Die etwas düsteren und emotionalen Klänge von Bands wie My Chemical Romance, Paramore oder Billy Talent haben die Musikszene der frühen 2000er stark geprägt. Härtere Genres schafften es nicht nur, bei MTV oder VIVA gespielt zu werden, sondern verharrten auch in den pubertierenden Herzen ihrer Hörer. Eines der erfolgreichsten Alben aus dieser Zeit ist die zweite Platte der kanadischen Rockband Billy Talent, die mit Songs wie “Devil in a Midnight Mass” oder “Red Flag” ihren Durchbruch erlangten und noch heute in den Playlisten der internationalen Radiosender zu finden sind. Für Yvonne war “Billy Talent II” ein Meilenstein:
Es ist das Jahr 2006. Dank Vanilla Ninja hat mein 15-jähriges Ich endlich die Rockmusik für sich entdeckt. Gerade läuft im Fernsehen „mtv brandneu“, als das Musikvideo von Billy Talent zu “Devil in a Midnight Mass” vorgestellt wird. Es ist laut, es ist verstörend, der Sänger schreit – und ich liebe es! Am nächsten Tag geht es für mich also sofort in ein Elektronikfachgeschäft um das dazugehörige Album „Billy Talent II“ zu kaufen.
Auch heute noch zählt „Billy Talent II“ für mich zu den besten Alben, die jemals veröffentlicht wurden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es Billy Talent gelungen ist, dreizehn fantastische Rocksongs zu schreiben, die trotz ihrer Neigung zum Post-Hardcore ein absolutes Ohrwurmpotential mit sich bringen. Es zeigt sich: die Musik und Lyrics der Kanadier sind zeitlos. Noch heute können viele Fans (inklusive mir) die Texte des Albums nahezu komplett mitsingen. Die markante und leicht hysterische Stimme von Sänger Benjamin Kowalewicz, die sich durch die gesamte Platte ballert, hebt Billy Talent außerdem deutlich von anderen Rockbands ab.
“Red Flag” ist wohl der erfolgreichste Song von Billy Talent und auch bei Spotify der meistgehörteste Track. Kein Wunder, denn der Song handelt von einer Revolution der Jugend: “The kids of tomorrow don’t need today when they live in the sins of yesterday.” Ein Thema, das gerade durch den drohenden Brexit und die aktuelle Europa-Wahl noch mehr in den Fokus gerückt ist, als bereits vor 13 Jahren. Auch die Single “Fallen Leaves” zählt mit über 22 Millionen YouTube-Klicks (!) zu den bekanntesten Billy Talent Tracks und ist dem Einen oder Anderen sicherlich auch schon in der Playlist einer Alternative-Party begegnet. Der Song, der von einer Drogenabhängigkeit und dem daraus resultierenden Verlust seiner Freunde handelt, zeigt die interessante Breite an Themen, die die Band auf „Billy Talent II“ aufgegriffen hat.
Herzzerreißend präsentieren sich Billy Talent mit “This Suffering“, wo die markante Stimme von Sänger Benjamin Kowalewicz von hektischen Zwischenrufen des Gitarristen Ian D’Sa unterstützt wird. Dies bringt die Verzweiflung der Lyrics auch musikalisch noch stärker zum Ausdruck. Einer meiner All-Time-Favorites ist und bleibt “Surrender“, den man wohl am ehesten als die Ballade des Albums bezeichnen könnte, auch wenn er zum Ende hin mit seinen eingängigen Schlagzeug-Parts noch etwas lauter wird. “Every word, every thought, every sound. Every touch, every smile, every frown.” Gebt es zu: auch ihr hattet die dazugehörige Melodie sofort wieder im Kopf!
Auch Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse meiner Jugend hängen an diesem Album. So versetzt mich jedes Hören erneut in den damaligen Holland-Urlaub mit meinen Eltern zurück, bei dem ich versuchte, den attraktiven Parkplatzaufseher im Linkin Park Shirt mit heruntergelassenen Autoscheiben und lautstarker Billy Talent Musik zu beeindrucken. Mit dem Kerl hat es nicht geklappt – dafür wird “Billy Talent II” aber auf ewig ein Lieblingsstück meiner Musiksammlung bleiben!
Alina hingegen findet:
Eigentlich habe ich es fast schon erwartet, dass Yvonne und ich uns im Plattenkrach auf kurz oder lang mal gegenüberstehen werden. Denn obwohl wir einige Musik-Faibles teilen, sind unsere Musikgeschmäcker doch wahnsinnig unterschiedlich. Oder um es vielleicht besser auszudrücken: Yvonnes Musikgeschmack ist in dieser Hinsicht doch deutlich Genre-unabhängiger und vielfältiger als meiner. So kann man uns beide beispielsweise auf einem Wincent Weiss, Little Mix oder Backstreet Boys Konzert vorfinden. Lieblingsbands von Yvonne wie Enter Shikari oder Destination Anywhere hinterlassen bei mir aber nur ein Fragezeichen. Ähnlich ist es auch bei dem heute im Fokus stehenden Album „II“ von Billy Talent. Eine Band, die es bereits seit 1993 gibt, die ich aber noch nie aktiv gehört habe und deswegen auch keinen einzelnen Song betiteln könnte. Dabei gibt es die Band bereits seit 1993! „II“ ist, wie man vielleicht erahnen mag das zweite Studioalbum der Band aus dem Jahr 2006. Um es anzufügen: Zu diesem Zeitpunkt habe ich im zarten Alter von elf Jahren noch Miley Cyrus gehört – weit entfernt also vom Alternative Rock der Kanadier.
Bereits der Opener „Devil In A Midnight Mass“ zeigt genau das auf, was mir an Rockmusik oftmals nicht gefällt: eine gewisse Härte und Aggressivität, die sich durch den gesamten Track zieht. Wahrscheinlich vermag genau das das spannende an Rock-Musik sein – mir gefällt es schlicht und einfach nicht. Was mich dementgegen aber überzeugen kann sind die Dynamik und Energie, die sich durch das gesamte Album ziehen. Billy Talent schaffen auf vierzehn Songs eine abwechslungsreiche und vielfältige Variation. Zudem sind die Lyrics zu „Devil In A Midnight Mass“, die sich um das Thema Kindesmissbrauch drehen, geschickt gewählt. Schade nur, dass man auf die Lyrics durch die sehr penetrante Musik einfach nicht achten kann.
Als wirklich furchtbar lässt sich auf „II“ aber der Kreischgesang von Frontsänger Benjamin Kowalewicz betiteln. Der Song „Covered In Cowardice“ stellt dafür ein gutes Beispiel dar. Die Melodie des Songs empfinde ich als äußerst passend, aber der Gesang macht alles zunichte. Im Internet liest sich des Öfteren, dass gerade im Geschreie des Sängers seine Stärken liegen – das würde ich so nicht unterschreiben. Viel mehr hört es sich für mich so an, als hätte der Gute ein leichtes Aggressionsproblem. Oder mehrere! Gerade die Kombi aus Melodie und der sehr hohen Stimme macht die Songs meiner Meinung nach aggressiver und zeigt eine deutlich fehlende Harmonie auf.
Anders ist dies beim Song „This Suffering“, der mir im Gegensatz zum Rest des Albums sehr gut gefällt. Hier schaffen Billy Talent es deutlich mehr Harmonie und Melodik einzubauen, was von einer genialen Bridge unterstützt wird. Stimmlich kann mich Benjamin Kowalewicz hier mehr abholen. Seine Töne sind deutlich prägnanter und auf eine gewisse Weise interessant. Auch leisere Töne wie bei „Surrender“ gefallen mir besser. „Surrender“ ist im Gegensatz zu meinen Behauptungen am Anfang auch tatsächlich ein Song, den ich schon des Öfteren zu hören bekommen habe. Die ruhigeren Lieder schaffen darüber hinaus eine leichte Verschnaufpause und zeigen die Wandelbarkeit der Band auf.
Um ehrlich zu sein, hätte ich mir „II“ deutlich schlimmer vorgestellt. Ich mag zwar weder den aggressiven Unterton in den Songs, noch werde ich mit den stimmlichen Parts von Billy Talent warm. Die Musik gibt mir einfach nichts, mir fehlen Harmonien und etwas an das ich mich erinnern kann. Die Lyrics mögen teilweise sehr gut sein, aber im Fokus stehen sie definitiv nicht. Mein größtes Problem mag wohl das Gekreische von Benjamin Kowalewicz sein, das in meinen Augen einfach nur furchtbar klingt. Billy Talent können mich daher nicht wirklich überzeugen, zeigen aber, dass sie durchaus auch anders können und äußerst wandelbar sind. Von mir aus könnte es ruhig mehr ruhige Songs geben – aber dann hätte die Band ihr Image als Rockband wahrscheinlich im Handumdrehen verloren.
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Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.
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