Frank Carter & The Rattlesnakes – End Of Suffering

Frank Carter - End Of Suffering

Frank Carter wird am 27. April 1984 geboren – seitdem sind knapp 420 Monate, 1826 Wochen, 12.784 Tage vergangen. Von seiner privaten Geburtstagszelebration in der letzten Woche berichtete der nun 35-Jährige Musiker die Tage ausführlichst über sein Instagram-Profil, das häufig tiefe Einblicke in das Privatleben des ehemaligen Gallows-Frontmanns gibt. Die Charakterentwicklung des einst so berüchtigt furchteinflössenden Sängers scheint jedoch auch auf dem Weg zur großen vier nicht Halt zu machen: „End Of Suffering“ schimpft sich das dritte Studioalbum, das gemeinsam mit seiner Backingband den Rattlesnakes erscheint, und präsentiert Carter von seiner bislang empfindsamsten und nahbarsten Seite. In den letzten Jahren beschäftigte sich der einst so wütende Rotschopf gründlicher mit der Gesellschaft und den tief in dieser verwurzelten Geschlechterrollen, die die in ihr lebenden Menschen in ein Korsett aus Erwartungen, Vorurteilen und Begrenzungen zwängt. Die Unzufriedenheit mit diesen häufig simplen Kategorisierungsprozessen sowie in den letzten Jahren anhaltende psychische Probleme führten nun zu einer inhaltlich mit offenen Karten spielenden Platte, die auf persönlichem Weg mit Carters eigener Gefühls- und Lebenswelt abrechnet – und damit sogar die Möglichkeit eröffnet, etwas bewegen zu können.

Schon der Opener „Why A Butterfly Can’t Love A Spider“ steht in vielerlei Maß repräsentativ für das, was Carter und seine Kollegen auf ihrem dritten Langspieler abliefern. Der Gesang – ja, der Frontmann schreit kaum noch – klingt filigran und kunstvoll und die Instrumente grooven mehr als auf die Fresse zu geben, können im Mittelteil jedoch auch punkig nach vorne treiben. Dann wär da noch der Text, der in metaphorischen Zeilen Carters Gefühlswelt zu seinen schlechtesten Zeiten thematisiert. Die Power-Ballade „Anxiety“ schnappt sich diese düsteren Emotionen und wendet sie ins Positive – Menschen mit Angstzuständen sind weder Einzelfälle, noch müssen sie immer in den eigenen Problemzeiten gefangen bleiben. „Crowbar“ (zu deutsch: Brecheisen) setzt dahingegen am anderen Ende an und beschäftigt sich genau mit diesen gesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen, die es aufzubrechen gilt. Das selbstverständlich mit einem Brecheisen.

Auch die sehr persönlichen Momente misst „End Of Suffering“ nicht. So ist „Heartbreaker“ ein gefühlsgeladenes Liebeslied, das die indirekte Zuneigung in einer Beziehung – die Empfindung jemand denke an einen – und den Persönlichkeitswandel, den Liebe hervorrufen kann, beschreibt. Als emotionaler Schluss- und Höhepunkt steht der Titeltrack, über dessen Klavier- und Akustikgitarren-Fundament Carter seine von Depressionen geplagte Beziehung zu seiner kleinen Tochter behandelt. Dass die aufgeweckte junge Dame zum Ende des Songs dann noch einen kleinen Gastauftritt bekommt, macht den Song zu einer noch nahegehenderen Angelegenheit. Die Angriffsfläche, die Carters offener Vortrag über sein Leben und seine Probleme offenbart, wird durch den bewussten Verzicht auf Krach und Geschrei noch weiter vergrößert: Selbst rifflastigere Songs wie „Tyrant Lizard King“, „Kitty Sucker“ und das lyrische Lustspiel „Latex Dreams“ stellen eher lässige Rockgesten dar und gehen die viel zu wichtigen Themenkomplexe eben nicht mit flotten Punk-Parts und Wut – davon bot Frank Carters Karriere bislang ja auch ausreichend – an.

Frank Carter möchte der Zuschreibung als der berüchtigt cholerische Rotschopf entfliehen und auch als nahbares, reflektiertes Wesen mit Gefühlen wahrgenommen werden. „End Of Suffering“ stellt den nächsten Schritt in diesem langsamen Entwicklungsprozess dar, der nicht nur persönlichen Wert hat, sondern auch die Macht besitzt, gesellschaftliche Bilder aufzubrechen. Was vor einigen Jahren auf den Konzerten des Briten in Form von Ansprachen, Frauen-Moshpits und Safe-Spaces begann, überträgt sich nun endgültig auch in dessen Musik, die eingängiger ausfällt und deshalb breitere Gesellschaftsschichten erreichen kann, jedoch stets die eigenen Qualitäten im Blick hat. Damit sind Frank Carter & The Rattlesnakes vielleicht bald eine der populärsten Rock-Bands der aktuellen Generation – und eine der wichtigsten ebenso. Auf weitere 35 Jahre!

Das Album „End Of Suffering“ kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

Website / Facebook / Twitter / Instagram

Die Rechte für das Cover liegen bei International Death Cult.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.