Eurovision Song Contest 2025 – Alle Songs & Infos im Überblick

eurovision song contest 2025 visual

He broke the code, woah oh oh – wenn das Talent in Kombi mit dem eigenen Outing, das Mit-sich-selbst-im-Reinen-sein und der Mittelfinger zu gesellschaftlichen Konventionen zum Eurovision Song Contest 2024-Sieg reicht, hat man wahrscheinlich alles richtig gemacht. Der non-binäre Artist Nemo holte mit “The Code” zum dritten Mal den Pokal des größten Musikwettbewerbs der Welt in die Schweiz. 36 Jahre nach Céline Dion war es für unsere Nachbar*innen mal wieder so weit. Besonders in den jüngst vergangenen Runden gab es immer wieder hohe Platzierungen und richtig gute Beiträge, sodass ein Sieg überfällig wurde, obwohl die Schere zwischen Jury-Voting (Platz 1) und Televoting (Platz 5) bei Nemo so groß war wie noch nie.
Ein wenig überraschend, dass zum wiederholten Male weder Bern noch Zürich als Austragungsorte ausgewählt wurden. Stattdessen haben es besonders Fans aus Deutschland sehr nah: Der 69. ESC findet in Basel statt, das direkt hinter der Grenze zu Baden-Württemberg liegt. Kein Wunder somit, dass Deutschland hinter der Schweiz die meisten Tickets für die Shows in der St. Jakobshalle geshoppt hat.

Grüezi us de Schwiiz

Auch wenn sich die Schweiz gern unpolitisch zeigt, so ist der Sieg doch erneut das Gegenteil. Nemo löste mit seinem extravaganten Auftritt und seiner queeren Message große Debatten aus – mal wieder. Sowieso gab es so viel Ärger wie selten. Neben einem kontroversen Sieg gab es vorab riesige Demonstrationen gegen das Antreten der israelischen Sängerin Eden Golan sowie einen Backstage-Eklat rund um den niederländischen Sänger Joost, der sogar zu einer kurzfristigen Disqualifizierung führte, die sich später als nicht gerechtfertigt herausstellte. Wie schön es doch wäre, wenn bei all dem Stress da draußen dieses Mal einfach alles nett abläuft. Fingers crossed.

Das Superspektakel findet Mitte Mai in der multifunktionalen St. Jakobshalle statt, die für rund 12.000 Zuschauende Plätze bietet. Tickets für alle neun Shows (drei Liveshows sowie mehrere Generalproben und Jury-Shows) waren innerhalb von sieben (!) Minuten ausverkauft. Wer trotzdem eine der begehrten Eintrittskarten ergattern konnte, darf sich in der Stadt auf viele tolle Aktionen freuen, die schon angekündigt wurden. Abgerundet wird das Feel-Good-Package durch ein sehr sympathisch ausgewähltes Moderationstrio: Michelle Hunziker sowie Hazel Brugger sind jedem von uns ein Begriff. Sandra Studer ist die Dritte im Bunde, die schon mehrfach den Eurovision für die Schweiz kommentierte und bei “The Masked Singer Switzerland” als Pfau den zweiten Platz belegte. Dann kann ja wirklich nichts mehr schiefgehen.

Neuerungen

Ein Abschnitt, der dieses Jahr äußerst knapp ausfällt: Es gibt nahezu gar keine Veränderungen. Wirklich erwähnenswert ist lediglich der Rückzug von Moldau, was wir sehr bedauern, hat das Land doch immer mal wieder ein paar richtig starke Asse im Ärmel. Dafür kehrt Montenegro nach zwei Jahren Pause zurück.
Nach dem Eklat rund um Joost aus der Niederlande in Malmö gibt es ab sofort im Backstage Safespaces für die Teilnehmenden, in denen man sich zurückziehen kann. Auch Sicherheitsmanager*innen sind nun im Einsatz, um bei Konflikten schneller intervenieren zu können. Das war’s dann aber auch schon.

Wissenswertes zu den Live-Shows

Hier wie immer an dieser Stelle für euch alles, was ihr wissen müsst, um euch und eure ESC-Buddys perfekt vorzubereiten: Am 13.5. (Dienstag) startet um 21 Uhr das erste Semifinale, bei dem von 15 Acts zehn weiterkommen. Zwei Tage später, also am Donnerstag, dem 15.5., folgt zur selben Uhrzeit das zweite Semifinale, bei dem 16 Acts antreten und zehn ins Finale einziehen. Beide Shows könnt ihr auf eurovision.de und in der ARD Mediathek streamen sowie auf dem Fernsehsender ONE live schauen. Das Finale kommt wie gewohnt am Samstagabend um 21 Uhr auf allen drei Kanälen sowie auf Das Erste. Kommentiert wird in Deutschland zum zweiten Mal von Thorsten Schorn.

