Die Minuten, bevor Fettes Brot die Bühne in der Westfalenhalle Dortmund betreten, sind in der Crowd tatsächlich alles andere als voller freudiger Erregung: Es wird richtig laut gebuht. Das hört man selten. Doch wie es dazu kommt, klären wir ein wenig später.
Stattdessen springen wir zunächst rund 30 Jahre in die Vergangenheit: 1992 gründen fünf Freunde an einem Gymnasium eine Hip-Hop-Formation. Vorab üben sie sich in einer anderen Band auf Englisch, bis sie sich dazu entscheiden, auf Muttersprache – teilweise sogar mit ein wenig Hamburger Dialekt – zu rappen. Schon mit dem Debütalbum, das drei Jahre später erscheint, landet man in den Charts und hat gleich den ersten Hit “Nordish By Nature” im Gepäck, der die Top 20 entert.
Fettes Brot sind zwar schnell in der festen Besetzung nur noch zu dritt, aber Doktor Renz, Björn Beton und König Boris, wie die drei Künstlernamen der Musiker lauten, ziehen durch bis heute. Sie formten in den 90ern neben anderen Dinos wie Die Fantastischen Vier den ersten deutschen kommerziellen Hip-Hop und sind damit ein Stück weit Kulturgut. Zwar gibt es in der Zeit noch viele andere Acts, aber überlebt haben davon wirklich nur die Aller-Allerwenigsten.
Auch wenn der absolute Hype-Erfolg ausblieb, war das Trio immer irgendwie präsent. Eine vergoldete Single, neun Studioalben, davon sechs mit Top-10-Platzierungen, eins mit Gold behangen, drei Live-Mitschnitte, mehrere Compilations, die aktuellste “Hitstory” ging erstmalig bis auf Platz 2. Moment… “Hitstory”? Steckt da unabsichtlich “History” drin? Leider nein. Vergangenes Jahr verkündete die Truppe, dass nach über drei Dekaden die Segel gestrichen werden. Immerhin kratzt man alterstechnisch schon an die 50 und ist vielleicht dem Ganzen auch ein wenig entwachsen. Doch wenn man Lebewohl sagt, dann auch so, dass es alle gehört haben.
Fettes Brot… is History! lautet deswegen voller Schwermut der Name der letzten Tour, die in Rostock ihren Kick-off fand und so, wie es sich gehört, in Hamburg im September zu Ende gehen wird. Das Interesse an Tickets ist ordentlich. Viele Shows melden bereits Wochen vorher ausverkauft, manche Locations werden hochverlegt, einige Zusatzkonzerte hinzugefügt. Aktuell stehen 20 Gigs auf dem Plan – ob es wirklich dabei bleibt oder man doch mit blutendem Herzen noch ein paar Ehrenrunden dreht? We’ll see. Dortmund ist jedenfalls der zweite Stopp.
Auch wenn die Westfalenhalle nicht komplett ausverkauft ist, sind die übriggebliebenen Plätze wirklich überschaubar. Der Innenraum ist bis zur Eingangstür rappelvoll, auf den Rängen hat man vereinzelt mal keine Person auf ihrem Sitz. Durchschnittlich sind die meisten Besucher*innen wohl Mitte bis Ende 30 – viele sind eben mit den Broten aufgewachsen, haben sie in ihrer Kindheit und Jugend für sich entdeckt. Man hat auch sichtbar mehr Lust auf Nostalgie als auf Abriss, das wird deutlich. Alle sind hier sehr gechillt und lassen sich etwas Zeit.
So auch der Voract, wo wir wieder bei der doch etwas überraschenden Beobachtung mit den Buhrufen wären. Einen richtigen Support gibt es nicht. Stattdessen tritt um 19:45 Uhr ein DJ, dessen Namen nicht genannt wird – “er, dessen Namen nicht genannt werden darf” – auf die Bühne, macht es sich am linken Rand an den Turntables bequem und legt Old-School-Beats auf. Das ist erstmal auch ganz ok so, nimmt aber zu wenig an Fahrt auf. Nach gut einer Viertelstunde probiert er es mit einem Deichkind-Classic, der auch direkt wohlwollend aufgenommen und bejubelt wird. Statt genau in dem Modus zu bleiben, geht es stattdessen aber wieder zurück zur Hintergrundbeschallung. Ganze 65 (!) Minuten lang läuft Musik, die beim Sneakers kaufen schon zu lame wäre. Der DJ gibt sich keinerlei Mühe, geht nicht in Interaktion, heizt nicht ein, lässt nicht eskalieren, eskaliert noch weniger selbst und dreht sich stattdessen ständig mit dem Rücken zum Publikum. Das wird dann um 20:50 Uhr, als man schon lang genug auf den Hauptact warten durfte, mit wirklich lauten Buh-Rufen zurückgemeldet. Daraufhin bricht er einen Song ab und geht. Hätten wir das mit den Rufen doch einfach früher getan.
