkeiten in quietschgelbem Anzug samt Hosenträgern und Hut unter Beweis. Unterstützung erhielt er dabei von seinem langjährigen Back-Up und Weggefährten BattleBoi Basti, der im Laufe der Tour als Pagenjunge LiftBoi Basti („Manche behaupten, dass er das 10fache von seinem eigenen Körpergewicht wiegt…“) in Erscheinung trat. Kompromisslos unter seinem Gebieter ließ er sämtliche Witze auf seine Kosten über sich ergehen, animierte das Publikum fleißig zum Mitklatschen und verzog das Gesicht situationsgebunden wie Mr. Bean zu seinen prominentesten Zeiten.

Stets mit einer kleinen Anekdote einleitend führte Alligatoah durch den musikalischen Abend, der vor allem mit Songs seines aktuellen Albums gefüllt war. Obwohl der Innenraum der Lanxess-Arena deutlich mehr Zuschauer fasst, als es für ein gewöhnliches Deutschrap-Konzert mit Arm-Wipp-Bewegung üblich ist, entstanden in den Publikumsreihen während Songs wie „Lass liegen“, später aber auch während der Hardrocklastigen Tracks „Terrorangst“ und „Hass“ einige Moshpits sowie Tornados, die von Alligatoah liebevoll und anerkennend „Interessengemeinschaften“ getauft wurden und die Stimmung antrieben.

Obwohl die Band des Abends nahezu lupenrein performte und auch – die Arbeit von guten Tontechnikern finden in Rezensionen leider nur selten ein lobendes Wort – untereinander sehr gut aufeinander abgestimmt war, kratze der allgemeine Hallensound für ein gesundes Ohr schon deutlich zu sehr an der Lautstärkegrenze. Für einen baldigen Hörsturz hätte wohl nur noch ein My gefehlt. Doch leider begünstigte die immense Lautstärke, dass die Gesangspassagen des an einigen Stellen etwas an der Tonhöhe vorbeirutschenden Lukas Strobel noch deutlicher zum Vorschein traten. Vor allem die höheren Lagen fielen dem gebürtigen Niedersachsen hörbar schwer, sodass er an vielen Passagen eine sichere tiefe Ausweich-Gesangsmelodie wählte. Doch zugegeben: Ein Meckern auf hohem Niveau, das der Stimmung keinen Abbruch tat.

Seis drum. Denn Alligatoah bot Variation: Vom „Trauerfeierlied“ über „Namen machen“, das er mit Elvis Presleys „In the Ghetto“ kombinierte, bis hin zur Performance von Werbejingles und einer instrumentalen Version von „Meine Hoe“ auf die Akkorde von „Willst du“, zog das Trailerpark-Mitglied so einige Trümpfe aus seinem Zauberhut. Sogar ein feuchtfröhlicher „Striptease“ gehörte zum Abendprogramm: Denn der 29-Jährige entledigte sich gleich mehrfach seinem engen Zopfgummi, um seine Man-Bun-Prachtmähne herumwirbeln zu können – und erntete hierbei jubelnden, fast schon lasziven Applaus.

Trotz wunderbarer zweistöckiger Hotel-Kulisse, musikalischen Darbietungen und theatralen Inszenierungen, die den Abend in der Arena bereicherten, machte sich an vereinzelten Stellen aber auch eine gewisse Langatmigkeit während des Konzerts bemerkbar. Insbesondere während der Ansprachen zwischen dem Sets wurden Gags herausgezögert, Bewegungen verlangsamt und bis zur letzten Sekunde ausgespielt. Und das, obwohl die Song-gierigen Zuschauer des Abends nur gebannt auf weitere Tracks ihres Lieblingsinterpretens warteten. Man könnte fast meinen, Alligatoah mutierte an vielen Stellen zu einem leicht verwirrten Helge Schneider der Rapmusik!

Der Höhepunkt der benannten Langatmigkeit machte sich vor allem bemerkbar, als Alligatoah nach drei Zugaben („Nicht wecken“, „Willst du“ und „Wie Zuhause“) die Mitglieder seiner Band eine halbe Ewigkeit und in fünffacher Wiederholung verabschieden ließ. Sicher, das ist eine nette Geste seiner Band gegenüber! Der Zuschauer aber, der nun noch gespannt auf einen allerletzten abschließenden Song des 29-Jährigen wartete, wurde allerdings bitter enttäuscht. Denn wer glaubte, Alligatoah würde noch einen Song wie „Amnesie“, „Narben“, „Es regnet kaum“ oder „Rabenväter“ feat. BattleBoi Basti zum Besten geben, irrte. Nach einer gefühlt 20-minütigen Verabschiedung und einer unersättlichen Klatsch-Tirade, war der Konzertabend schließlich beendet. Schade eigentlich, denn das kam nun wirklich sehr abrupt!

Dennoch: Alles in allem war Alligatoahs Nachholkonzert in der Lanxess Arena, trotz meiner kritischen letzten Worte, durch die Bank ein voller Erfolg! Die Erinnerung an eine knapp zweieinhalbstündige Show mit beeindruckendem Bühnenbild, großartiger Live-Band und einem Interpreten, der gemeinsam mit seinem Back-Up eine Menge Spaß auf der Bühne hatte und gute Laune transportierte, ließ die Zuschauer an dem milden Sonntagabend fröhlich und mit einem Strahlen auf den Lippen die Konzerthallen verlassen. Da Alligatoahs Band Trailerpark nun für kommenden Sommer ihre Trennung bekanntgegeben hat, bleibt zu hoffen, dass Alligatoah sich anschließend wieder vermehrt eigenen Projekten und Veröffentlichungen widmen wird. Bis dahin bleiben wir gespannt und hören die vergangenen Alben in Dauerschleife!

Und so hört sich das an:

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