Doch nun geht es um das, worum es wirklich auch gehen sollte: Die Länder, die Acts, die Songs! Wir gucken uns alle 37 Länder an, geben erste Prognosen ab, was weiterkommt und was Samstag den 69. ESC nur von der Zuschauerbank mitbekommt. Den beliebten Sampler könnt ihr schon jetzt als CD kaufen, am 23.5. folgt das 3-LP-Set und vermutlich im Juni die DVD-Auswertung. Natürlich gibt’s alles auch zum Stream auf den gängigen Portalen. But now unsere Analyse, die sich vorerst überwiegend nur aus dem Musikalischen und einigen Auftritten vorab zusammensetzt. Let the Eurovision Song Contest 2025 begin!

Alle 37 Länder im Check

01. Albanien; “Zjerm”, Shkodra Elektronike (1. Halbfinale):
Wenig überraschend, dass dramatische Bauchtanz-Sounds aus Albanien für westeuropäische Ohren selten super smooth klingen. Und auch 2025 entscheidet sich das Land mit dem Duo Shkodra Elektronike eher für traditionelle als für internationale Klänge. Da mag der Name etwas in die Irre führen, aber elektronisch ist hier quasi gar nix. Auf jeden Fall Töne, die man beim ESC hören möchte, aber auch nicht super traurig ist, wenn sie übers Semi nicht hinauskommen.

02. Armenien; “Survivor”, Parg (2. Halbfinale):
Oh, das ist unangenehm. Direkt aus Cringe-City eingeflogen kommt der armenische Beitrag, der sich irgendwo zwischen Bambie Thug und Måneskin befindet. Viel prolliges Männer-Geschrei, eine unterirdische Hook. Rock generell immer super, das nicht. Eine der fünf schlechtesten Nummern des Jahrgangs. Hause rein.

03. Australien; “Milkshake Man”, Go-Jo (2. Halbfinale):
69. Eurovision Song Contest. 69. Sixty-Nine. Oder eher: Sexty-Nine. Ja, es liegt Horniness in der Luft. Australien droppt einen von drei äußerst sexuell aufgeladenen Titeln. Das Konglomerat aus Mika und Freddie Mercury aka Go-Jo sieht nach witzigem Cartoon aus und bietet mit “Milkshake Man” spritzige… ähm, mitreißende Lines wie “Sweet, sweet, yum, yum”. Das schlechtere “Cha Cha Cha” ist kein Totalausfall, aber auch eher abschreckend als betörend. Unterhält, aber keine drei Minuten lang.

04. Österreich; “Wasted Love”, JJ (2. Halbfinale):
Österreich, was ist mit euch? Nach drei unfassbar catchigen Dance-Pop-Hits, die sich alle gegenseitig mit ihren heftigen Ohrwurm-Refrains nur so überboten, fährt man 2025 das Tempo enorm zurück, die Gewinner-Schraube aber auf Maximum: Johannes Pietsch, Künstlername JJ, ist Opernsänger an der Oper Wien, war bereits im “The Voice UK”-Team von Will.i.am und sorgt mit seiner Artsy-Pop-Ballade “Wasted Love” für mehrfache Ohrgasmen und offene Münder. Erst ist es nur die Stimme, dann ist es der wie ein Wasserfall auf einen zuschwappende Refrain und am Ende ist es der Beat-Break. Alles zusammen schreit nach Platz 1 im Jury- und nach mindestens Platz 4 im Televoting. Das dürfte mit großer Sicherheit für den Gesamtsieg reichen. Wenn das live klappt und die Inszenierung dem Ganzen gerecht wird, wird das nicht weniger als atemberaubend.

05. Aserbaidschan; “Run With U”, Mamagama (1. Halbfinale):
Kennen wir alle: Es ist ein Song, den wir im Radio richtig gut fänden, beim ESC ganz cool, dem wir aber danach wahrscheinlich keine allzu große Beachtung mehr schenken. Mamagama liefern eingängigen Indie-Pop mit mitreißenden Facetten, einer guten Hook und einer folkloristischen Gitarre. Viel Potenzial für einen kleinen Sommerhit, nicht ganz so viel für den größten Musikwettbewerb der Welt. Daumen drücken, dass Aserbaidschan das Finale sehen darf! Wackelkandidat.

