Provinz, Juicy Beats Park Sessions Dortmund, 12.09.2020

Provinz

So langsam neigt sich der Zero-Festivalsommer dem Ende zu. Dem entspannten Urlaubsfeeling, das einem sonst bei Veranstaltungen wie dem Juicy Beats um die Nase fliegt, kamen die Corona-konformen Park Sessions dafür aber verdammt nah. Mit einem sehr abwechslungsreichen Line-up boten die Veranstalter*innen über mehrere Wochen hinweg im Westfalenpark einen mehr als gelungenen Ersatz, viele Veranstaltungen waren ausverkauft. Natürlich standen auch die Newcomer des Jahres auf dem Plan: Erst diesen Sommer veröffentlichten Provinz ihr Debüt „Wir bauten uns Amerika“, doch eigentlich war schon im Vorfeld klar, dass diese Band ganz schnell ganz groß wird. Unzählige ausverkaufte Auftritte in ganz Deutschland untermauern das jetzt – und das Quartett liefert auch live ab.

Spürbar Luft nach oben

Im wunderschön beleuchteten Westfalenpark haben sich die Veranstalter*innen wirklich mächtig ins Zeug gelegt: gemütliche Sitzgelegenheiten werden mit Getränkekästen in die richtigen Sicherheitsabstände gerückt, die Bühne ist klein aber mit der passenden Belichtung ausgestattet, der Sound super abgemischt, Ein- und Ausgangskontrollen funktionieren sicher und zügig. Seitens der Organisation also alles top und für die Helden des Abends darf es dann um 20 Uhr auf die Bühne – nach einer kurzen Erinnerung, die Masken immer anzuziehen, sobald der Platz verlassen wird. Kaum posaunt Frontmann Vincent Waizenegger „Macht Platz für uns“, scheint ihr Anspruch auf den Indie-Thron des Jahres doch sehr zwingend und überzeugend, so gewaltig ist die Instrumentierung, so verbindlich die Emotionalität. Das Publikum saugt diese Intensität förmlich ein, entlädt sie in einer großen Party, jubelt, singt, tanzt und scheint für die kommenden 70 Minuten dem Corona-Wahnsinn zumindest mental entflohen zu sein. Die Masken werden natürlich beim Aufspringen aufgelassen. Was hier passiert, hat aber so ein hohes Niveau, dass es schon jetzt in ganz anderen Dimensionen funktionieren würde. Auch ohne nachhelfen.

Von den großen Gefühlen aus der kleinen Stadt

Provinz machen Musik für junge Menschen. Für Coming-of-Age-Filme, für Roadtrips mit Freund*innen, für die Träume von der Freiheit nach den Teenagerjahren im Dorf. Kein Wunder also, dass der Altersdurchschnitt sehr jung bleibt. Doch das Songwriting-Level funktioniert auch für andere Generationen, traut sich die ganz eloquenten, bedächtigen Momente zu („Wir bauten uns Amerika“), feiert ausgelassene Partys („Diego Maradonna“) und besingt den eigenen Aufschwung („Du wirst schon sehen“). Ob langsame Ballade oder zappelnder Tanzflächengarant – Provinz zeigen sich als souveräne Entertainer, allen voran Waizenegger reißt mit seinen ulkigen Tanzeinlagen mit. Dank des pointierten Einsatzes von choralen Elementen und instrumentalen Spielereien erinnert das Quartett nicht selten an ein Ziehkind von Mumford & Sons und Annenmaykantereit – die Ambitionen scheinen auch zu stimmen. Mit „In meinem Zimmer“, „Weit weg“ und „Ich will dich wiedersehen“ gibt es nämlich gleich noch drei bisher unveröffentlichte Songs dazu, die sich ganz vortrefflich in die Setlist einfügen. Provinz scheinen jetzt schon ganz oben zu sein, haben die nächsten Schritte aber wohl schon geplant. In Zeiten nach Corona könnte das dann schon vor beeindruckend großen Hallen stattfinden. Der gemütliche Juicy-Beats-Einstand hat die Vorstadt-Atmosphäre der Lyrics dafür umso schöner eingefangen. Danke für ein wenig Festivalgefühl in diesem verrückten Jahr!

Und so hört sich das an:

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Beitragsbild von Yvonne.

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