Nachtragend sind die Leute vor der Bühne aber genauso wenig. Zum Glück dauert es gerade einmal fünf Minuten, bis man dann für die große Show bereit ist. Um 20:56 Uhr beginnt auf dem Vorhang eine lange Fotoshow, die ganz weit zurückschaut und melancholisch stimmt. Dann fällt der Stoff und Fettes Brot zeigen sich auf einem schicken altmodischen Schiff, das sich zwischen sieben Bandmembern befindet – darunter zwei Bläser, ein Bassist, ein Gitarrist, ein Drummer, einer an den Keys plus an weiteren Drums und ein DJ, der auch Percussions in die Hand nimmt – und gerade im Hamburger Hafen einfährt. Den sieht man nämlich auf einem riesigen Banner im Hintergrund. Dazu gibt es viel Licht. Weitere Showelemente bleiben aus.
Stattdessen gibt es aber mit satten 125 Minuten Präsenz und gleich 25 Songs somit wirklich eine enorm hohe Quantität. Martin, Björn und Boris sind gut gelaunt, erzählen viele Geschichten aus ihrer Laufbahn und sind nicht bis ins Detail vorbereitet. Einiges wirkt doch improvisiert, was aber zur Band auch einfach besser passt. Von jedem Album ist mindestens ein Song vertreten, die meisten kommen von “3 is ne Party” und auch die letzte Veröffentlichung, die erst im September erfolgte, “Brot weint nicht”, hat man im Gepäck.
Die Stimmung ist solide. Eskalation ist eher nicht. Stattdessen sind alle eher im entspannten Groove. Das ist in einigen Teilen auch entspannend, in manchen aber dann auch etwas dröge. Nach dem überraschenden Opener mit “Jein”, dem wohl bekanntesten Hit der Band, der selbst heute noch die Radiostationen beglückt, wird es in der ersten Stunde selten lauter. Mit Sicherheit erleben einige Besucher*innen große Momente von Damals erneut, aber manche sind auch etwas nüchtern mit den Smartphones oder ihren Begleitungen beschäftigt. Für eine Abschiedstour ist doch recht wenig Party und Alarm, das muss man sagen.
Alle Singles finden sich natürlich nicht auf der Setlist wieder, aber von den auch nur ansatzweise bekannten Titeln wird nichts ausgelassen. “Emanuela”, “Da draußen”, “Nordish by Nature”, “The Grosser”, “Erdbeben”, “Echo”. Nach 17 Songs fällt erneut ein Vorhang und die Band verlässt erstmalig die Bühne. Daraufhin wird ein etwas heruntergebrochenes Schlagzeug, ein Bass und eine Gitarre aufgebaut. Die drei Rapper kommen zurück, spielen drei Songs an eben jenen Instrumenten, machen das aber qualitativ echt nicht gut, muss man leider sagen. Mag für eine Nummer ganz witzig sein, für drei aber doch dann entschieden zu viel. In der Zeit wird hinter dem Vorhang umgebaut. Am Ende wird erkennbar, dass das Schiff verschwunden ist und ein neues Banner mit dem berühmten Logo erscheint. That’s it. Wow. Irgendwie ein Downgrade.
Doch der letzte Block liefert dann doch das Partyfeeling, was man selbst mit den richtigen Bangern und der guten alten Zeit verbindet, als man noch gefeiert hat. “Bettina” und “Schwule Mädchen” lassen zum Abschluss den Innenraum hüpfen, ein kleiner Moshpit schafft es sogar auch eröffnet zu werden. Außerdem gibt es gar einen Gänsehautmoment: Bei “An Tagen wie diesen” wird es nicht nur textlich richtig groß, denn der letzte Refrain gehört ganz allein der Halle. Und die geben alles. Das ist intensiv.
Am Ende verlässt man kurz nach 23 Uhr mit ein wenig gemischten Gefühlen die Halle. Irgendwie war’s gut, irgendwie ein wenig zu wenig. Gerade im Sound ist Fettes Brot auf jeden Fall in die Jahre gekommen, was man mit einer siebenköpfigen Besetzung auch etwas aufgepeppter, moderner und spannender hätte gestalten können. Auch wenn die Drei sichtlich Spaß haben, ist zumindest zum Ende die Treffsicherheit in den Gesangsparts auch ein Stück hinüber. Ein Konzert, das Fans bestimmt zufriedenstellt, aber auf der Unterhaltungsebene über ein “ganz ok” nicht richtig hinauskommt.
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Foto von Christopher
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