06. Belgien; “Strobe Lights”, Red Sebastian (1. Halbfinale):
Sobald Belgien den ESC-Song droppt, ist eigentlich immer klar, dass Dark-Pop ins Spiel kommt. Ganz davon trennen konnte man sich auch in “Strobe Lights” von Red Sebastian nicht. Der hat übrigens rote Haare und ist komplett rot angezogen. Crazy. Letztendlich fehlt es dem clubbigen Trance-Song aber an Durchschlagskraft. Baut gut auf, um dann zu viel zu versprechen, was nicht gehalten werden kann. Enttäuscht schnell und wird deswegen wahrscheinlich das Semi nicht überstehen.

07. Kroatien; “Poison Cake”, Marko Bošnjak (1. Halbfinale):
Mit einer gruseligen Voodoo-Zeremonie steuerte Irland letztes Jahr zielsicher auf einen ziemlich guten 6. Platz zu. Solche Performances sind aber deswegen gut, weil sie überraschen. Macht man das im Folgejahr zu ähnlich, wird das gnadenlos abgestraft. Und ja, Kroatien wirkt mit seinem “Poison Cake” zu konstruiert schräg und edgy. Der Song hat keine Substanz und nervt spätestens beim Refrain entschieden zu doll. Ein Fast-Gewinn für die Balkan-Nation 2024, 2025 ein Ende im Semi. Ziemlich sicher.

08. Zypern; “Shh”, Theo Evan (1. Halbfinale):
Privat sind Songs, die man etwas häufiger hören muss, gar nicht so schlecht. Drei, vier Durchläufe, manchmal vielleicht sogar zehn – und irgendwann liebt man’s plötzlich. Das hat für uns mit Zypern bisher nicht funktioniert. Außerdem hat man beim Eurovision ja eh nur eine Chance. Was man sich mit “Shh” gedacht hat, kommt so gar nicht durch. Das ist ganz viel Kuddelmuddel. Electro, Dark-Pop, Stimmverzerrer, Gay-Disco, Drama. Am Ende hat’s niemand verstanden. Steht und fällt mit der Inszenierung.

09. Tschechien; “Kiss Kiss Goodbye”, Adonxs (2. Halbfinale):
Es ist das Jahr der merkwürdigen Brüche. Auch “Kiss Kiss Goodbye” wechselt nach fast zwei Minuten die Richtung und lebt plötzlich nur noch durch seine Spielereien. Aber das rettet den drögen Midtempo-Pop auch nicht mehr. Adonxs gehört optisch zu den Highlights und hat dafür einen viel zu gewöhnlichen Titel. Das frustriert dann fast noch mehr.

10. Dänemark; “Hallucination”, Sissal (2. Halbfinale):
Zugegeben: “Hallucination” ist alles andere als kreativ. Hausfrauen-2000er-Dance-Pop kommt hier viel zu spät – allerdings präsentiert Sissal die generische Komposition mit so viel Power in den Vocals und so viel Sympathie im Gesicht, dass man das Paket am Ende doch irgendwie mag. In einem stärkeren Jahrgang wäre das Fressen für die Löwen, im mittelmäßigen 2. Halbfinale könnte es aber durchaus fürs Finale reichen.

11. Estland; “Espresso Macchiato”, Tommy Cash (1. Halbfinale):
Neben Stilbrüchen gibt es noch ein weiteres wiederkehrendes Element 2025: Humor. “Espresso Macchiato” aus Estland? Ja. Der sowieso schon sehr erfolgreiche Comedian Tommy Cash huldigt dem italienischen Heißgetränk und seinem dazugehörigen Land und macht aus der Thematik einen dermaßen stumpfen, aber wirklich unverschämt einprägsamen Billo-Ohrwurm, dass man sich sehr schnell dabei erwischt, es den ganzen verdammten Tag lang immer und immer wieder zu singen. Besonders vor der Kaffeemaschine. Dazu kommt ein wirklich ikonischer Tanz und ein kultiges Outfit – und wir haben einen Anwärter für die Top 5 im Televoting. Liebt man, weil es einfach echt gut entertaint. Und irgendwo ist’s halt immer noch ‘ne Unterhaltungsshow.

