Tua – TUA

Was lange währt, wird endlich gut. Tua, dessen letzte Veröffentlichung bereits einige Jahre zurück liegt, scheint sich dieses Sprichwort zu Herzen genommen haben. Der Rapper, Sänger und Produzent, der der breiten Masse wohl am ehesten als Mitglied der Formation Die Orsons bekannt sein dürfte, hat vergangenen Freitag, den 22.03.2019, nun aber nach langer Wartezeit sein langersehntes neues Album TUA veröffentlicht – sein, wie der Titel bereits verraten mag, Lebenswerk. Emotionsgeladener denn je, gewährt der mittlerweile 33-jährige Reutlinger auf seiner Platte Einblicke in seine ganz private Welt. Dass er tief in seiner Vergangenheit graben musste, um auf die wundesten Punkte seines Lebens zu stoßen, entschuldigt die lange Warte- und Entstehungszeit, die das Albums forderte.

Wer jedoch glauben sollte, dass Tuas Solo-Musikstil an dem gutgelaunten und gewitzten Partysound der Orsons anknüpft, irrt gewaltig: Seine Musik, die er in den Anfangsjahren – noch lange vor der Orsons-Ära – unter dem Staiger’schen Label „Royal Bunker“ veröffentlichte, ist eigen, aber durchdacht und in Perfektion produziert. Sein Stil: melancholisch und düster und stets mit elektronischen, aber auch orientalischen Beats sowie Einflüssen aus Drum & Bass, Techno oder Trance versehen. Musik, auf die man sich einlassen muss, die einen gleichzeitig aber auch packt und den Zuhörern – quasi wie aus einem flackernden alten schwarz-weiß Röhrenfernseher – eine fesselnde und mitreißende Geschichte erzählt.

Tracklist „TUA“

  1. Vorstadt
  2. FFWD
  3. Ich von morgen
  4. Bruder ||
  5. Wem mach ich was vor
  6. Gloria
  7. Liebe lebt
  8. Vater
  9. Tiefblau
  10. Bedingungslos
  11. Dana
  12. Wenn ich gehen muss

Tuas neustes Werk beschäftigt sich, wie die gleichnamige Platte verrät, also mit ihm selbst und verfrachtet den Sohn einer Deutschen Mutter und eines Ukrainischen Vaters ins Zentrum seiner Erzählungen, ohne dabei plump auf eine simple Ich-Erzählform zurückgreifen zu müssen. Dabei ist die Platte durch und durch als Konzeptalbum zu verstehen: Der mittlerweile zum Mann gereifte Musiker Johannes Bruhns, wie Tua mit bürgerlichem Namen heißt, tritt hierauf seinem vergangenen Ich entgegen und lernt während dieser Begegnung sein Ich-von-heute kennen. Ganz schön poetisch, wie man meinen könnte. Doch das Album reflektiert eine Biografie voller Brüche und bleibt dabei trotzdem einer gewissen Chronologie treu.

Auf dem ersten Song des Albums, der im vergangenen Jahr bereits als erste Singleauskopplung veröffentlicht worden war und die Neugierde und Vorfreude der Fans auf das Album gewaltig in die Höhe schnellen ließ, nimmt Tua dabei seine Zuhörer mit an den Ort, an dem er inmitten von Kindern aus Gastarbeiterfamilien aufgewachsen ist: Seine „Vorstadt“, Reutlingen, die zwischen Feldern und Hochhaussiedlungen gelegen eher einem Dorf als einer verkleinerten Großstadt gleicht. Der Parade-Hip-Hop-Song des Albums wird hier sogar mit musikalischen Cameos von regionalen Bekanntheiten wie Afrob und Bausa komplettiert. Vor allem die Zeile „Ich leb hier nicht mehr / doch irgendwie immer noch“, verdeutlicht die Zerrissenheit, die die Heimatstadt in dem mittlerweile zum Mann gereifte Familienvater auslöst. So heißt es im Pressetext zur Platte treffend: „Der Song beginnt in der Kopfnick-Komfortzone der HipHop-Neunziger, führt über den stilisierten Hochmut der Zweitausender und mündet zum Schluss in Tuas ureigenem Stil der Jetztzeit: ein voller, melancholischer, hoffnungsvoller Pop der Brüche.“

