Disney100 – The Concert, Lanxess Arena Köln, 26.04.2023

schlussapplaus disney 100 in concert köln 2023

Im Oktober 1923 wurde ein Medienkonzern gegründet, der 100 Jahre später zu den fünf größten der Welt zählt. Die beiden Gründer Walt und Roy Disney hätten wohl niemals damit gerechnet, dass ihre Vision, Fantasie zu verfilmen und Träume greifbarer zu gestalten, solche Wellen schlagen würde. Der Rest ist Geschichte. Auf das vergangene Jahrhundert wird zurückgeblickt und es fulminant zelebriert: Disney100 – The Concert bringt in 17 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Kindheitserinnerungen zurück und kreiert neue.

Halt Nr. 8 und somit ziemlich genau in der Mitte ist die Domstadt und damit die größte Halle auf der gesamten Tournee. Die Lanxess Arena sieht nicht ganz so oft ein rund 50-köpfiges Orchester. Andererseits sind aber wohl die meisten klassischen Konzerthäuser des Landes für Musik dieser Durchschlagskraft und mit dem Bekanntheitsgrad schlichtweg zu klein. Schließlich wird Disney 100 und lädt alle Freund*innen ein und nicht nur den engsten Kreis.

Neben dem Hollywood Sound Orchestra unter der Leitung von Wilhelm Keitel, der schon mehrfach Disney In Concert dirigieren durfte, benötigt es selbstverständlich auch Sänger*innen, die den Songs Leben einhauchen. Dafür hat man gleich neun Stars der Musicalszene mitgebracht, die alle in großen Produktionen gegenwärtig zu sehen sind oder neulich erst waren. Namen? Zu gern. Solist*innen: Roberta Valentini (u.a. „Ghost“ und „Wicked“), Gonzalo Campos López (u.a. „Aladdin“, „Bat Out Of Hell“), Kristina Love (u.a. „Tina – Das Tina Turner Musical“), Charlie Burn (u.a. „Waitress“ am Londoner West End) sowie Drew Sarich (u.a. „Rocky“, „Tanz der Vampire“), der kurzfristig für den erkrankten Anton Zetterholm eingesprungen ist. Des Weiteren singen im Ensemble Georgina Hagen, Masengu Kanyinda, Tobias Joch und Richard-Salvador Wolff. Abgerundet wird die Show last but not least von Ex-1Live-Moderator Simon Beeck.

Der Oberrang bleibt in der Lanxess heute dicht, dafür ist der bestuhlte Innenraum sowie der gesamte Unterrang fast vollständig besetzt. Damit der Disney-Zauber in Gänze eintreten kann, benötigt es on top selbstverständlich auch noch die passenden Bilder. Die werden auf einer großen Leinwand hinter dem Orchester projiziert. Auf zwei weiteren kleineren Bildschirmen links und rechts von der Bühne sind Livemomente zu sehen, sodass diejenigen, die etwas weiter weg sitzen, auch Eindrücke der Gesichter bekommen. Mit ein paar kleinen Pyroeffekten, Rauchwolken sowie ruhigen Konfettimomenten mit besonders großen blumenartigen Papierschnipseln sind die Voraussetzungen perfekt.

Doch leider hapert es in Köln gewaltig – und das in sehr vielen Teilen an unnötigen Stellen. Spannend ist immer, wie die Konzeptidee umgesetzt wird. Wie stellt man also Musik aus 100 Jahren Disney dar? Die Lösung ist größtenteils, aber nicht ganz hinreichend als gelungen zu bezeichnen. Man probiert ein wenig zu besessen, jede*n Besucher*in abzuholen. So gibt es für die Kleinen, die womöglich vieles aus dem Oeuvre noch nicht gesehen haben, einen klar erkennbaren Schwerpunkt auf die jüngste Vergangenheit. „Die Eiskönigin“, „Vaiana“, „Encanto“ sind selbstverständlich dabei, sogar ein Titel aus dem fast schon als alternativ zu bezeichnenden „Küss den Frosch“. „Tarzan“, „Der Glöckner von Notre Dame“, „Pocahontas“, „Hercules“, „Aladdin“, „Arielle“, „Der König der Löwen“ und „Die Schöne und das Biest“ schaffen es alle mit mindestens einem, teilweise mit ihren zwei Gassenhauern auf die Setlist – „Mulan“ wurde leider übersehen. Ganz weit zurück schaut man eher nur in Rückblicken, zu denen das Orchester spielt, so gibt es aus den Anfängen „Dumbo“, „Pinocchio“, „Schneewittchen“, „Susi und Strolch“ oder auch „Cinderella“ keine Songs. Dass nicht alles dabei sein kann, ist aus Platzgründen völlig verständlich, aber an der einen oder anderen Stelle herrscht ein kleines Ungleichgewicht.