12. Finnland; “Ich komme”, Erika Vikman (2. Halbfinale):
“Sexy 69”, Part II. Und jetzt gnadenlos auf die Zwölf. Erika Vikman hat’s nicht so mit Subtilität, stattdessen ist der finnische Beitrag so mit Sex durchtränkt, dass es eigentlich nur nervt. Nicht falsch verstehen: Wir sind nicht prüde! Aber wenn man sein Lied schon “Ich komme” nennt und einen weiblichen Orgasmus vertont, dann doch bitte zumindest musikalisch gut. Allerdings ist “Ich komme” weder kreativ komponiert noch gesanglich stark. Stattdessen gibt’s einen Lack-Fummel, Knickknack-Bewegungen und ein abruptes Ende, weil Erika es dann zum Höhepunkt gebracht hat. Aha. Bei den Wettquoten vorne mit dabei, im Kern aber einfach nur lame.

13. Frankreich; “Maman”, Louane (bereits fürs Finale qualifiziert):
Louane? Louane! Schon mal gehört? Aber sicher doch, denn “Avenir” war vor genau einer Dekade auch bei uns ein Top-3-Hit. “Maman” ist – ja, das kommt jetzt super überraschend – eine Hommage an ihre verstorbene Mutter. Gen Ende gibt es sogar kurz ihr eigenes Kind zu hören. Drei Generationen, sweet. Leider trägt die nette Idee etwas zu dick auf und ist am Ende doch nur ein solider Franco-Chanson. Völlig in Ordnung, aber nicht mehr. Und da war mehr drin.

14. Georgien; “Freedom”, Mariam Shengelia (2. Halbfinale):
Ohne völlig überladene Ballade auf einer Sprache, die man nicht versteht, kein ESC. “Freedom” besitzt zwar ein paar englische Parts, funktioniert über weite Teile aber auf Georgisch. Man hört, dass Mariam Shengelia es wirklich fühlt und sich viel Leid von der Seele singt. Gleichzeitig fällt bei dem Klagegesang aber auch eine richtige Last von einem, wenn man die drei Minuten geschafft hat. Könnte trotzdem das 2. Semi überstehen, einfach, weil es ja Leute geben soll, die sowas wirklich mögen und mit Empathie weitervoten. Ok.

15. Deutschland; “Baller”, Abor & Tynna (bereits fürs Finale qualifiziert):
Wie? Was ist da denn los? Good ol’Germany ist aus seinem gefühlt 200 Jahre andauernden Schönheitsschlaf aufgewacht und macht jetzt ernst. Nach einem vergleichsweise ganz schön aufwändigen Vorentscheid mit Stefan Raab als Jury-Lead, steuert das ausgesuchte österreichische Geschwister-Duo Abor & Tynna im Speedtempo auf Top 10 zu. Funktionierte Isaak im vergangenen Jahr dank starker Gesangsskills bei den internationalen Jurys, so ist “Baller” 2025 einer der ganz großen Fan-Lieblinge und einer der derbsten Partytracks der Saison. Selten klang Eurovision so im Jetzt, noch seltener traute sich Deutschland authentische deutsche Musikkultur zu senden. Der hookige Elektro-Popper ist wahnsinnig gut, macht unglaublich Bock und dürfte nach einer fast zwei Monate andauernden Kehlkopfentzündung von Tynna, die nun endlich auskuriert ist, auch gesanglich funktionieren. Performancetechnisch wird übrigens ein Knaller versprochen. Ok, dann reißt ab! Wir sind sowas von heiß.

16. Griechenland; “Asteromata”, Klavdia (2. Halbfinale):
Nach dem mutigen A-cappella-Intro aus Griechenland könnte auch ein mystischer Thriller in irgendeiner Wüste folgen. Haunting. Wäre nach zehn Sekunden nicht schon sämtliche Puste ausgegangen. “Asteromata” entwickelt sich letztendlich zu einem “Kenn ich den Song nicht?”-Anti-Classic. Sehr viel Bekanntes, minimal Überraschendes. Ein “Hab ich kaum bemerkt, schon war’s vorbei”-Flutschi.

