Helene Fischer – Helene Fischer Live: Die Stadion-Tour

Platz 7! Platz 7 der bestverdienenden Sänger, wenn man nach Konzerten geht. Und das nicht nur in Deutschland oder in Europa – nein, auf der Erde. Helene Fischer schafft es als deutsche Künstlerin in solch eine Liste, was wirklich völlig absurd klingt. Die mittlerweile 35-jährige Russin ist seit acht Jahren ein Star, den Deutschland so wohl noch nie hatte. Seitdem klettert jede Platte an die Albumchartspitze – spätestens mit „Atemlos durch die Nacht“ brachen dann 2014 endgültig alle Dämme und auch die Singlecharts wurden erobert. Eine Schlagerrevolution. Schlager, der nicht mehr in der Schmuddelecke der Menschen Ü50 verweilt, sondern jedem ein Begriff ist, mit modernem Pop kombiniert wird und einfach ein breites Publikum abholt.

Wie groß das Publikum tatsächlich ist, zeigt die neueste Liveaufzeichnung unter dem Namen Helene Fischer Live – Die Stadion-Tour. Es handelt sich dabei nicht weniger als um die achte (!) Liveveröffentlichung seit 2010 und sogar die dritte (!!) zum aktuellen Album. Offensichtlich scheinen die Produktionskosten in keinerlei Relation zu den Einnahmen zu stehen, wenn man selbst zum dritten Mal zum aktuellen Longplayer „Helene Fischer“ (Mai 2017) weitere Veröffentlichungen startet.

Der neuste Output zeigt zwei zusammengeschnittene Konzerte aus Hamburg von der im letzten Jahr stattgefundenen Stadiontour. Große Konzerthallen genügen schon längst nicht mehr, stattdessen werden gleich zwölfmal die größten Stadien in der deutschsprachigen Region gefüllt und eben die beiden Gigs in der Hansestadt unter der Regie von Paul Dugdale (hat bereits für Adele, Ed Sheeran und die Rolling Stones gefilmt) auf Video festgehalten.

137 Minuten präsentiert Fischer unter dem Motto „Spürst du das?“, das einer Zeile aus ihrem letzten großen Hit „Achterbahn“ entnommen wurde, eine spektakuläre Liveshow, die in Deutschland ganz klar unangefochten ist. Der bloße Aufwand an Requisiten, Bühneneffekten und Tanzeinlagen ist ansonsten nur bei Superstars der Größe Lady GaGa, P!nk oder Beyoncé vorzufinden – und in dieser Kategorie spielt Helene nun mal mit.

Konzentriert man sich nur auf das, was die Bildebene bietet, ist das schon sehr großes Kino. Auf technischer Seite brilliert der Mitschnitt mit hervorragenden Kamerafahrten, Splitscreens, Slow Motion, Freeze Effekten und einfach allem, was so irgendwie möglich ist. Da gibt es wirklich nichts zu beanstanden. Man hat das Gefühl, alles Wichtige zu sehen und nichts zu verpassen. Der Schnitt ist zackig, aber nicht zu hastig, sodass man als Zuschauer gut mitbekommt, was in dem Moment abgeht. Jedes Lied enthält eine eigene, aufwendige Inszenierung, die Helene konditionell problemlos durchsteht. Chapeau!

Besonders schön sind die vielen Fanaufnahmen, die alle paar Sekunden erscheinen. Wo wir auch bei einem spannenden Aspekt wären: welche Menschen gehen eigentlich alle zu diesem Konzert? Das Publikum stellt ein äußerst heterogenes Bild dar. Von den Pärchen im Rentneralter über unzählige Mädelscliquen und schwulen Pärchen bis hin zu dem lokalen Fußballverein – die Beweggründe sind mit Sicherheit ebenso heterogen. Mögen die einen wohl einfach gerne der Musik lauschen, weil sie sie so auch auf Schützenfesten oder am Ballermann zelebrieren, wollen andere Helene im besten Alter anschmachten oder sich mal richtig die Kante geben und sich etwas danebenbenehmen. Musik dieser Art ist eben für den Großteil der Bevölkerung eher Guilty Pleasure als ernster akustischer Genuss.

…womit wir beim Hauptproblem angekommen wären: Der Musik. Es ist in der Tat nicht ganz einfach, diese Liveaufzeichnung zu bewerten, weil einerseits völlige Reizüberflutung herrscht, die durch übertriebene Perfektion noch mehr auf die Spitze getrieben wird – andererseits passen aber viel zu oft die Songs absolut gar nicht zur Bildebene. Ja, man darf auch mal einen Kontrast darstellen. Es müssen nicht immer Text und Inszenierung harmonieren. Wirft man die CD in den Musikplayer und lässt nur die Songs sprechen, ist das auch kein großer Wurf, aber größtenteils schnelllebige Unterhaltung mit Gute Laune-Effekt. Was hingegeben beim Konzert miteinander verbunden wird, lässt häufig unglaublich große Fragezeichen im Kopf aufplöppen. Vielleicht verrate ich hiermit ein Geheimnis, aber: Helene Fischer macht Schlager. Zwar facettenreichen, aber dennoch voller Klischees bepackten Schlager. Textlich bewegt sich alles zwischen Anti-Feminismus, sprich „Ich gehöre nur dir, bitte lieb mich“ und utopischen Märchenliebeleien a la „Wir beide sind das verliebteste Paar in diesem fucking Universum“. Wie die Realität bei Helene aussieht, wissen wir alle. Genau diese Unstimmigkeiten machen das Tamtam einfach ganz schön unauthentisch. Man möchte wirklich JEDEM gefallen. Jede einzelne Person im Raum muss nach Hause gehen und Highlights mitnehmen. Das funktioniert mit großer Sicherheit. Für jeden wird was geboten. Aber gleichzeitig auch für jeden sehr viel Unsinn.

