Trennungsverarbeitung als Album – Interview mit LGoony über “Sad Sad Story”

Pressefoto von LGoony zum Album "Sad Sad Story".

Es ist ein universelles Gefühl. Fast jede*r hat es schon einmal gespürt. Dieses Wand aus Enttäuschung, Verzweiflung und Trauer. Kaum erklimmbar. Diese Leere, die entsteht, wenn in einer Partnerschaft eine Person weniger Perspektive sieht als die andere. Wenn die Gefühle einseitig versiegt sind. LGoony muss da durch als sich 2020 seine damalige Freundin von ihm trennt. Impulsiv greift der Kölner zum Mikrofon, schreibt und rappt Zeilen, die gänzlich im Kontrast stehen zum konsumgetriebenen Rap-Zeitgeist. Als das Schlimmste vorüber ist, entscheidet er: All das muss erscheinen. Als Album. “Sad Sad Story” soll es heißen. Nach Kämpfen mit diversen Umständen ist dieses nun endlich erschienen.

Heute, wir haben den Donnerstag vor Veröffentlichung, möchte ich mit LGoony über ebendieses Album sprechen. Ich warte vor einem Cafe in der Kölner Innenstadt. Es liegt in der Ludwigstraße. Ein Umstand, den ich zugegebenermaßen etwas lustig finde. Immerhin heißt LGoony eigentlich Ludwig Langer. Und Ludwig kommt nun um die Ecke. In grünkariertem Kurzarmhemd, die schwarzen Haare mittig beiseite gelegt, Pantobrille auf der Nase. Er ist eingangs noch etwas zurückhaltend (auf sympathisch!). Wir setzen uns in den großen Außenbereich. Immerhin ist es für Ende September noch (viel zu) warm. Er trinkt einen Cappuccino mit Hafermilch. Ich eine Bionade. Ich starte die Aufnahme. Fünfzig Minuten werden wir nun über sein Album sprechen, das er selbst übrigens als sein Debütalbum betrachtet. “Bei diesem Projekt greift zum ersten Mal alles ineinander. Es gibt einen roten Faden und einen durchgehenden Sound, der zwar in verschiedene Richtungen geht, aber trotzdem bei sich bleibt”, erklärt er. Erstmals liegt der Fokus deshalb nicht rein auf der Musik, sondern es gibt eine ganze Stange an visuellen Begleitmaterialien  – neben den Artworks und Videos etwa ein ausführliches Buch, das einer Vinyl-Version des Albums beiliegt.

Neuer Inhalt

Tatsächlich bricht “Sad Sad Story” auch sonst mit LGoonys bisherigem Output. Ging es auf den fast zwei Handvoll Releases bislang vor allem um Konsum, das Weltall oder Geld – also nichts so richtig – steht nun erstmals ein homogenes Thema im Fokus. Er sagt selbst: “Ich war lange fasziniert davon, weg von Inhalt zu gehen und den Fokus auf Melodien, Gefühl und Beats zu legen. Da habe ich mich dann Themen bedient, die für mich und viele Menschen ungreifbar sind.” Anders klingt das, wenn er über “Sad Sad Story” spricht. Da fallen andere Schlagwörter: Konzept, Drama, Übertreibung, thematischer Hyperfokus. Wie kommt es also, dass auf einmal so viel Inhalt Einzug in die Musik des Kölner Rappers findet?

Einen bedeutenden Anteil daran scheint der Trennung selbst zuzukommen. Diese trifft LGoony an einem wunden Punkt. Eigentlich soll das Jahr 2020 ihm gehören. Drei Tapes sollen erscheinen, außerdem soll es auf große Tour gehen. Doch dann verordnet Corona eine Pause, die Tour wird verschoben, monetäre Sorgen kommen auf. Zusätzlich kriselt auch noch die Beziehung. Schlussendlich endet sie und er fällt in ein tiefes Loch. Um den letzten zwei Schritten zu folgen, muss man mit LGoony kein Interview führen. Das findet auch auf dem Album selbst statt. “Ich nehm dich in den Arm, du stößt mich ab”, heißt es dort. Oder: “Das zweite Kissen, das neben mir liegt, sieht so leer aus.” Und weiter: “Heute war wiedеr so schwer und ich weiß genau, morgеn wird eins zu eins der gleiche Tag.

