Fick dich Corona: Das Virus und die Kultur-Branche

Wir schreiben das Jahr 2020. Es ist Mitte März. Große Teile Asiens, Australiens, Nord- und Süd-Amerikas sowie Europas werden von einem Virus heimgesucht, das sich rasend schnell verbreitet und gleichsam seiner langen Inkubationszeit wegen – knapp zwei Wochen kann es laut aktuellem Stand dauern, bis sich erste Symptome zeigen – Tücken hat. Corona (in Wissenschaftssprache: SARS-CoV-2) heißt diese Erreger, die durch es ausgelöste Krankheit nennt sich COVID-19. Im schlimmsten Fall führt diese zu einer Lungenentzündung. Die ist vor allem für ältere Menschen und solche mit einer Vorerkrankung gefährlich. Soweit erstmal zu den Kurzfakten.

Die Eindämmung des Virus und deren Folgen

Die Politik hört in vielen Staaten auf die Wissenschaft – Halleluja – und versucht mit verschiedensten Mitteln die schnelle Verbreitung des Virus einzudämmen. Das ist eine sinnvolle Methode, wie vergangene Pandemien zeigen. Wie wichtig gerade die Eingrenzung von Infektionen zu Beginn eines solchen Ausbruchs ist, bezeugen verschiedenste Infografiken. Dass das Virus so gefährlich ist, liegt nämlich erstmal gar nicht an der von ihm ausgelösten Krankheit, sondern ist seiner flotten Verbreitung geschuldet: Überlastete Gesundheitssysteme können schlussendlich nicht mehr sicherstellen, dass alle Erkrankten ausreichend versorgt werden. Das Resultat davon: Mehr Tote.

Der wirtschaftliche Schaden, der mit einem solchen Teil-Shutdown einhergeht, wird wohl immens ausfallen: Die Nachfrage und damit der Absatz an Produkten und Dienstleistungen sinkt und viele Menschen können weniger oder gar nicht arbeiten. Dass die deutsche Wirtschaft deshalb in eine Rezession rutscht, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Immerhin hatten die Wirtschaftsweisen bereits im vergangenen Jahr eine schwache wirtschaftliche Entwicklung für die kommenden Quartale prognostiziert. Da war Corona mit seinen Nebenfolgen noch nicht mal inbegriffen. Statt einem Rückgang des Wachstums halten viele Wirtschaftswissenschaftler daher eine Rezession – ein schrumpfendes BIP – nun für sehr wahrscheinlich. Erst heute hat die deutsche Regierung der Wirtschaft deshalb Hilfen in Form von Kreditprogrammen zugesagt. Die Tage erleichterte man zudem bereits die Kurzzeitarbeit.

Der gesellschaftliche Mehrwert der Kultur

Einen wichtigen Bereich unseres Zusammenlebens trifft die Corona-Pandemie ebenfalls hart: Die Kultur-Branche. Kein Wirtschaftsbereich steht seiner Natur wegen so sehr für gesellschaftlichen Wohlstand wie Musik, Theater, Film und Kunst. Menschen besuchen Konzerte, gehen ins Kino oder Theater, schauen sich Museen an und tauschen sich im Anschluss vielfach über das Erlebte aus. Genau nach dem Prinzip funktioniert auch unser bescheidener Blog. Für viele Menschen stellen gerade solche Aktivitäten einen großen und wichtigen Teil der Lebensrealität dar. Sie bilden Hobbys und schaffen Freundschaften. Damit geht immer auch eine deutliche Verbesserung des eigenen Wohlbefindens einher. 

Außerdem trägt Kultur vielfach zum gesellschaftlichen Diskurs bei. Davon zeugen viele Beispiele: Rap-Musik überspitzt gesellschaftlichen Sexismus, der Punk prangert plakativ Polizeigewalt an, die moderne Kunst stellt die kapitalistische Ausbeutung in den Mittelpunkt ihrer Werke und das Schauspiel behandelt die Wirkungsweisen des Patriarchats. All das regt Diskussionen und Gedankenspiele an, wird in den jeweiligen Bubbles heiß diskutiert und von Medien vielfach aufgegriffen. Wenn die Kultur-Branche ins Schwanken gerät, wirkt das also nicht nur auf die Branche selber, sondern hat auch gesellschaftliche Folgen. Für uns, dich, alle.

Wie wichtig Kultur-Schaffende für unsere Gesellschaft sind, honoriert die freie soziale Marktwirtschaft nur beiläufig. Wie auch in vielen sozialen Berufen ist hier oft nicht das große Geld zu holen, um Festanstellungen wird einem Ringkampf gleich gerangelt und Freiberufler dominieren in vielen Sub-Branchen das Gesamtbild. Gleichzeitig herrschen vor allem im Veranstaltungs-Gewerbe Arbeitszeiten vor, die Menschen an ihre Grenzen treiben und soziale Kontakte erschweren. Konzerte finden nunmal abends statt.