17. Island; “Róa”, VÆB (1. Halbfinale):
Ok, fair: Kreativ ist Island 2025 auch nicht. Aber es ist einfach Fun. “Róa” klingt wie ein Rudiment aus der vor-vor-vorletzten Fußball-WM, das ist äußerst old school, aber auch ganz schön powerful. Außerdem braucht jeder gute Jahrgang Zwillinge. Billig-gut, gut-billig. 3 Minuten Jumpstyle-Contest in eurem Wohnzimmer sind safe.

18. Irland; “Laika Party”, Emmy (2. Halbfinale):
Man wäre wirklich nicht darauf gekommen, dass nach dem krassen 6. Platz von Bambie Thug im vergangenen Jahr Irland nun auf lupenreinen 90s-Eurodance setzt. Emmy und ihr “Laika Party” sind das liebeswerteste Guilty Pleasure, was die Gegenwart für uns bereithält. Und jetzt macht euch für einen Cuteness Overload bereit: “Laika Party” ist eine Hommage an den ersten Hund im Weltall, Laika, der schon wenige Stunden nach dem Start starb. Emmy gönnt dem Tier aber sehr viel mehr und stellt sich vor, dass Laika dort oben mit vielen anderen Hunden eine dicke Party steigen lässt. So, jetzt könnt ihr’s gar nicht mehr haten. Tanzt lieber eine Runde. “Bam bam, ba ra ram bam bam bam bam bam.”

19. Israel; “New Day Will Rise”, Yuval Raphael (2. Halbfinale):
Unser größter Wunsch: Bitte lasst Israel einfach entspannt antreten. Danke. Nachdem wir mit diesen Worten zum Weltfrieden ein kleines Stück beigetragen haben, widmen wir uns dem etwas kruden Song “New Day Will Rise”. Ein Fazit ist wirklich arg schwer. Irgendwie schön, irgendwie konstruiert. Irgendwie überraschend, irgendwie wahnsinnig berechenbar. Englisch, Französisch, Hebräisch. Ganz viel auf einmal. Bedeutungsschwanger. Nach dem ähnlich übergroßen “Hurricane” aus der vergangenen Saison wird auch das seine Fans finden, aber gleichzeitig fühlt man sich von der soliden Ballade schon ein wenig manipuliert.

20. Italien; “Volevo essere un duro”, Lucio Corsi (bereits fürs Finale qualifiziert):
Den italienischen Vorentscheid, das traditionelle Sanremo-Festival, gewann Olly mit dem Song “Balorda nostalgia”. Damit darf er automatisch auch Italien beim Eurovision Song Contest vertreten, allerdings geht er lieber auf seine eigene Tour. Ok, bye! Stattdessen sieht man im Mai den Zweitplatzierten, nämlich Lucio Corsi. Der sieht optisch aus wie ein sehr viel jüngeres Mitglied der Glamrock-Band Kiss. Offensichtlich soll man auch musikalisch solche Assoziationen bekommen – funktioniert nur beim Hören von “Volevo essere un doro” (Deutsch: “Ich wollte ein harter Kerl sein”) exakt zero. Hat zweifelsfrei einen gewissen Retrocharme, ist aber so plätschernd und langweilig, dass es nach sieben Top-7-Platzierungen erstmalig nicht für die Top 10 reichen wird. Für Italien eine derbe Enttäuschung.

21. Lettland; “Bur man laimi”, Tautumeitas (2. Halbfinale):
Zwischen 2017 und 2023 hat es kein einziges Mal für Lettland fürs Finale gereicht. Letztes Jahr war eine Ausnahme. Ganz ehrlich: “Bur man laimi” (Deutsch: “Bring mir Glück”) ist gar nicht so schlecht. Nennen wir es: Das Beste von den hintersten Plätzen. Zunächst wirkt der weiße Chor-Gesang von sechs Lettinnen ganz spannend, aber der Content ist so dünn, dass schon nach 30 Sekunden das Lied vorbei sein könnte und man alles gehört hätte.

22. Litauen; “Tavo akys”, Katarsis (2. Halbfinale):
Kennt ihr das, wenn ihr euch manchmal mit Menschen unterhaltet und diese so depressiv auf euch wirken, dass sie nur in wenigen Stunden euer gesamtes Leben aus euch heraussaugen und euch danach wie eine Hülle wirken lassen? Das schafft der wirklich katastrophale Beitrag aus Litauen in unter drei Minuten. Selten fühlte sich ein ESC-Beitrag so suizidal an. Das ist schon sehr schwer aushaltbar. Möge das breite Publikum im Finale von diesem Terror verschont bleiben.