Während all das geschieht, tritt LGoony immer wieder an sein Mikrofon im Homestudio. Affektiv verarbeitet er, was ihm widerfährt, freestyled Zeile für Zeile. Und auch, wenn er sich mal gezielt vornimmt Musik zu machen – an dem Thema Trennung führt kein Weg vorbei. “Immer wenn ich Musik machen wollte, kamen mir nur Zeilen dazu in den Kopf”, erinnert er sich. So auch als er und Produzent Mary sich für ein paar Tage ein AirB’n’B mieten, um an Ideen zu feilen. Über ein halbes Jahr geht das so. Am Ende stehen neun Songs, die zwar alle dasselbe Thema behandeln, sich in ihrer Perspektive jedoch deutlich voneinander unterscheiden. So kommt es, dass “Sad Sad Story” quasi chronologisch eine Trennung durchspielt: Von den ersten Zweifeln, über die Beziehungspause und Trennung hin zur Trauer und Verarbeitung. Bei letzterer bekommt Ludwig Unterstützung von seinen Freund*innen, denen er auch den Albumcloser widmet. Er führt aus: “Freunde waren in dieser ganzen Phase des Verarbeitens ein sehr wichtiger Pfeiler für mich, der mir sehr viel Halt und Kraft gegeben hat.

Doch es bleibt nicht dabei: Langer arbeitet an sich, reflektiert sein Verhalten, macht eine Therapie. Relevant ist das vor allem für einen Song auf dem Album. “Feind” heißt der, er stellt wohl den Tiefpunkt der Verarbeitungsphase dar, in der die Trauer in Wut umschlägt. “Und ich Wette ihr zwei lacht noch über mich, denn das würde dazu passen wie charakterlos du bist”, heißt es dort unter anderem. Es gibt aber auch einige noch harschere Zeilen. Er habe sich schwer getan mit dem Song und fände es wichtig, dass dieser auch kritisch beäugt wird, betont er in einem langen Monolog. Man merkt: Ihm ist wichtig der Kritik einen Raum zu geben. Das Lied stehe für einen sehr schwachen Moment, in dem man die Kontrolle über die eigenen Emotionen verliert. Für ihn sei diese Phase – so falsch solche Emotionen auch seien – jedoch ein Teil des Prozesses gewesen. Deshalb habe er sich nach einigem Hadern dafür entschieden, den Song zugunsten des Konzepts so auf “Sad Sad Story” zu belassen.

Neue Realness?

Eine große Frage schwebt währenddessen über allem Gesagten. Bislang definierte sich LGoony immer als Kunstfigur mit unbegrenzten Möglichkeiten, die deshalb nicht real sein muss. “Sad Sad Story” nun ist aber persönlich bis in die letzte Wurzelspitze und damit ja irgendwie schon real. Wie ist das miteinander vereinbar? “Die alten Songs sind quasi auch Ich – ein Showcase meines Musikgeschmackes und meines Lifestyles”, erklärt Langer. Etwas Realness gab es also schon immer. Weder das Album noch das alte Zeug seien außerdem komplett er. “Sad Sad Story” nämlich ist quasi der Trennungs-Ludwig als Konzentrat. Also ein sehr zugespitztes Bild seiner Selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt, das nie ganz ihm entsprechen habe. Und schlussendlich bleibe gleich: “Die Kunstfigur LGoony kann alles und die kann eben auch so ein Heartbreak-Album machen.” 