Wenn Omma bei dem „Hit Medley“ endlich auf ihre Schunkelkosten kommt, läuten bei „Mitten im Paradies“ keine Schlager- sondern Volksmusikglocken. Pop? Niente, lupenreiner Musikantenstadl. Am anderen Ende des Kontinuums stehen richtig böse Technoparts in „Achterbahn“, in denen man den letzten Schranzclub erreichen möchte (was hoffentlich niemals gelingen wird) oder rockige Ausrutscher im Übersong „Atemlos durch die Nacht“. Das Gleiche gilt für die Performances: die heterosexuellen Männer dürfen bei diversen knappen Outfits ordentlich sabbern; die Gay-Community kommt auf ihre Kosten, wenn die Sängerin auf dem Dach eines Autos durch den kompletten Innenraum gefahren und über ihr bunte Luftballons hängen oder mehrere Male regenbogenfarbenes Konfetti geschossen wird. Grade das steht doch gehäuft im Kontrast dazu, dass Helene bis im letzten Jahr sich bei politischen Äußerungen stets bedacht gehalten hat – ein Vögelchen muss ihr aber wohl gezwitschert haben, dass Toleranzmessages aktuell hochgefragt sind. Anders kann das ebenfalls populär gewordene „Regenbogenfarben“ mit Kerstin Ott gar nicht entstanden sein.

Und von solchen Widersprüchen gibt es einfach viel zu viele. Aus dem Deutsch-Pop/Rock-Klassiker „Verdammt, ich lieb dich“ von Matthias Reim wird eine versexte Version mit Stuhlchoreo, aus dem Westernhagen-Manifest „Freiheit“ ein Duett mit Ben Zucker, das gesanglich gut ist, aber von dem Purismus des Originals Galaxien entfernt bleibt. Alles hervorragend performt und auch von der achtköpfigen Band plus dreiköpfigem Backgroundchor durchgehend super vorgetragen, nur wünscht man sich ein Gesamtkonzept, das harmoniert. Positive Beispiele dafür sind selten gesät. Einer davon ist der mitreißende Pop-Schlager „Wir brechen das Schweigen“, das mal nicht an der „Liebe ist so schön“-Oberfläche kratzt, sondern immerhin ein bisschen in die Tiefe geht und einfach Spaß macht. Gleiches gilt für den Hit „Und morgen früh küss ich dich wach“, der, wie aber nahezu jeder Titel, mit schönen Publikumsgesängen unterstützt wird. Wie stark man aber probiert, jeden im Publikum mitzureißen, zeigt das völlig deplatzierte „90s Medley“, das von einem Crewmitglied mit den Worten „Wir bringen euch die 90er zurück“ eingeleitet wird – aha! Und warum? Weil Helene-Fans auch alle 90s-Fans sind, oder was? Wer braucht das? Man geht doch auch nicht zu Marilyn Manson und freut sich dann darüber, wenn der plötzlich was von Celine Dion covert. Seriously!

Helene selbst schafft es – so professionell ist sie eben – ab Sekunde 1 das Publikum von den Stühlen zu reißen und für lange, frenetische Applausszenen zu sorgen. Mitsingen, mitklatschen, mittanzen. Funktioniert. Umso trauriger sind die zwar zahlreich vorhandenen, aber emotional völlig kalten Dankesreden. Wow. Selbst da bleibt der Profimodus an. Der Gesang ist trotz eines Konzerts so stark bearbeitet und glattgebügelt, dass kaum gesagt werden kann, wie gut er eigentlich vor Ort war. Sämtliche Atmungen oder Unebenheiten wurden bearbeitet, sodass es ohne Applaus auch eine roughe Studioversion sein könnte. Ja, Helene singt gut, wissen wir alle, tut sie auch hier. Aber selbst wenn sie grade das Mikrofon weit vom Mund weghält, bleibt die Gesangslinie konsequent gleich laut. Das ist ein Stück weit Pfusch. Schade, auch hier bitte mehr Authentizität beim nächsten Mal. Größte Anti-Highlights: ein riesiges Herz, das als Rodeopferd herhalten darf und zu „Herzbeben“ lasziv beritten wird und das Outfit beim Finale „Achterbahn“, das es original so ansonsten in BDSM-Abteilungen gibt, indem sich dann in Wasserpfützen gerekelt wird.

Fazit: Helene Fischer Live – Die Stadion-Tour ist auf technischer Ebene ein Konzertprodukt, das es so in Deutschland bisher nicht gibt. Ohne Diskussion. Die Songs haben auch zur Hälfte ordentlich Hitpotenzial. Der Rest ist aber ein wenig wie ein Gang zu McDonalds. Man weiß, dass man es nicht tun sollte. Zwischendrin kann man trotzdem nicht widerstehen und findet es irgendwie auch lecker, besonders in Kombination mit ein wenig Alkohol. Bei Überverzehr wird einem jedoch schlecht und nach kurzer Zeit bekommt man Hunger nach was Richtigem.

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