23. Luxemburg; “La poupée monte le son”, Laura Thorn (2. Halbfinale):
Als letztes Jahr nach 28 Runden Pause Luxemburg zum Wettbewerb zurückkehrte, war die Sensation perfekt. Zwar reichte es für das süße “Fighter” nur für Platz 13, aber das war auch irgendwie ok. Mit “La poupée monte le son” möchte die sogar in Luxemburg geborene, 25-jährige Laura Thorn der großen France Gall huldigen, die vor genau 60 Jahren für dasselbe Land mit “Poupée de cire, poupée de son” den Sieg holte. Der Text wird modernisiert aufgegriffen und soll zeigen, dass Frauen 2025 alles andere als püppchenhaft zu sein haben. Zuckerwatten-Pop, der einem ein Lächeln aufs Gesicht zaubert und drei Minuten beseelt. Das ist doch auch mal ganz angenehm.

24. Malta; “Serving”, Miriana Conte (2. Halbfinale):
“Sexy 69”, Part III. “Kant” ist das maltesische Wort für “Gesang”. Komplett auf Landessprache sang das Mini-Land zuletzt vor einem halben Jahrhundert, doch für den 69. ESC macht man natürlich gern eine kleine Ausnahme, wenn die ordentlich Doppeldeutigkeit liefert. Miriana Conte lässt sich ihren Mund nicht verbieten und singt schamlos “Do-Re-Mi-Fa-S-S-Serving Kant” – zumindest war das geplant. Weil “Kant” aber an irgendein anderes englisches Wort erinnert, fühlte man sich schwer getriggert und zensierte die Nummer. Nun singt die Sängerin statt “Kant” ein gehauchtes “Ahhh” und das Publikum darf den Rest übernehmen. Witziger Kontext, aber auch ein ganz cooler Beitrag. Starke Performance von einer curvy Künstlerin, die alles gibt. Auch nicht schlecht: Die Hook bucht sich mit einem Fingerschnipp ein Zimmer in diversen Hirnarealen.

25. Montenegro; “Dobrodošli”, Nina Žižić (2. Halbfinale):
Sie gibt sich Mühe. Tut sie wirklich. Nina Žižić stirbt in ihrer Drei-Minuten-Chance mehrere Tode. Nur ist das alles wahnsinnig altbacken. Auch wenn Montenegro nach zwei Jahren Pause das einzige Land in dieser Ausgabe ist, das zurückkehrt, bemerkt man viel zu schnell, dass man nichts vermisste. Das letzte Mal stand Montenegro 2015 im Finale – das bleibt dann wohl 2025 auch so. Balkan-Klagegesang. Nothing left to say.

26. Niederlande; “C’est La Vie”, Claude (1. Halbfinale):
Eigentlich ist “C’est La Vie” von dem im Kongo geborenen Niederländer Claude nichts wirklich besonderes. Aber hin und wieder kann man sich nicht erklären, warum man auf so manchen Track flasht. “C’est La Vie” vermittelt ein unglaublich warmes Gefühl, das sich um einen legt. Der Tempi-Wechsel zwischen Walzer-Dreiertakt in den Strophen und uplifting Clap-Beat im Chorus kommt super, die Stimme des Sängers fruchtet. Das hat richtige ESC-Vibes, fühlt sich einfach nur gut an und könnte mit der richtigen Inszenierung das Dark Horse des Jahrgangs sein.

27. Norwegen; “Lighter”, Kyle Alessandro (1. Halbfinale):
Von so starken Nationen wie Norwegen darf man immer etwas mehr erwarten. Leider wird das mit “Lighter” nicht erfüllt. Kyle Alessandro ist so generisch, so normal, so solide, dass der “Will ich nochmal hören”-Effekt nicht einsetzt. Nicht falsch verstehen, “Lighter” ist völlig ok. Aber für Norwegen entschieden zu wenig. Nach einem ganz schön enttäuschenden letzten Platz im Finale 2024, wird das skandinavische Land wohl auch 2025 zwar in die letzte Runde kommen, aber auch da nur das hintere Drittel sehen.

