Als Musicalfan fängt man irgendwann an, nicht mehr nur die Musicals zu zählen, die man so gesehen hat, sondern hat auch seine Lieblinge in den Besetzungen. Zwar gibt es immer bei jedem Darsteller ein bestimmtes Profil und somit auch nur eine überschaubare Auswahl an Rollen, die möglich sind, aber dennoch hat man bei den großen Stücken ganz klare Favoriten für den Hauptcharakter. Wer spielt die Elisabeth? Wer ist Graf von Krolock? Wer wird die nächste Elphaba?
Fünf der wohl bekanntesten Musicalpersönlichkeiten Deutschlands tun sich nun für die Show Die größten Musical Hits aller Zeiten zusammen. Das Konzept ist nicht neu. Die Revue gab es bereits vor einigen Jahren und dazu noch in einer sehr ähnlichen Besetzung. Zuletzt: Alexander Klaws, Roberta Valentini, Jan Ammann, Mark Seibert, Pia Douwes. Douwes wird für die neue Tour gegen Sabrina Weckerlin eingetauscht – auch nett, wobei an Douwes‘ Bühnenqualität wohl so schnell niemand mehr herankommen wird. Leider hat sich dann spontan noch ein weiterer verabschiedet: Mark Seibert ist erkrankt und darf in Berlin, Essen, Düsseldorf durch Dennis Henschel ersetzt werden, der zwar kein so großer Name ist wie die anderen Mitstreiter, aber dennoch einige Stücke hierzulande bereichern durfte. Die Show in Essen haben wir so wahrgenommen:
Natürlich handelt es sich bei so einem Event um eine klare Fanveranstaltung. Hier gehen keine Leute hin, die ab und an mal ein Musical schauen, sondern wirkliche Fans von einzelnen Darstellern oder Fans von mehreren Stücken, die heut Abend gesungen werden sollen. Dementsprechend ist das Publikum in Geschlecht und Alter bunt gemischt. Der Saal ist bis auf die letzten Plätze belegt. Die Bühne zeigt lange, glänzende Vorhänge, warme Farben und ein Podest für die siebenköpfige Band. Kurz vor Beginn betritt einer der Veranstalter die Bühne, erwähnt nochmal, dass Seibert krank ist und bietet die Möglichkeit, in den kommenden fünf Minuten die Vorstellung zu verlassen und sein Geld zurückzuverlangen. Eine sehr kulante Geste! Bravo.
Pünktlich beginnt der erste Akt. Es ist nicht ganz einfach, über die Show zu rezensieren, da mehrere Fragen beantwortet werden müssen: Wie funktioniert das Konzept, wie war der Gesang, was gab es für Besonderheiten?
Beginnen wir mal bei dem Konzept: Die Tour heißt Die größten Musical Hits aller Zeiten. Eigentlich sollte ein „Teil 2“ ergänzt werden, da es sich nicht um die gleiche Show wie vor einigen Jahren handelt. Natürlich decken sich viele Songs, aber eben nicht alle. Hier liegt dann auch schon das größte Problem – es gibt nur einmal „Die größten Hits“. Die verändern sich ja nicht jährlich. Somit liegt das Hauptaugenmerk auf der Auswahl, und die ist in der ersten Hälfte wesentlich gelungener als in der zweiten. Es gibt einen Disney-Block mit vier Songs aus Disney-Musicals (Die Eiskönigin, Tarzan, Das Dschungelbuch), fünf Titel zum Thema „Unsterbliche Hits“ aus diversen Stücken, vier Hits aus Ghost, fünf Mal Elisabeth und zum Opening Ich war noch niemals in New York. Dass für das relativ neue Ghost geworben wird, ist nett, aber mit vier Titeln überbesetzt. Aus Les Misérables gibt es „Bring ihn heim“, aber kein „Ich hab‘ geträumt vor langer Zeit“. Warum Ludwig² als Musical zu den „Unsterblichen Hits“ gehört, bleibt bis zum Ende ein Mysterium. Ebenso seltsam – Das Dschungelbuch ist auf Englisch, der Rest am Abend auf Deutsch. Zweiter Akt: gleich sechs (!) Mal Tanz der Vampire, drei Titel aus Die Päpstin (wer kennt es nicht?) und fünf Titel aus Compilation-Musicals, wie sie genannt werden (Rocky, Mamma Mia, Ich will Spaß, Hinterm Horizont, Wahnsinn, We Will Rock You). Positiv ist auf jeden Fall, dass mit 34 Titeln und 140 Minuten Spielzeit die Show eine ordentliche Länge aufweist und insgesamt 19 unterschiedliche und größtenteils sehr gute Musicals vorstellt. Negativ: kein Cats, kein Starlight Express, kein The Rocky Horror Picture Show, kein Grease, kein Miss Saigon, kein Der König der Löwen, kein Dirty Dancing – alles Stücke, die selbst Musical-Hater kennen sollten. Dafür aber Ich will Spaß, Hinterm Horizont, Wahnsinn, Die Päpstin und Ludwig². Unerklärlich und leider am Thema vorbei.
