Sechs gewonnene Tony-Preise, ein Grammy und eine sechsfach Oscar-prämierte Verfilmung. Chicago scheint als Musicalstoff so einiges herzugeben und trotzdem ist der Funke in Deutschland bisher nie wirklich übergesprungen. So blieb das Stück häufig nur in kleinen Theatern und schaffte nicht den Eintritt in den Musicalmainstream. Am Broadway sieht das Ganze wieder bekanntlich ganz anders aus – Platz zwei im Ranking der Shows mit den meisten Aufführungen. Umso erfreulicher ist es, dass BB Promotion sich nicht nur dazu entschieden hat, das Stück auf die wichtigsten Bühnen in unserer Nähe zu bringen, sondern dazu noch das englische Original zu wählen. Dass Mut genau das Richtige sein kann, zeigte die Kölner Inszenierung von Miss Saigon, die nicht weniger als Weltklasseniveau besaß und jedes andere Musical hierzulande blass aussehen ließ. Außerdem steht mit The Book of Mormon im Herbst der nächste unkonventionelle Knaller bevor.
Chicago darf nun durch fünf deutsche und eine österreichische Stadt ziehen. Der Startschuss fällt in Köln, wir hatten das Vergnügen in der Premierenvorstellung zu sitzen – und sind leider ganz schön enttäuscht wieder aufgestanden. Gerade der Film zeigt, wie viel Potenzial in dem Stück steckt und davon verpufft entschieden zu viel in der viel zu lauen Inszenierung.
Aber fangen wir mit dem Positiven an: die zwölfköpfige Jazz-Band gibt der Show ein sehr authentisches Flair. Die 20er Jahre werden durch gelungene Swing- und Charleston-Arrangements spürbar und füllen den Kölner Musical Dome perfekt aus. Der Sound ist ab dem ersten Ton gut abgemischt, setzt bei den Darstellern nie zu spät ein und macht alles richtig. Wie hervorragend das klingen kann, zeigt der Entr’Acte nach der Pause. Ein weiteres nettes Schmankerl ist der Orchestergraben, der unbesetzt bleibt und stattdessen die Band in einer Art Zeugenstand direkt auf die Bühne holt und in die Geschichte miteinbezieht. Somit ist jeder Instrumentalist während der kompletten Show zu sehen. Was das Negatives mit sich bringt, folgt später.
Die internationale Cast ist zum Großteil in Ordnung bis gelungen. Highlights sind trotz hoher Frauenquote die Männer. Craig Urbani als männliche Hauptrolle Billy Flynn wirkt kühl, tough und macht in seinen Soli gesanglich die beste Figur. Grant Towers als Amos Hart hat den dankbaren Job als einziger Emotion beim Publikum zu erwecken und erhält nicht nur die meisten Lacher sondern auch Mitgefühl. Die beiden Hauptfiguren Roxie Hart und Velma Kelly werden von Carmen Pretorius und Samantha Peo gespielt, die tänzerisch auf jeden Fall punkten können, gesanglich aber etwas unterfordert wirken. Rollen mit höheren Stimmlagen könnten beiden besser stehen.
Doch leider hapert es der Chicago-Inszenierung ganz besonders an der Dramaturgie. Wie bereits erwähnt, ist die Band auf der Bühne. Der Zeugenstand, in dem sie sich befindet, dient zwar auch als Auf- und Abgang für mehrere Darsteller, die über eine Hebebühne ins Bild gelangen, nimmt aber mindestens Zweidrittel der gesamten Bühne ein – und bleibt statisch. Bewegung und Umbau? Niente. Generell sollte beim Bühnenbild nichts erwartet werden, da es leider auch fast nichts gibt. Viele Darsteller sitzen auf Stühlen seitlich des Zeugenstands und warten auf ihre nächste Nummer. Spots sind auf den Mittelpunkt gerichtet, ab und zu gibt es Requisiten in Form von Zeitungen, Schirmen, einem Strick oder Leitern. Viel mehr aber auch nicht, was dazu führt, dass mehrere Nummern genau gleich aussehen. Das optische Highlight ist eine Szene im Konfettiregen. Unglaublich, aber wahr.
Wer unvoreingenommen in die Show geht, könnte außerdem Schwierigkeiten mit der Story haben. Die optisch spärliche Inszenierung führt dazu, dass die Szenerie anfangs ein wenig unklar bleibt. Spielt das nun alles im Gericht? Sind wir in einem Gefängnis oder doch in einer Bar? Ist das grade Outdoor? Man weiß es nicht genau. Stattdessen wirkt das zweistündige Stück, das sich in einem 70- und einem 50-minütigen-Akter aufteilt wie eine Revue, die durch kleine, manchmal holprige Spielszenen verbunden werden. Jede Figur darf mal allein ins Rampenlicht, dann vielleicht auch mal zu zweit. Der Zuschauer sieht viel zu oft dasselbe, hört zwar gute, aber auch nicht immer klar unterscheidbare Kompositionen und spürt deswegen irgendwann das, was man eigentlich am wenigsten möchte: Langeweile.
Hübsche Momente sind das in der Choreographie aufwendige „Razzle Dazzle“, „Mister Cellophane“ und das nette Finale. Vieles weitere kommt ein wenig mit angezogener Handbremse – zu glatt, zu wenig energetisch und einfach nicht mitreißend genug. Es gibt nichts, was wirklich qualitativ mies ist, aber auch nichts, was Gänsehaut, einen Schauer oder einen offenstehenden Mund auslöst. Die prägnante Szene „Cell Block Tango“ bleibt komplett hinter ihren Möglichkeiten. Zwar ist sie immer noch toll und sogar der Höhepunkt im ersten Akt, hat aber nach obenhin noch sehr viel Potenzial. Die Tänze sind hingegen stets synchron, das Kostüm sexy gestaltet, aber auch wenig variierend.
Schade! Mit Chicago kehrt eins der großen Broadway-Classics auf deutsche Bühnen zurück und bringt die finanziellen Mittel mit, um richtig abzuliefern. Am Ende bleibt es dann aber doch bei einem ernüchternden Stück mit okayen Darstellern, die schön anzuschauen sind, einer wirklich positiv erwähnenswerten Band und einer revueartigen Inszenierung, der es an Pfiff und Abwechslung fehlt.
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Und so sieht das aus:
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