Die fatalen Auswirkungen auf den Kultur-Sektor

Im Folgenden liegt der Blick unseres Fokusses auf auditive Medien wegen vor allem auf der Musik-Szene. Die ist von der versuchten Eingrenzung von SARS-CoV-2 vorrangig durch die Absage und Verlegung von Konzerten betroffen. Die Bundesebene sprach am vergangenen Dienstag die Empfehlung aus Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen abzusagen. Die meisten Bundesländern und Kommunen setzten diese Aufforderung in Verbote um. Die Folge: Massig Tourneen wurden entweder gecancelt oder verschoben. So zog die Kölner Indie-Band AnnenMayKantereit mit den letzten fünf Shows ihrer Arena-Tour in den Spätsommer. Kraftklub-Frontmann Kummer musste gar seine komplette Hallen-Tournee in denselben Zeitraum schieben. Die Liste solcher Beispiele ist lang und wächst nahezu minütlich.

Einige Veranstalter versuchten im Anschluss die 1000er-Grenze mit kleinen Tricks zu umgehen. Die Konzerte des britischen Rappers Orange Rex County in Köln und Berlin wollte der Veranstaltungs-Riese Live Nation jeweils auf zwei Konzerte am selben Tag verteilen, um diese magische Marke nicht zu überschreiten. Die Perfidität dieses Vorgehens bemerkte das Unternehmen wohl selber schnell. Wenige Stunden später wurden die Konzerte doch noch gestrichen. Mittlerweile hat Live Nation nahezu alle seine Events für den März abgesagt oder verschoben.

Vor welch großem Zwiespalt Clubs und Hallen sowie Örtliche und Tourveranstalter stehen, offenbart ein offener Brief des Kölner Club Bahnhof Ehrenfelds an die hiesige Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Eigentlich fallen alle Veranstaltungen in den Lokalitäten der Betreiber unter die entscheidende Zahl. Moralisch korrekt werden Konzerte und Partys dadurch jedoch noch lange nicht. Auch wenn die Clubbetreiber eigentlich aus Sicherheitsgründen keine Veranstaltungen abhalten wollen, so sind sie doch indirekt dazu gezwungen, weil die wirtschaftlichen Schäden sie ansonsten zu Boden reißen. Untersagt im Gegensatz dazu das Gesundheitsamt Events, so haften die Veranstalter nicht. In solchen Fällen stehen ihnen laut Virologe Christian Drosten außerdem Ausgleichzahlungen zu.

An der 1000er-Grenze hat sich an den meisten Orten – zuständig sind die lokalen Gesundheitsämter – bislang noch nichts getan. Deshalb fanden die vergangenen Tage weiterhin kleinere Konzerte statt. Trotzdem werden nun nach und nach auch Tourneen weniger populärer, vor allem internationaler Acts verschoben oder gestrichen. Die Berliner Punk-Rocker Smile & Burn spielen die zwei Shows in Hamburg und Köln, die eigentlich dieses Wochenende stattfinden sollten, nun erst im Oktober. Auch die Amerikaner von Pinegrove mussten ihre Europa-Tour absagen. Gerade unter solchen Umständen leiden nun wiederum die Locations, die die Konzerte rechtlich zwar abhalten dürften, aber dennoch nicht können. Der Berliner Kult-Clubs SO36 rief deshalb bereits gestern zu Spenden auf. Anderen Läden wird es ähnlich gehen. Heute gaben gleich mehrere Locations – unter anderem das Wiesbadener Kulturzentrum Schlachthof und die Kölner Live Music Hall – bekannt, vorerst ihren kompletten Betrieb einzustellen. 

Das alles sind die direkt erkennbaren Folgen der Pandemie. Indirekt sind von den ganzen Entwicklungen jedoch noch einmal deutlich mehr Menschen betroffen. Die Musik-Szene lebt von ihren Freiberuflern. Gerade die haben in den kommenden Wochen stark zu kämpfen: Ton- und Licht-Techniker*innen, Tour-Manager*innen und Fotograf*innen. Sie alle kriegen nur Geld rein, wenn sie auch arbeiten. Auch PR-Menschen kümmern sich um die Berichterstattung von Konzerten und sind somit eng mit der Tourindustrie verknüpft. Da Tour- und Veröffentlichungs-Zyklen mittlerweile eng miteinander korrespondieren, und Live-Shows häufig als PR-Kanal für neue Musik genutzt werden, wirkt sich der Teil-Lockdown vermutlich auch auf künftige Releases aus. Von solchen Album- oder EP-Verschiebungen sind wiederum die Labels, Verlage, Presswerke und PR-Agenturen betroffen. All diese Stellen sind deshalb ebenfalls davon abhängig, dass das Geschäft mit den Konzerten läuft. Ansonsten stellen sich nach und nach die Aufträge ein.