Nicht verändert hat sich außerdem, dass die Musik als LGoony ein Abbild seines persönlichen Geschmacks ist. Und der hat sich eben gewandelt. Etwas House hört man da raus, Hyperpop, Dance und auch das ein oder andere Gitarrensolo. Damals stößt Langer außerdem auf female Artists wie Charli XCX, Phoebe Bridgers und Gracie Abrams. Letztere zwei sind bekannt dafür besonders direkt und ungefiltert zu texten, eben “sehr tief in die Emotion” zu gehen. Er fühlt sich verstanden. Und zieht Inspiration daraus: “Das war ein Aha-Erlebnis zu erkennen, dass es krasser ist, weniger zu sagen ohne alles auszuformulieren und mehr Raum zwischen den Zeilen zu lassen und damit aber trotzdem wiederum mehr zu sagen, mehr Emotionalität mitschwingen zu lassen.” Rauszuhören ist dieser Einfluss bislang noch nicht wirklich. Da “Sad Sad Story” nun jedoch eine Zeit lang herumlag, ist bereits neue Musik entstanden. Und die soll unter anderem auch klanglich in die Richtung gehen. So nerdy Langer über Musik spricht – nach dem Interview werden wir noch eine Stunde lang über Haiyti, Ski Aggu und Tiktok, Olivia Rodrigo und vieles mehr reden – wird das wohl konsequent umgesetzt sein. Es bleibt also spannend.

Neue Haltung?

Das Projekt LGoony bleibt also in Bewegung – auch in einer anderen Hinsicht. Gerade in den sehr frühen LGoony Releases, aber auch in Ludwigs alten Battlerap-Projekten unter anderen AKAs stößt man immer wieder auch auf die ein oder andere sexistische oder homophobe Line. Das gibt es heutzutage – fernab eines Songs wie “Feind” (und auch dort nur abgeschwächt) – nicht mehr. Stattdessen setzte sich LGoony 2021 für die Deutschrap MeToo-Bewegung ein und positionierte sich auch in anderen Fällen auf Frauen- und Opfer-Seite. Hat da also eine Politisierung stattgefunden? Und wie blickt er persönlich auf sein zurückliegendes Schaffen zurück? Er entgegnet: “Ich würde es eher Reflexion nennen. Ich habe am Anfang sehr unreflektiert Musik gemacht habe und sehr viele Sachen gesagt, hinter denen ich persönlich nicht stehen kann. Gerade in diesem Battlerap-Kosmos, habe ich Sachen gesagt, die absolut nicht klar gehen. Damals dachte ich, dass HipHop nunmal so ist.” Diese Reflexion nun sei ein laufender Prozess des Austauschen und Lernens.

Als Schlüsselmoment führt Langer anschließend einen zurückliegenden Konflikt mit einer anderen Rap-Subszene an. Auch wenn er keine Namen nennt, ist klar, dass er über den Dunstkreis um den Berliner Rapper MC Bogy spricht. 2021 nämlich positionierte sich Bogy öffentlich gegen Deutschrap-MeToo, einen Umstand, den LGoony anschließend auf Twitter als “peinlich” bezeichnete. Bogy wiederum schickte seine Kettenhunde los. Langer erinnert sich: “Da ist mir sehr viel Homo- und Trans-Feindlichkeit sowie Gewaltfantasien entgegengeschlagen. Da habe ich gemerkt, wie sehr das noch in dieser Gesellschaft verankert ist und wie sehr diese Feindlichkeiten und Gewalt Hand in Hand gehen.” Das Resultat daraus: Teile unserer Gesellschaft fühlen sich nicht sicher. Langer findet klare Worte: “Das ist ein Zustand, den wir nicht akzeptieren dürfen.” Preach.

Doch zurück zu “Sad Sad Story”. Das jedenfalls ist ein ambitioniertes Projekt, das starke Meinungen produzieren wird. Die einen werden es lieben, die anderen ablehnen. Überraschend ist das nicht, denn es gab – das gibt auch Langer zu – wohl geeignetere Zeiten für Konzeptalben. Und immerhin grenzt sich LGoony sowohl inhaltlich als auch soundmäßig deutlich von seinem bisherigen Output ab. Er resümiert dementsprechend selbst: “Das war eine sehr prägende Zeit, die sehr viel verändert hat, auch an meinem Wesen. Und das hört man dann auch in meiner Musik.

Hier kannst du dir “Sad Sad Story” kaufen.

Mehr LGoony gibt es hier.

Und so hört sich das an:

Facebook / Twitter / Instagram

LGoony live 2024:

15.02.2024 – Hamburg, Knust
16.02.2024 – Berlin, Hole44
17.02.2024 – Leipzig, Moritzbastei
22.02.2024 – Frankfurt, Das Bett
23.02.2024 – München, Ampere
25.02.2024 – Köln CBE

Beitragsfoto von Annika Yanura.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert