Marteria & Casper, König-Pilsener-Arena Oberhausen, 16.11.2019

Als die beiden deutschen Rapper Marteria und Casper am 31. August 2019 gleich neben dem Essener Baldeneysee auf die Bühne spazieren ist die Welt noch in Ordnung. Der Tag hatte fantastisches Wetter gebracht, Schiffe tuckerten über den Ruhrstausee und schon früh waren tausende Menschen auf das weitläufige Gelände geströmt, um dem Auftritt der beiden Superstars entgegenzufiebern. Rapperin Nura – ursprünglich eine Hälfte von SXTN – hatte eine halbe Stunde lang für gute Laune und Tanz gesorgt. Das Konzert der beiden Hauptacts sollte jedoch ebenfalls nur 30 Minuten andauern. Wind und Wetter machten Besuchern, Musikern und Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung. Technik wurde beschädigt, ein Teil einer LED-Wand stürzte hinab. Einige Besucher wurden dadurch verletzt. Die beiden Künstler gingen mit der Situation so durchdacht wie nur möglich um, hielten sich mit frühen Spekulationen zurück und verfassten öffentliche Statements gemeinsam. Man arbeite an Ersatzterminen, würde diese aber erst spielen, wenn es allen Leidtragenden wieder gut ginge, hieß es da bereits. Nur wenige Wochen später – zum Glück scheint die Genesung aller Verletzten voranzuschreiten – gab man wiederum bekannt, dass für Mitte November eben jenes Nachholkonzert stattfinden solle. Aus Open-Air wurde nun wetterbedingt eine Arena in der Nachbarstadt, aus einer Show aus Kapazitätsgründen zwei. Nun stand das erste der zwei Konzerte, den zunächst letzten gemeinsamen Konzerten der zwei Rapper, in der Oberhausener König-Pilsener-Arena an.

Aus Nura werde Tarek K.I.Z.

Statt Nura darf heute Tarek K.I.Z. für das Warm-Up sorgen, der seinen allerersten Solo-Auftritt ablegt. Dafür liefert der Mittdreißiger ordentlich ab. Kein Wunder: Mit seiner Hauptband K.I.Z. konnte der Berliner bereits die Luft des großen Erfolgs schnüffeln. Neben wenigen K.I.Z.-Klassikern  spielt der Rapper eine Handvoll neue Songs von seinem Ende Januar erscheinenden Solo-Debüt „Golem“ – ein Teil davon hat noch nicht die Weiten des Internets und der Musikvertriebe erblickt. So richtig ausgelassene Stimmung möchte jedoch noch nicht aufkommen, auch wenn der „nubische Prinz“ nach seinen Darbietungen immer lautstarken Applaus einfordert und ansonsten Ansagen raushaut, die so asozial sind, dass „die Oma schockiert ist“.

Zeit für Abriss

Als nach dreißigminütiger Umbaupause die zwei Gastgeber nacheinander die Bühne betreten, ist konträr dazu gleich für die perfekte Stimmung gesorgt. Nach dem melancholischen Intro „1982 (Als Ob’s Gestern War)“ fällt der Vorhang und es gibt kein Halten mehr. Die Ränge stehen sofort, der Innenraum verwandelt sich in einen riesigen Moshpit. Obwohl die Show eigentlich für Open Airs arrangiert wurde, funktioniert sie auch im Arena-Set-Up wunderbar. Da wäre zum einen die Dramaturgie, die stimmt. Die verstörenden Dystopie-Songs „Willkommen In Der Vorstadt“, „Bengalische Tiger“, „Sirenen“ und den bestialischen „Adrenalin“-Remix – im Verlauf des Abends spielen die beiden den Songs gleich zwei mal – performen Marteria und Casper in einem Rutsch. Dabei tragen sie schwarze Hoodies, im Hintergrund setzen sich auf der riesigen Leinwand bedrohliche Welten zusammen. Zuvor standen die Musiker auf einem großen Monstertruck im hinteren Hallendrittel – liebevoll wird das Ungetüm „Monsti“ genannt – und spielten dort in „1982“-Merchandise, so tauft sich die gemeinsame Platte, ein kurzes Party-Rap-Set. Solche thematisch und stimmungsmäßig zusammengehörende Show-Parts gibt es immer wieder.

Da wäre zum anderen die abgestimmte Mischung aus Rock-, Pop- und Rap-Show. Marteria und Casper belassen es nicht dabei ihre Songs plump abzurufen, sondern greifen immer wieder auch auf alternative Versionen und Remixe zurück. „Alles Verboten“ rappt Marteria über Deichkind-Beat, „Adrenalin“ bekommt einen The Prodigy-Anstrich und „Bengalische Tiger“ greift auf einen Kanye West-Beat zurück. Daneben steht das Auftreten der beiden Künstler, die die Menge immer wieder dazu motivieren, noch mehr Energie aus sich herauszuholen. Ganz Rockstar-Like stehen hier zwei charismatische Führungspersonen mit Chemie auf der Bühne. Momente wie während „Denk An Dich“, zu dem sich die ganze Halle in ein riesiges Lichtermeer verwandelt, oder das ausgedehnte Gitarren-Solo in „Omega“ fühlen sich wiederum ganz nach großer Rock-Produktion an.

Apropos Produktion. Die weiß ebenfalls zu beeindrucken, ist immer schlicht gehalten und protzt nicht, weiß aber gerade deshalb effektiv zu wirken. Hinter den Rappern werden zumeist simple Animationen projektiert. Nur selten sieht man die Künstler auf der LED-Wand. Leider fällt der Auftritt für eine Produktion dieser Größenordnung relativ kurz aus. Knapp 95 Minuten stehen Marteria und Casper auf der Bühne. Von den Solo-Auftritten der beiden ist man da anderes gewöhnt.

Zurück zu der so tragisch geendeten Show in Essen im Spätsommer. Unaufmerksame Besucher würden nichtmal Kenntnis davon nehmen, dass es sich heute um ein Nachholkonzert handelt. Auf lange Ansagen zu den Geschehnissen verzichten die zwei Künstler. Fans müssen sich mit einem „Schön, dass so viele Leute hier sind, die beim letzten Mal dabei waren“ an der Stelle im Set, an der damals abgebrochen werden musste, und einem kurzen „Wir haben uns Essen zurückgeholt“ zum Schluss zufrieden geben. Das ist vielleicht auch besser so. Lieber unterschwellig das Schöne zelebrieren als auf dem Traurigen herumzureiten.

Das Album „1982“ kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

Marteria: Website / Facebook / Twitter / Instagram

Casper: Homepage / Facebook / Twitter / Instagram

Marteria & Casper live 2019:

17.11. – Oberhausen, König-Pilsener-Arena

Foto von Jonas Horn.

 

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