Der zweite Track des Albums „FFWD“ (Abkürzung für „Fast Forward“), bei dem niemand geringeres als RAF Camora diverse Sprechzeilen übernimmt, spult schließlich in Tuas Erzählung nach vorne. Eine Abhandlung über Jugendsünden, wie etwa eine Schlägerei auf dem Rummel oder einen missglückten Verkehrsunfall während des Koitus auf der Rückbank bei 200 km/h, lassen ihn zu osteuropäisch-angehauchten Klängen aus Sicht seines damaligen Ichs in die Gegenwart vorspulen. Dabei erklären bereits die ersten Zeilen: „Ich leb’ wie auf vorspul’n / Wozu sollt’ ich überlegen, was morgen passiert? / Ich leb’ lieber kurz und gut, auf großem Fuß / Und mach’ mir um nix anderes Sorgen als hier“, was der Song auszudrücken vermag: Fast forward durch die Vergangenheit Richtung einer Zukunft voller Glück.

Auf dem Folgesong führt Tua zu futuristischen Klängen einen Monolog mit sich selbst – seinem „Ich von morgen“. Zu einer satten, sich veränderten Elektronik schwebt er hier musikalisch in einer verträumten Atmosphäre, ehe er auf „Bruder II“ ein großes Kapitel aufwachsenden Migranten in Deutschland, Kriminalität, Aussichtslosigkeit und Abschiebung widmet. Wer hier genau hinhört und sich vollends auf die Emotionen zwischen den Zeilen einlässt, wird die Geschichte nicht nur begreifen, sondern voll und ganz verstehen.

Die fast schon radiotaugliche aktuellste Single „Wem mach ich was vor“, beschäftigt sich mit der übergeordneten Thematik ‚Trennung‘. Obwohl – oder gerade weil – ausnahmsweise nicht explizit besungen wird, ob es sich um eine verflossene Liebesbeziehung, eine in die Brüche gegangene Freundschaft, einen Umzug oder einen anderen vergleichbaren emotionalen Verlust handelt, kann der Hörer sich sogleich in die Aussage der Lyrik hereinversetzen. Denn das Gefühl, jemanden oder etwas aus tiefstem Herzen zu vermissen, benötigt keine detaillierte Beschreibung, um verstanden zu werden.

Mit „Gloria“ bringt Tua in der Mitte seines Albums ein wahres siebenminütiges Glanzstück: Es ist der sich am meisten und auf abstraktester Ebene entwickelnde Höhepunkt von TUA, die Bohemian Rhapsody des Johannes Bruhns. Denn Tua strebt hierauf, wie der Name des Songs bereits verrät, nach Ruhm und Erfolg. Mit wortgewandter Unterstützung von Tarek K.I.Z. und Wanja Janeva („Vermiss dich, an mir“) baut sich der Song allmählich zu einem elektronischen Monument auf. Düster, elektronisch, beherrschend – göttlich! Der mit Meeresrauschen unterlegte und fast schon im Beiläufigen gesagte letzte Satz, der zuvor schon benannt wird, setzt dabei dem Werk die Krone auf: „Ich will nicht hochhinaus / Ich will darüber hinweg“. Boom!

Einen durchaus ohrwurmtauglichen, an einen 90er House-Track erinnernden Clubbeat, der das ambivalente Gefühl beschreibt, wenn man die Beziehung, die man einmal hatte, zu etwas verliert, liefert Tua auf „Liebe lebt“. Als Beispiel für dieses Gefühl nennt der 33-Jährige dabei ein altes Haus oder eine alte Wohnung, mit der man einst viele Erinnerungen verbunden hat. Doch diese Erinnerungen schwinden, sobald sie verfremdet werden und jemand anders eben in diese Wohnung einzieht, sodass die Liebe eben nicht mehr hier wohnt.