28. Polen; “Gaja”, Justyna Steczkowska (1. Halbfinale):
Ein Comeback nach drei ganzen Dekaden: Justyna Steczkowska war nicht nur bereits 1995 für Polen im Wettbewerb und belegte Platz 18, sie ist heute mit 52 außerdem die älteste Teilnehmende des gesamten Wettbewerbs. An Energie spart die Polin trotzdem nicht einen Funken ein und liefert eine so überfrachtete Trash-Performance ab, dass man das Spektakel ironisch gern abfeiern darf. Das ist super lustig, fesselnd und holt sämtliche Entertainment-Taschenspielertricks heraus, bis wirklich alle ihr ihre Aufmerksamkeit schenken. Als einzige weibliche Solistin im ersten Semifinale wird das auf jeden Fall auffallen und so ein Ticket für den Samstagabend ziehen. Rein musikalisch ist “Gaja”, das nicht mal einen wirklichen Refrain besitzt, aber schon eher grottig statt gottig. Oder so.

29. Portugal; “Deslocado”, NAPA (1. Halbfinale):
In einer fairen Welt, in der Musikalität zählt, wäre “Deslocado” aus Portugal ein Song, der einem richtig gut gefällt. Aber hier sind wir eben beim Eurovision. Hier wollen wir in your face. Als schöne Hintergrundbeschallung an einem sonnigen Tag auf einer Liege beim Chillen darf die Indie-Pop-Band gerne laufen, hier ist das aber einfach zu unaufgeregt – oder vielleicht deswegen genau richtig? Sagen wir so: Fällt beim ersten Semi aus dem Rahmen, aber wie viele Menschen am Ende dafür stimmen, ist fraglich…

30. San Marino; “Tutta L’Italia”, Gabry Ponte (1. Halbfinale):
Ähnlich wie Island klingt auch San Marino nach WM-Fußballstadion-Stampfer. Sowieso klingen die Songs ganz schön ähnlich. Crazy. “Tutta L’Italia” von dem 52-jährigen Gabry Ponte – das ist übrigens einer von drei Gründungsmitgliedern von Eiffel 65, die mit “Blue (Da Ba Dee)” – ist auch wie aus der Zeit gefallen, hat aber dank seines Mitsingrefrains die Möglichkeit, erstmalig besser abzuschneiden als Italien. Das wäre echt insane. Der perfekte Moment, um mit einem Grappa anzustoßen! Salute!

31. Serbien; “Mila”, Princ (2. Halbfinale):
Von den tragic Balladen kommt Serbien am besten weg. “Mila” von Princ ist berührend, im Finale ganz schön bombastisch, keine Neuerfindung diverser Räder, aber ein Titel, den man so zumindest einmal beim ESC hören möchte. Finale gern, dann ein Platz 20 plus/minus 3.

32. Slowenien; “How Much Time Do We Have Left”, Klemen (1. Halbfinale):
Schicksalsschläge sind häufig die beste Inspiration. Klemen aus Slowenien verarbeitet in seinem Titel die Krebserkrankung seiner Frau. “How Much Time Do We Have Left” ist musikalisch arg kitschig, inhaltlich aber natürlich eine Message, die man nicht oft genug mitgeteilt bekommen kann. Am Ende schwankt man zwischen Deplatzierung und Berührung. Wahrscheinlich funktioniert das schwere Thema des Sängers, der übrigens ansonsten regelmäßig Putin-Parodien veröffentlicht, nur bedingt. Auch wenn’s ein hübsches Liedchen ist, wird das Ganze im 1. Semi sehr wahrscheinlich wenig gewürdigt. So hart wie das auch ist.

33. Spanien; “Esa diva”, Melody (bereits fürs Finale qualifiziert):
Kastagnetten im Intro, spanisches Temperament in den Vocals, Diva-Haltung, campy Hook – die Zutaten, aus denen eine Eurovision-Suppe gemacht wird. Melody fackelt mit “Esa diva” einen ab und funktioniert neben dem polnischen oder finnischen Beitrag um Längen besser.

