Die einst so spontane Zugabe ist zu etwas obligatorischem verkommen. Zu etwas, das man abhakt, weil man es eben muss, aber nicht weil man es möchte. Als die Rock-Giganten Muse im Kölner Stadion vergangenen Juni ihre Zugabe so dicht an das Ende des Mainsets drängten, dass ein Großteil der knapp 45.000 Fans diese nicht als Zugabe erkannten, tönten zu Konzertende gar Buhrufe und Pfiffe gen Bühne. Die geplante Zugabe scheint für viele Menschen so wichtig geworden zu sein, dass die Qualität eines Konzertes davon abhängt, ob ein Act während seiner Spielzeit zwischen zwei Songs von der Bühne geht, sich feiern lässt, um dann – oh, Überraschung! – wieder für einige Stücke zurückzukehren. Der Akt der Zugabe hat dadurch komplett an Aussagekraft verloren. Meint man.
Der sparsame Umgang hilft
Rolo Tomassi stammen aus demselben Staat wie Muse, aus Großbritannien. Ansonsten eint die beiden Bands recht wenig. Rolo Tomassi vermischen Math-Core, Jazz und Shoegaze zu einer beeindruckenden Soundwand und bewegen sich damit in ganz anderen Fangefilden. Die Band entdeckt niemand auf dem Weg zur Arbeit über die örtliche Radiostation oder über die großen Top-100-Playlists der Streaming-Portale. Wer Rolo Tomassi hört, kennt sich mit den Genres, mit denen das Quintett hantiert, aus und hört auch ansonsten viel progressive Musik. Die Sheffielder verzichten nahezu immer auf Zugaben. Das verleiht diesen wenigen Anlässen, zu denen die fünf Musiker nach Ende ihres Hauptsets erneut für einen oder zwei Songs auf die Bühne zurückkehren, einen gewissen Wert. Der Auftritt der Band im Kölner MTC, stellt eines dieser seltenen Male dar.
Gerade haben die fünf Briten ihren letzten Song gespielt. Sie schauen angetan ins Publikum, das gar nicht mehr zu Klatschen aufhören möchte. Nach und nach gehen die schweissnassen Musiker zum Bühnenausgang, um sich nach knappen 55 Minuten wieder in den Backstage zu bewegen. Als letztes schreitet James Spence zu der Tür. Der Keyboarder dreht sich kurz noch einmal um, versucht dem Tontechniker, der bereits laute Musik aus den Boxen schallen lässt, zu signalisieren, dass er und seine Kollegen doch noch nicht fertig sind. Die Musik bleibt zunächst trotzdem an. Die Band hält das nicht davon ab, wenig später wieder der Reihe nach aus der Tür zu treten, um noch einen weiteren Song zu spielen. Warum heute eine Zugabe?
Ein wahrhaftiges Wunderwesen
Als Rolo Tomassi eine knappe Stunde zuvor ihr Set mit dem chaotischen „Rituals“ eröffnen, scheint der Abend zunächst eher souverän und routiniert abzulaufen. Der Sound, der aus den Boxen in den langgezogenen Raum schallt, ist noch etwas breiig und auch das Publikum ist zwar aufmerksam, verhält sich jedoch zurückhaltend. Umso häufiger sich die Krach-Parts im weiteren Verlauf jedoch auch mit melodischeren Momenten, die oft mit den wunderschönen Piano-Motiven des Keyboarders unterlegt werden, abwechseln, umso euphorischer wird die Stimmung. Das geht wohl auch auf die Kappe der kleinen Frau in der Mitte, die wie ein Flummi über die Bühne schwebt und sich dabei so behutsam bewegt, dass man meinen könnte sie würde ein klassisches Ballett aufführen. Am beeindruckendsten ist jedoch der Kontrast, den ihr Stimmorgan zulässt: Mal krächzt und dröhnt die Stimme der zierlichen Frau fast schon bedrohlich in Richtung Zuschauerraum, mal schwirrt sie lieblich und einladend durch die Luft. Ja, Eva Spence, die Schwester des bereits erwähnten Tasteninstrumentalisten, ist ein wahrhaftiges Wunderwesen!
Dass die Band eine eigene, kleine Lichtkonstruktion dabei hat und stets von kühlen Farbtönen angeleuchtet wird, unterstützt dieses Spiel zwischen Hell und Dunkel. Zunehmend scheint die Menge von der Performance, die immer ekstatischer wird, mitgerissen zu werden. Der Applaus zwischen den wenigen Stücken, die nicht nahtlos ineinander übergehen, fällt immer lauter aus und zum epischen geplanten Schlusssong „A Flood Of Light“ bildet sich in der Mitte des Raums sogar ein energetischer Moshpit. Rolo Tomassi nehmen das alles sichtlich gerührt auf, bedanken sich mehrfach ausschweifend und kehren schlussendlich – obwohl sie zuvor angekündigt hatten, dass sie auf der Tour keine Zugaben geben – dann doch noch einmal auf die Bühne zurück. Zugaben können also doch über Aussagekraft verfügen – wenn sie spontan sind. Den anderen geplanten Scheiß braucht niemand mehr!
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Und so hört sich das an:
https://youtu.be/Fdyg8k5qZFM
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Foto von Jonas Horn.
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