Obwohl auch alle weiteren, bislang unbenannten Track des Albums musikalisch, textlich und aus produktionstechnischer Sicht überzeugen können, ist vor allem ein Song des Albums tiefgründiger und emotionsgeladener als vielleicht alle anderen: „Vater“. Obwohl der musikalisch-produktionstechnische Part des Songs deutlich entschleunigter als alle übrigen elf Tracks des Albums wirken mag, kommen hierauf vor allem Elemente des Field Recordings zum Vorschein. Diese schaffen es in besonderem Maße, die für die Thematik dieses Songs erforderlichen Atmosphären zu erzeugen. Denn Tua verarbeitet hierauf einen der schwersten Momente seines Lebens: den Tod seines Vaters. Detailliert, unbeschönigt, explizit und nüchtern.

Der Song beginnt mit den Geräuschen einer Beatmungsmaschine, die so wirken, als gäben sie den Takt an. Nach und nach wird der Zuhörer von der Depression und der von Trauer gefüllten Atmosphäre gepackt, bis schließlich die sanften Maschinenklänge des Beatmungsgeräts verstummen – und der Tod besiegelt ist. So beschreibt der Pressetext an dieser Stelle treffend: „Mit jeder Zeile verlieren seine Worte mehr an Schmuck, bis irgendwann nur noch die blanke Tatsache bleibt – ganz so wie auch der Tod erst groß und seltsam ruhmreich anmutet, und dann, wenn er passiert, nur noch beschissen banal ist, einfach das, was er halt ist: ein Ende, das keiner revidieren kann.“

Tuas Album ist ein Meisterwerk geworden. Musikalisch und textlich – ein Gesamtkunstwerk par excellence. Der Musiker, der – obwohl es bislang niemals öffentlich zur Sprache kam – seit vielen Jahren an Depressionen leidet, hat ein Ventil gefunden, seinen emotionalen Frust und seine Trauer zu verarbeiten und sich so ein Stück weit selbst kennenzulernen. Seine Musik ist weit mehr als ein Sprachrohr für die Bewältigung. Durch die Auseinandersetzung mit sich selbst, konnte er neuen Mut finden: „Den Mut, die Konflikte in seinem Kopf und die Brüche in seiner Vita zu akzeptieren. Den Mut, der Künstler zu sein, der er nunmal ist. Den Mut, dieses fordernde, wichtige, wunderschöne Album zu machen.“

Das Album “TUA” kannst du hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

Und wer sich nun fragt: „Tua, wann gehst du auf Tour?“ und den 33-Jährigen in diesem Jahr unbedingt auch mal live hören möchte, hat dazu mehrfach die Möglichkeit. Obwohl seine „FFWD“-Tour im April bereits ausverkauft ist, wird es im November und Dezember eine weitere „.WAV“-Tour geben. Doch auch hier sollte man sich beeilen, denn die Tickets in den kleinen, intimen Locations sind schnell vergriffen.

FFWD Tour

  • 04.04.19 Berlin, Musik & Frieden
  • 05.04.19 München, Feierwerk
  • 06.04.19 Stuttgart, clubCANN
  • 07.04.19 Köln, Helios37
  • 08.04.19 Hamburg, Prinzenbar

.WAV Tour

  • 23.11.19 Dresden, Puschkin
  • 24.11.19 Leipzig, Naumanns
  • 25.11.19 Nürnberg, Hirsch
  • 26.11.19 Mannheim, Alte Feuerwache
  • 27.11.19 München, Technikum
  • 28.11.19 Wien (A), Das Werk
  • 30.11.19, Aarau (CH), KIFF
  • 01.12.19 Stuttgart, Im Wizemann
  • 02.12.19 Frankfurt, Das Bett
  • 03.12.19 Essen, Zeche Carl
  • 06.12.19 Bremen, Lagerhaus
  • 07.12.19 Bielefeld, Movie
  • 11.12.19 Münster, Skaters Palace
  • 12.12.19 Köln, Gloria Theater
  • 13.12.19 Hannover, MusikZentrum
  • 14.12.19 Berlin, Funkhaus

Die Bildrechte des Covers liegen bei Chimperator (Groove Attack).

Tickets für die Tour bekommst du hier. *

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