Wirr wird es dann, wenn die typische Disney-Atmosphäre durch die vom Orchester gespielten Themen aus „Star Wars“, „Avengers“ und „Fluch der Karibik“ ein wenig gestört wird. Ja, diese mega Blockbuster gehören mittlerweile alle zum großen Konzern und sind offensichtlich da, um diejenigen zu begeistern, denen der Zugang zu etwas Kitsch eher schwerfällt – aber so richtig ins Gesamtbild fügen sich diese gut komponierten, aber eben bombastischen Stücke nicht ein. Auch die Reihenfolge der Titel wirkt eher wild. Zwar wird von Simon Beeck – der im Übrigen zwar freundlich, aber auch eher professionell mit angezogener Handbremse, als wirklich enthusiastisch durch den Abend führt – immer zu jedem Block ein Oberthema genannt. Diese sind jedoch mit „Freundschaft“ oder „Liebe“ so oberflächlich gewählt, dass quasi jeder Song in jeden Block passt. Manchmal werden aus einem Film zwei Songs hintereinander gesungen, dann gibt es einen am Anfang und einen nochmal später. Wahrscheinlich wäre ein chronologisches Vorgehen fürs Feeling besser gewesen, so ist’s doch etwas random.

Die gerade genannten Punkte sind jedoch etwas Geschmacksache. Keine Geschmacksache ist der Sound. Hat die Lanxess Arena eh regelmäßig auch bei den typischen Pop-Konzerten an vielen Ecken Schwierigkeiten, scheint es hier mit einem klassischen Orchester besonders herausfordernd zu werden. Ist es anfangs für die Raumgröße schlichtweg zu leise, gibt es gleich mehrfach kein gutes Austarieren mit den Mikrofonen der Sänger*innen. Einmal ist gar ein Saxophonsolist für Minuten zu sehen, sein Instrument aber nicht zu hören. Zusätzlich wird bei einigen Songs das Tempo derartig angezogen, dass zum Beispiel „Dir gehört mein Herz“ aus „Tarzan“ wahnsinnig gehetzt klingt. Seinen besonders großen Auftritt hat das Hollywood Sound Orchestra bei „Der Zauberlehrling“ aus „Fantasia“ – allerdings finden hier Bild und Ton sowie Pyros kein einziges Mal zeitig zusammen. Mal ist das eine Element zu schnell, dann das andere. Das ist wahnsinnig ärgerlich und für Fans äußerst irritierend. Und mit Sicherheit gibt es zwei, drei Leute mehr im Publikum, die den Film nicht nur einmal gesehen haben.

Gemischte Gefühle gibt es bei den Solist*innen. Ist Roberta Valentini in ihren Musicalrollen oft ziemlich gut, hat sie an jenem Abend mit „Ein Mensch zu sein“ aus „Arielle“ einen richtigen Volltreffer und mit „Lass jetzt los“ aus „Die Eiskönigin“ eher nicht so. Warum wird sie von vier weiteren Sänger*innen unterstützt? Weil sie die Energie nicht besitzt? Positives kann der Chor jedenfalls dem Überhit nicht zusätzlich beitragen. Gonzalo Campos López ist auf seiner Muttersprache herrlich charmant und singt sein „Encanto“-Solo fantastisch, bleibt aber an anderen Stellen des Konzerts etwas blass. Eine wirklich Fehlentscheidung in der Besetzung ist aber Kristina Love. Dass nicht jede*r in jeden Song kommt, ist ok. Mit Sicherheit gibt es auch mal Probleme, dass man sich nicht richtig hört – aber die Anzahl an falschen Tönen sowohl in ihrem „Die Schöne und das Biest“-Duett, noch mehr aber in ihrem „Ich bin bereit“ aus „Vaiana“ ist grenzwertig. Zwar klappt „Das Farbenspiel des Winds“ aus „Pocahontas“ solide, aber offensichtlich sind sehr viele Lieder wirklich gar nicht ihrs. Da darf man von professionellen Darsteller*innen weit aus mehr erwarten.

Und genau dieses mehr bietet Drew Sarich. Mal eben kurz für Zetterholm eingesprungen, liefert er mit „Ich werd’s noch beweisen“ aus „Hercules“, noch mehr aber als Ursula (!) aus „Arielle“ mit dem extrem fiesen „Poor Unfortunate Souls“ wirklich bombastische Soli. Besonders die letzte Nummer – die übrigens noch neben ein, zwei anderen auch etwas willkürlich auf Englisch gesungen wird, alles andere auf Deutsch – ist ein wahrer Showstopper und bringt das Publikum zum Ausrasten. Gesanglich das Nonplusultra ist jedoch der Import: Charlie Burn singt gleich mehrere tiefberührende Titel, die alle sensationell vorgetragen sind. Sowohl das durch Celine Dion bekannt gewordene „How Does A Moment Last Forever“ als auch ihre Jasmin-Interpretation in „A Whole New World“ sind Sopran at it’s very very best. So ist man ein wenig zwischen „Oh, ist die toll“ und „Oh, kann bitte die andere wieder singen?“ hin- und hergerissen.

Versauen kann man ein Disney100 – The Concert sowieso nicht. Dafür ist der Stoff zu gut, die emotionale Bindung zu fest. Aber leider bleibt die Aufführung in der Kölner Lanxess Arena doch einige Level hinter den Möglichkeiten zurück. Mit ein paar anderen Entscheidungen, etwas mehr Stringenz und der richtigen Besetzung wird ein so großer Geburtstag auch zur Party extravaganza. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich auf der bereits angekündigten Tour 2024, „Believe in Magic“.

Und so sieht das aus:

Website „Disney100“ / Website Semmel Concerts / Facebook Semmel Concerts / Instagram Semmel Concerts

Bild von Christopher

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert