The Vegan Leather – Poor Girls / Broken Boys

The Vegan Leather

Artpop wirkt heutzutage wie ein in sich geschlossenes Oxymoron. So ganz mag man die größtenteils unkreativen, platt produzierten Radiosongs gar nicht als künstlerischen Ausdruck wahrhaben wollen, zumindest nicht im gleichen Maße wie anspruchsvolle Arrangements oder zumindest „Hand gemachte“ Musik im klassischen Sinne. Und überhaupt – wie kann sich der Anspruch, „Kunst“ zu schaffen, mit dem, „populäre“ Musik zu spielen, also solche, die explizit auf die Massen zugeschnitten ist, decken? Unter diesem Deckmantel veröffentlichen zumindest The Vegan Leather ihr Debütalbum, das sich teils vielleicht nach sehr komplexem Rock-Pop, oft aber auch einfach nach ziemlich poppigem Indie anhört. Allerdings verdammt unwiderstehlich.

Fangemeinden rüberlocken

Die Ting Tings, die B-52s, The Kills und Blood Red Shoes sind die vier Eckpunkte, die den grundlegenden Sound des britischen Quartetts ziemlich genau treffen. Die Indierockfraktion frohlockt bei dem zwischen lauten Riffs und malerischen Arrangements pendelndem „Flakey“, „Holy Ghost“ holt auch Fans von Arcade-Fire-Chören ab und auch zu „Know It All“ lässt es sich herrlich unvorhersehbar abwechselnd hüpfen und schunkeln. Inhaltlich geht es hier jedoch ziemlich düster zu, denn gesellschaftliche Ungleichheiten werden genau so thematisiert wie soziale Phobien. Aber wieso The Vegan Leather so ein besonderer Geheimtipp sind, zeigt sich in der Trademark der Stimmfarben: Das kennen wir so schon von den grandiosen B-52s, aber da diese ihre Abschiedstour bereits schon im vergangenen Jahr über die Bühne gebracht hatten, braucht es ohnehin Nachschub. Und den liefern The Vegan Leather mit der benötigten Portion Extravaganz.

Lieber ein Mal zu verrückt als zu belanglos

Deswegen zeigt schon der soziale Phobien thematisierende Opener „French Exit“, wo der Hammer hängt: Der Beat wummert direkt, doch erst als die Stimme von Marie Collins den männlichen Konterpart Gianluca Bernacchi begleitet und sie sich gemeinsam in Richtung völliger Synthie-Sample-Extase hochschaukeln, bleibt ein Ausrufezeichen zurück. Dieses Spiel treibt das Quartett immer wieder auf die Spitze, gerne stehen die Stimmen alleine vor einem forderndem Bass, wie in „The Knife“, wo sich kokette Stimmwechsel in einen rockigen Refrain entladen oder aber im irren, dem Titel würdigen, Feminismus-Song „The Hit“, wo sich die beiden sogar Silbenweise abwechseln. Diesen irren Spagat zwischen rockigen Momenten und lupenreinem Synthpop schafft das Quartett nicht einfach so: Ursprünglich haben sie sich an einem Open-Mic-Abend kennen gelernt, als Mitglieder zweier Dubstep-Acts und einer Folk-Band – DNA, die bis heute klar hörbar ist.

Ob nun Artpop oder nicht, The Vegan Leather beweisen sowohl Moshpit-Potential („Heavy Handed“), können aber auch mit mäandernden, düsteren Bässen hypnotisch zur Tanzfläche ziehen („Days Go By“). Das mag über weite Strecken ziemlich eindeutig Vorbilder zitieren, ist aber handwerklich und ohrwurmtechnisch so gelungen, dass es definitiv eine große Masse begeistern könnte. Und irgendwie stimmt das Aushängeschild dann ja vielleicht doch wieder.

Und so hört sich das an:

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Rechte am Albumcover liegen bei Midnight Pink Records.

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