34. Schweden; “Bara Bada Bastu”, KAJ (1. Halbfinale):
Funfact: Bei den Buchmacher*innen, die vorab wetten, wer den Eurovision Song Contest gewinnt, steht Schweden regelmäßig auf der 1, obwohl noch nicht mal entschieden ist, wer für geteilten Rekordhalter mit sieben Siegen überhaupt antritt. Nach dem letzten Sieg von Loreen vor zwei Jahren, sieht es aktuell gar nicht so schlecht aus – womöglich könnte in der Nacht vom 17. auf den 18.5. Schweden mit acht Siegen der alleinige erste Platz gehören. Dabei ist der Beitrag so überraschend und frisch wie seit Dekaden nicht mehr – seit der Regelabschaffung 1998, dass auf Landessprache gesungen werden muss, wird erstmalig wieder auf Schwedisch geträllert. Das finnische Comedy-Trio KAJ hat Top-Favorit Måns Zelmerlöw (Sieger für Schweden 2015) ausgestochen und mit “Bara Bada Bastu” eine Hymne übers Saunieren an den Start gebracht. Super witzig, super mitreißend und kultig. Klar ist der Sieg nicht, schließlich könnten hier einige Jurys streiken. Bei Fans ist der catchy Schlager-Pop aber jetzt schon fester Bestandteil jeder Playlist.

35. Schweiz; “Voyage”, Zoë Më (bereits fürs Finale qualifiziert):
Unsere Gastgeber*innen aus der Schweiz kehren zu der Strategie zurück, die sie gefahren sind, bevor sie mit Nemo den Sieg holten. “Voyage” ist ein wahnsinnig intimer, ganz leiser, träumerischer Seelenstreichler und die beste Ballade des diesjährigen Eurovision Song Contest. Das ist ganz wundervoll, eine Art Musik gewordener Stirnkuss. Contemporary-Pop mit viel Streichereinsatz und elfenartigen Vocals.

36. Ukraine; “Bird of Pray”, Ziferblat (1. Halbfinale):
Um unserem Bildungsauftrag zu folgen: Wusstet ihr, dass das Wort “Ziffernblatt” seinen Ursprung in der ukrainischen Sprache hat? Gern geschehen! Wie jedes Jahr überrascht die Ukraine trotz schrecklicher Umstände auch in dieser Runde mit einem unerwarteten und wenig durchschaubaren Song. Das artsy Rock-Trio Ziferblat pfeift auf Gefälligkeiten und liefert Prog-Rock, der auf traditionelle Folklore trifft. Spannend, aber auch schwer greifbar. Nach einem sensationellen Beitrag aus dem vergangenen Jahr und einem fast schon unterbewerteten dritten Platz, wird die Ukraine auch 2025 so wie alle Runden zuvor ins Finale ziehen, dann aber womöglich nur in der zweiten Tabellenhälfte landen.

37. Vereinigtes Königreich; “What the Hell Just Happened?”, Remember Monday (bereits fürs Finale qualifiziert):
Wenn der Name Programm ist. Viel gewollt ist nicht unbedingt viel gekonnt. Obwohl die Girlgroup Remember Monday starken dreistimmigen Gesang liefert, ist vor allen Dingen einfach die Komposition von “What the Hell Just Happened?” einfach ganz großer Murks. Mit wirklich allen Mitteln wird versucht, ein edgy Überraschungs-Ei zu modellieren, bei dem alle paar Sekunden ein neuer Song beginnt. Musical-esque, nur so überfordernd, dass man spätestens nach der Hälfte gedanklich komplett aussteigt. Das ist pures Schauspiel, strukturlos, zusammengezockt und einfach fremdschämig. Behaltet den Song als Klo- oder Kippen-Pause im Hinterkopf.

Fazit & Prognose

Musikalisch zeigt sich der Eurovision Song Contest 2025 eher dürftig. Hört man durch die Playlist durch, könnte das durchaus ernüchternd wirken. Allerdings ist der humorige Anteil so groß wie noch nie, gleichzeitig auch der Anteil auf Landessprache – besonders Letzteres wird sich immer wieder gewünscht. Wie immer ist die Bildebene absolut notwendig, um bei einigen das Hitpotenzial zu entdecken. Nicht zuletzt gibt es mit Schweden und Österreich zwei große Lieblinge – allerdings darf die Niederlande, Finnland und vielleicht sogar Frankreich nicht unterschätzen. Schaltet einfach ein und lasst euch reinsaugen! It’s crazy, it’s party!

Unsere Prognose für die Gewinner*innen des 1. Halbfinales: Aserbaidschan, Zypern, Estland, Island, Niederlande, Norwegen, Polen, San Marino, Schweden, Ukraine

Unsere Prognose für die Gewinner*innen des 2. Halbfinales: Österreich, Australien, Dänemark, Finnland, Georgien, Irland, Israel, Luxemburg, Malta, Serbien

Hier nochmal der Siegertitel aus 2024:

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Die Rechte fürs Cover liegen bei EBU/Eurovision Song Contest.

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