Selbstständige zahlen außerdem nicht in die Arbeitslosenkasse ein und haben dementsprechend nur Anspruch auf Hartz-IV (ALG II). Das ist wiederum an die Bedingung geknüpft, dass der oder die Bezieher*in sich aktiv um Jobs bemühen. Bei einer schwachen Auftragslage ist das leichter gesagt, als getan. Je nachdem wie lange sich die aktuelle Situation hält und wie schlimm die kommenden Monate laufen, kann die Musik-Industrie also ganz schön getroffen werden. Daran, welche Folgen all das für die auf Kultur angewiesene Gesellschaft haben kann, möchte man gar nicht denken.

Wie damit umgehen?

In erster Linie braucht es nun gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der fängt bereits früh an: Der Teil unserer Population, der täglich Herz und Verstand in die Erschaffung und Distribution kultureller Güter steckt, muss als wertvoller Teilaspekt unserer Gesellschaft anerkannt werden. Darauf basierend können im Anschluss weitere Schritte unternommen werden. Wo es Musiker*innen gerade an Tour-Einnahmen fehlt und Zusatzkosten für Absagen und Verschiebungen anfallen, kann Unterstützung in großem Maße über unseren Konsum gehen: Kauft und streamt die Alben eurer Lieblings-Acts und legt euch deren Merch-Artikel zu. Es war noch nie wichtiger Künstler*innen über diesen Weg direkt zu supporten! Es wird außerdem nicht mehr lange dauern, bis erste Bands nach Spenden fragen oder Alternativen zu Live-Konzerte suchen. Die amerikanische Hardcore-Band Code Orange spielt die Release-Show zu ihrer neuen Platte „Underneath“ beispielsweise vor leerem Club, überträgt ihren Auftritt live im Internet und bietet online im gleichen Zuge exklusiven Merch an. Spenden sind ebenfalls möglich. Auch bei solchen Aktionen gilt: Liegt euch die Kunst am Herzen und habt ihr die Möglichkeit zu helfen, so helfet.

Dabei bleibt es jedoch nicht. Gebt vor allem Tickets kleinerer Acts für vorläufig verschobene Tourneen nicht zurück. Dafür appelliert auch der Kabarettist Florian Schroeder. Die Verluste wälzen sich zumeist auf die Artists um. Die leben häufig nichtmal von ihrer Musik. Die wirtschaftlichen Einbußen, die die Branche in den kommenden Wochen hinnehmen muss, sind da bereits groß genug. Wer möchte, dass das Angebot an Kunst in Zukunft weiterhin so vielfältig bleibt wie bislang, muss da deshalb zurückstecken. 

Vielen Freiberuflern hilft das natürlich nicht weiter. Die sind vor allem auf das solidarische Handeln ihrer Kollegen und den Staat angewiesen. Eine Petition setzt sich gerade vehement dafür ein, dass die Unterstützung des Staates auch für Menschen mit freiberuflicher Tätigkeit greift. Auch hier lässt sich sicherlich etwas drehen.

Ein kleines Licht am Horizont

Schlussendlich sieht die ganze Lage doch ziemlich aussichtslos aus. Wohin uns die Entwicklungen tragen, liegt im Dunkeln. Der bereits erwähnte Virologe Christian Drosten lässt jedoch ein kleines Lichtlein am Horizont aufkeimen. Im „Coronavirus-Update“-Podcast des NDR prognostiziert der Wissenschaftler, dass uns das Virus noch über einen längeren Zeitraum beschäftigen wird, die getroffenen Maßnahmen ihr Ziel – einen plötzlichen und starken Anstieg der Infektionen einzudämmen – aber wohl erreichen können. Er betont außerdem, dass diese Lockdown-Methoden nur zu Beginn der langatmigen Entwicklungen wirken. Er spricht dabei von einem vorerst vierwöchigen Zeitraum bis zum Ende der Osterferien Mitte April. Ob danach weitere Maßnahmen getroffen werden müssen oder ob man bereits den gewünschten Effekt erzielt hat, wird sich dann zeigen. Ausgeschlossen ist aber nicht, dass sich das gesellschaftliche Leben ab da Schritt für Schritt wieder den Weg zur Normalität bahnen kann. Fest steht aber: Ein solcher Zustand ist erstmal nur vorläufig und würde als Dauerlösung wohl keine Wirkung erzielen. Hier kann man also optimistisch sein. Dass sich auch der Kultur-Bereich mit genug Unterstützung irgendwann wieder erholt, ist da gar nicht so unrealistisch. Bis dahin heißt es jedoch weiterhin: Support the things you love!

Wir haben uns bei einigen Artists umgehört, wie sie mit der aktuellen Lage umgehen. Das gibt es hier.

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