Der Gesang hingegen kann natürlich bei so erstklassigen Darstellern kaum daneben gehen. Falsche Töne kann man an dem Abend vielleicht an einer Hand abzählen, dafür aber über die Anzahl der sehr beeindruckenden Töne durchaus staunen. Gerade Valentini und Weckerlin liefern wirklich erstklassig ab. Sowohl bei „Wein nicht um mich, Argentinien“ als auch bei „Du“, „Ich gehör nur mir“ und „Das bin ich“ gibt es Gänsehautalarm. Klaws hat einen richtig guten Abend und zeigt das Beste, was in ihm steckt; Ammann und Henschel pendeln sich im mittleren Bereich ab und liefern nur Pflichtprogramm. Zwar rastet das Publikum bei „Die unstillbare Gier“ von Ammann komplett aus, was aber ein wenig übertrieben scheint und eher daran liegt, dass der Song einfach IMMER zieht. Wurde aber wirklich schon von mehreren Kollegen weitaus besser vorgetragen. Was leider besonders auffällt, ist, dass die Darsteller ansonsten Rollen spielen und es nicht gewohnt sind, konzertant zu funktionieren. Bis auf Klaws interagiert niemand mit dem Publikum oder der wirklich tollen Liveband – der kennt es aber immerhin noch von seinen Zeiten als Popsänger. Die anderen sind ausschließlich bei sich und bleiben eben Darsteller. Das führt dazu, dass ab und an ein wenig Langeweile aufkommt. Immerhin geschieht ansonsten nichts. Zwar wird ständig die Abendgarderobe gewechselt, aber weitere Elemente bleiben aus. Somit wirkt es auch seltsam, wenn bei einigen Stücken plötzlich die jeweilige Szene doch dialogisch und gestisch nachgespielt wird, nur eben nicht im Kostüm und bei anderen Titeln es dann wieder komplett weggelassen wird. Zum Finale gibt es bei We Will Rock You, Mamma Mia und Wahnsinn plötzlich eher steife und weniger coole Choreographien. Außerdem wirken die Anmoderationen zu den jeweiligen nächsten Blocks ein wenig willkürlich – einige werden von den Darstellern durchgeführt (Henschel liest ab und dazu noch falsch), andere kommen aufgenommen über Lautsprecher. Komisch.
Insgesamt fehlt es der neuen Auflage von Die größten Musical Hits aller Zeiten ein bisschen an Pep und auch ein wenig an stringentem Konzept. Ja, der Gesang ist natürlich auf technischer Ebene absolut hochkarätig, aber auch gerne mal etwas gefühlskalt und Pflichtprogramm. Es wäre wünschenswert, wenn zu einigen Stücken Requisiten genutzt werden, damit die gespielten Szenen besser funktionieren. Außerdem sollte, weil es sich eben um eine Gala anstatt um ein Musical handelt, mehr mit den Zuschauern geschehen. Was unbedingt bleiben muss: Die Tontechnik und die Band. Der Sound ist wirklich bravourös.
Fazit: Die größten Musical Hits aller Zeiten ist eine Tour für Hardcore-Musicalfans. Die werden hieran durchaus ihren Gefallen finden und können sich freuen, von ihren Favoriten auch mal untypischere Titel zu hören – Gelegenheitsgucker, denen die Personen egal sind, könnten jedoch einiges vermissen.
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Und so sieht das aus:
Bild von Christopher.
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