Kate Tempest – The Book Of Traps And Lessons

Es sieht düster aus um Großbritannien – auf der Welt und auch auf dem Albumcover von “The Book Of Traps And Lessons”, dem neuesten Manifest der Sprechkünstlerin Kate Tempest. Knapp drei Jahre nach ihrem hoch gelobten Album “Let Them Eat Chaos” widmet die Musikerin nun also auch ihr drittes Album den großen Themen rund um ihre Heimat. Für ihre bisherigen Werke wurde Tempest bereits sogar schon als Next Generation Poet ausgezeichnet – ein Titel, der nur ein Mal in 10 Jahren vergeben wird. Wie nicht anders erwartete ist auch “The Book Of Traps And Lessons” ein lyrisches Meisterwerk, das eine breite Vielzahl an Themen verarbeitet und dabei von der ersten bis zur letzten Sekunde intensive Momente beschert.

The Book

Tempest ist eine Sprechkünstlerin, ihre Alben folglich eine Vertonung von Gedichten. Wo hierzulande Julia Engelmann als eine der erfolgreichsten Poetry Slammerinnen der Nation mit ihrem Debütalbum eher in Richtung Radiopop schielte, setzt Tempest seit jeher auf düstere Klänge. Auch auf Album Nummer 3 ändert sich dieses Rezept nicht – zarte Piano-Einschübe, ruhige Akustik-Gitarren, blecherne Beats oder auch mal reine A-Capella-Songs stehen hier nebeneinander. Wobei im Kontrast zum Vorgänger “Let Them Eat Chaos” klar auffällt, dass sich der Anteil an schnelleren Songs verringert hat und stattdessen ruhige, analoge Stücke in der überwiegenden Mehrheit sind. Noch mehr als je zuvor stehen daher die Texte im Fokus, die sich stets den beiden Topoi des Albumtitels zuordnen lassen.

Traps

Die Fallen und Gefahren der postmodernen Gesellschaft fassen aktuell wohl nur wenige Menschen so treffend zusammen wie Tempest. Dabei beschreibt “Thirsty” noch die Hoffnungslosigkeit von Großstädten und die Bindungsprobleme der Generation Z, damit sich “Keep Moving Don’t Move” der wachsenden Vereinsamung trotz der immer größer werdenden Menschheit annimmt. “Brown Eyed Man” leitet dann in die große Kapitalismus-Kritik ein, die sich in “Three Sided Coin” zur fundamentalen Abrechnung mit dem Kolonialismus des UK steigert. Auch dem aktuell so präsenten Problemen des Rassismus und der Technologien wird in “All Humans Too Late” Platz eingeräumt. Solche Themenkomplexe sprechen aktuell zwar etliche Acts an, doch die Vertonung von Tempest übersteigt dabei alle Grenzen und sorgt permanent für Gänsehaut und offene Münder. So rechnet “Keep Moving Don’t Move” mit den Pseudo-Tipps ab, die bei psychischen Problem empfohlen werden: “Eat bread, eat oranges, eat bus stops, eat traffic jam, eat the chair you’re sitting on, eat paperwork, eat the table […] eat the bad dreams, remember to chew”. Genau so bringt “Three Sided Coin” mit dem simplen “I against You against We against Them” das Problem des Kapitalismus auf den Punkt, damit dann “All Humans Too Late” fest stellt: “Earbuds won’t work when our souls are gone”. Pointierte Feststellungen, die nie zu billigen Tattoo-Slogans verkommen, aber doch fest im Gedächtnis bleiben.

Lessons

Auch wenn Tempest selbst zugibt, keine Lösungen für all diese miteinander verknüpften Probleme anbieten zu können, stellen einige Songs doch zumindest Möglichkeiten vor, sich einen Weg durch dieses wirre Gestrüpp aus gesellschaftlichen und intrapersonellen Problemen bahnen zu können. Dabei wird schnell klar, dass in Tempests Lyrik die Zwischenmenschlichkeit einen ganz besonderen Platz eingeräumt bekommt. “Hold Your Own” empfiehlt so nachdrücklich, die verbliebene Lebenszeit mit seinen Liebsten zu verbringen, “All Humans Too Late” setzt die analoge Gemeinsamkeit der digitalen Einsamkeit entgegen, “Firesmoke” vertont die körperliche Nähe als Fluchtmöglichkeit vor den eigenen Dämonen. Besonders bemerkenswert wird es in “Holy Elixir”: Hier erzählt eine Person die Geschichte der Menschheit, während sie auf der Straße einer Großstadt liegt. Das lyrische Ich legt sich schließlich zu dieser Person, um dann gemeinsam über den Wahnsinn des repititiven Alltags zu sinnieren, den wir alle nachgehen. Im Hintergrund flackern unruhige Störgeräusche, die den Hörer*innen verdeutlichen: Wacht endlich auf.

Zum Abschluss endet das Album, das so viele düstere Episoden durchschritten hat, schließlich doch mit einem positiven Ausblick. Obwohl doch alles so schwer scheint, findet das lyrische Ich den Frieden in den Gesichtern der Mitmenschen und der Gemeinschaft. Mit einem Manifest, das lyrisch in einer ganz eigenen Liga spielt und musikalisch weniger melodisch und eingängig ist als der Vorgänger, fügt Tempest auch 2019 einen wichtigen Beitrag zur Debatte der Postmoderne hinzu. Aus dem düsteren Strudel der Gegenwart zeichnen sich zarte Hoffnungsschimmer ab – und die Hörer*innen können gemeinsam nach vorne blicken.

Und so hört sich das an:

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Rechte am Albumcover liegen bei Universal.

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