Céline Dion – Courage

Die Zeit der großen Gesangsdiven ist irgendwie vorbei. Die 90er boten mit Whitney Houston, Mariah Carey und Céline Dion gleich mehrere Sängerinnen, bei denen sich stets darum gestritten wurde, welche nun die beste weltweit sein mag. Zwar hatten Cher, Tina Turner oder Madonna auch ein Wörtchen mitzusprechen, sorgten aber eher für eigene Akzente im Pop/Rock-Bereich statt für wuchtiges Soul-Balladen-Belting. Whitney Houston hat sich durch unliebsame Zustände komplett ruiniert und letztendlich dem Tod in die Augen blicken müssen; Mariah Carey ist seit mindestens zehn Jahren kaum noch ernst zu nehmen und leistet sich ein Debakel nach dem nächsten.

Céline Dion ist also die einzige Überlebende der Riege. Zwar gab es 2016 mit dem qualvollen Tod ihres Ehemannes, mit dem sie über 20 Jahre verheiratet war, und dem nur zwei Tage später folgenden Tod ihres älteren Bruders einen wirklichen emotionalen Tiefschlag – karrieretechnisch ist aber ein Abbruch zumindest auf internationaler Ebene nicht bemerkbar. Stattdessen darf die 51-jährige Kanadierin die erfolgreichste Konzertshow aller Zeiten ihr Eigen nennen – ihre 16 (!) Jahre andauernde Las Vegas-Show hat mal eben läppische 681 Millionen Dollar eingesackt. Kann man machen. Gerade Kanada und Frankreich können sich an ihren Alben nicht satthören und machen aus jeder Veröffentlichung mindestens Gold, tendenziell aber mehrfaches Platin. Nur Deutschland hat Céline etwas über. Hier ist die letzte Veredlung schon 16 Jahre her. Der letzte Top 20-Hit genauso.

Das soll sich mit dem ersten englischsprachigen Album seit 2013 wieder ändern. Courage will es wissen und bietet gleich 20 Titel auf der Deluxe-Ausgabe. 70 Minuten Céline. Was sich für den einen anfühlt wie eine viel zu lange Durststrecke, die nun im großen Umfang ein Ende findet, klingt für den anderen wie eine Stunde Geisterbahn. Leider hat nach mehrmaligem Durchhören Gruppe Zwei eher recht.

Ein harter Vergleich, aber ein Großteil des neuen Longplayers klingt gar nicht so anders als das noch aktuelle Helene Fischer-Album. Nur eben auf Englisch. Helene ist bekanntlich auch nicht die schlechteste Sängerin, gönnt sich gute Produzenten und Songschreiber und weiß, bereits längst etablierte Musikstile so kommerziell zu verkaufen, dass sie generationenübergreifend Anklang finden. Kreativ und innovativ ist zwar anders, aber letztendlich klingelt die Kasse pausenlos. Genau dieses Konzept kommt bei Courage viel zu deutlich durch und ballert einem konsequent uninspirierten Pop um die Ohren. Die Zeit, in der Céline zwar stets kitschige, aber irgendwie doch gute Songs zu bieten hatte, scheint weit, weit her.

Ganz besonders das Opening „Flying On My Own“ ist echt gruselig. David Guetta-Technobeat und Autotune. Hätte vor sieben Jahren ein Hit werden können, klingt jetzt einfach nur unerträglich und peinlich. Lustigerweise ist David Guetta selbst an einem Song beteiligt – und dazu an einem der wenig wirklich gelungenen. „Lying Down“ ist das, was man von Céline hören will. Ausdrucksstarker Gesang, dramatisch, viel Moll mit Großleinwand-Refrain und Orchester. Reiht sich problemlos in ihre Classics ein. Gleiches gilt für das leicht groovige „Imperfections“ mit Ohrwurmfaktor, Fingerschnipsen und angenehmer Atmosphäre.

Ein wesentliches Problem liegt im Songwriting. Viele Köche verderben den Brei. Jeder Song ist von ungefähr drei Personen geschrieben und produziert. Kaum ein Team wiederholt sich. Ordentlicher Verschleiß. Natürlich darf auch die Melodiekönigin Sia ans Werk. Gleich dreimal will Miss Furler ihr Talent zeigen, was immerhin für gute Momente sorgt, sich aber so langsam auch abgenutzt hat. So klingt „Heart Of Glass“ eben nach Sia, vieles andere nach Leona Lewis, einiges nach Sam Smith und nichts wirklich nach Céline Dion. Gesanglich ist selbstverständlich weiterhin erste Güte geboten – aber auch nur technisch. Emotional wirkt die Sängerin so kalt und abgeklärt wie selten zuvor und erreicht nahezu nie das Herz.

Das größte Manko: die Texte. Die toughe, selbstbewusste Frau möchte tanzen, als ob keiner zuschaut („Nobody’s Watching“), sich loslösen von Enttäuschungen („I Will Be Stronger“), bleibt aber am Ende doch bei ihrem Mann, ohne den nix zu gehen scheint („Falling In Love Again“, „Say Yes“). Hausfrauenpsychologie, Kalendersprüche, Wandtattoos. Eben Helene Fischer-Style. Wer bis zum großen Finale durchhält, wird mit doch einer kleinen Überraschung belohnt: „Perfect Goodbye“ bekommt das Explicit-Siegel. Mitten im Refrain singt Céline „Shit“. Wie frech! So ist also die feine Dame von Welt anno 2019. Ein Luder quasi. Trotzdem sorgt „Perfect Goodbye“ für ein Highlight auf der Platte dank Tragik und einem Hauch von Weihnachtsstimmung.

70 Minuten sind aber entschieden zu viel des Guten. Ach. Überraschung. Céline Dion erstickt auf ihrem neusten Album ihr Können durch Quantität, möchte ihre Genrewandelbarkeit unter Beweis stellen und wirkt dabei unglaublich bieder und steif. Mehrere Titel haben fast den gleichen Anfang und sind Abziehbilder. Hier und da holen ein paar Treffer den gelangweilten Hörer aus dem Trott und zeigen, dass mehr möglich ist, aber die große Zeit der 90s-Diven vorbei und Céline von einer neuen Generation wie Adele, Jessie J oder auch Ariana Grande nicht nur eingeholt, sondern bereits überrundet wurde.

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