Kid Dad – In A Box

Cover von Kid Dads Debütalbum "In A Box".

Man hat es (nicht) leicht als junge Band im Zeitalter des Streaming. Stell vor: Du kannst schon mit wenigen Veröffentlichungen dank etablierter Booking-Agentur im Rücken vor namenhaften Acts spielen und dir so bereits eine Zielgruppe aufbauen. Die perfekte Marketingfläche! Und weiter: Du kannst dir dank der Gagen immer mal wieder Studiozeit leisten und so tröpfchenweise Single für Single in die gierigen Fänge der Streaming-Dienste entlassen. Bestenfalls landen die jeweils in einer der Handvoll erfolgreich kuratierter Rock-Playlisten und generieren so ebenfalls etwas Absatz. Mehr Geld bedeutet wiederum Möglichkeiten weiterer Aufnahmen und schon ist man dem Traumziel „Album Nummer eins“ einen Schritt näher. Eigentlich ein erfolgsversprechendes Modell! Oder?

Lässig sind Kid Dad einen ähnlichen Weg hinabgeschlendert. Gleich drei der insgesamt zehn Stücke von „In A Box“, dem Langspiel-Debüt der Paderborner, geisterten schon vor der Fertigstellung und lange vor Ankündigung des finalen Werkes in den Weiten des Internets umher. Bereits zuvor bereiste die Neo-Grunge-Band als Support-Act mit den Blackout Problems, Razz, Taking Back Sunday und Sorority Noise deutsche Clubs, gar Hallen – da noch samt einer nur vier Songs starken EP. Der Zeit als ewiger Support setzt man nun jedoch ein Ende, denn es steht endlich das erste Album an.

Einige Fragen lässt dieser Pfad dann aber doch offen. Was bedeutet ein solcher Karrierestart für deine Kunst? Gelingt es dir so mit deinem ersten Album überhaupt noch neue Facetten aufzeigen? Immerhin hat man die Fans zuvor schon Portion für Portion in das eigene Schaffen eingeführt. Und schaffst du es binnen einer solch ausgedehnten Spanne überhaupt, das Interesse deiner Zielgruppe – Stichwort: Schnelllebigkeit – zu erhalten? Ein Klick in einer Playlist oder ein für-gut-Befinden auf einem Konzert ist eben immer noch kein bewusstes Zuhören als Fan. „In A Box“ ist vor dem Hintergrund dieser Fragen eine Gratwanderung zwischen dem Machbaren, dem Vorhersehbaren und dem Willen etwas auf der Zeit gefallenes Zeitgenössisches zu schaffen. Ein (gelungenes) Experiment?

Vor längst vergangenen Tagen an einem weit entfernten Ort…

…entstand einst ein Genre, das binnen weniger Jahre einen flotten Auf- und Abstieg erleben sollte. Die Zeit: Die 1980er- und 1990er-Jahre. Der Schauplatz: Das nordamerikanische Seattle. Der Name: Grunge. Kid Dad orientieren die Kernessenz ihres Sounds klar an der einst so populären Spielart des Rock und Punk. Auf den Songs der ersten EP „Disorder“ geschah das noch ohne das Zubringen vieler Außeneinflüsse. Anders sah das bereits kurze Zeit später für die ersten zunächst für sich stehenden Single-Auskopplungen aus, die vermehrt in Indie getränkten Liebhaber-Emo und Post-Rock-Sphären einließen. Auf „In A Box“ fließt diese Entwicklung ebenfalls ein, so spielt das Quartett eine moderne, zumeist glasklare Nachbildung der ehemaligen Nirvana-Hochburg.

Die Essenz – der Ausbruch, das Räudige und der Kontrast – des Grunge blitzt dabei teilweise nur noch stellenweise auf. Zum Beispiel, wenn Sänger Marius Vieth mit seiner leicht atonalen, zu einem Schrei übergleitenden Stimme in den kraftvollen Refrains von „Happy“ immer wieder eindringlich dieselbe Frage wiederholt während das Schlagzeug nach vorn’ brettert und die Gitarren zwischen abgehackt und treibend changieren. How happy are you know? 

Den ursprünglich eingestaubten Sound setzen die Paderborner zudem in Kontexte, in denen nebst der Atmosphäre auch die Katharsis einen bedeutsamen Eckpfeiler darstellt. Das durchzieht vor allem die Texte, die sich mit den großen, die Generation Z umtreibenden Emotionskomplexen beschäftigen: Minderwertigkeitsgefühle, Verlustängste, Sehnsüchte, flankiert von gelegentlichen Depressionsschüben. Dieses Ringen mit den inneren Dämonen wird zudem meist in starke Metaphern verpackt.

Die Sache mit dem Grunge

Eine Kerncharakteristik des Grunge scheint sich gleich so tief in die DNA von Kid Dad gebrannt zu haben, dass die Band sich zu ihrer eigen Leid nicht von ihr zu lösen vermag: Die Vorhersehbarkeit, die aus der reduzierten Formel hervorgeht. Hier scheint die Band sich mit ihrer Strategie schon Teile des Albums während des Schaffensprozesses preis zu geben und die Fans so an der Soundentwicklung teilhaben zu lassen, ein wenig selbst ins Knie geschossen zu haben. Die lange erhältlichen Vorab-Songs offenbarten nämlich bereits früh zu welcher zwei Arten Songwriting Kid Dad im Stande scheinen: Leise Strophen, ein ausufernder Chorus und eine knallige Bridge auf der einen sowie ein ruhiger Start und die Klimax als letzte Destination am Ende auf der anderen Seite. Das Kid Dad Debüt folgt nahezu immer diesem zweischneidigen Fahrplan. Einzig „Live With It“ als passendes Schlusswort weicht ab und bleibt gänzlich minimalistisch, lässt Schichten hinzustoßen und verschwinden, Spannung entstehen und zersetzen.

Zu ihrem eigenen Glück arbeitet die Band trotzdem nahezu immer in ausreichendem Maß mit kleineren Verschiebungen und Varianten und setzt für jeden Song ein anderes Soundbild. Gerade den Abweichungen im Sound verdankt „In A Box“ schlussendlich, dass die zehn Songs nicht als homogene Masse empfunden werden. „What You Call A Dream“ beispielsweise geleitet die Zuhörer*innen mit seiner euphorischen Gitarrenarbeit auf die Tanzfläche und meistert zum Schluss gar das Kunststück mit dem Bruch im Text auch die Musik in Richtung Melancholie zu lenken. „[I Wish I Was] On Fire“ dahingegen fährt voll und ganz auf der Ambient-Schiene und arbeitet auf seinen finalen Höhepunkt hin. „Window“ baut auf ein geschichtetes Delay-Motiv. Und „A Prison Unseen“ darf nach mystischem Feedback-Intro nahezu bipolar zwischen nachdenklichen Strophen und theatralisch aufgeregten Refrains springen.

In A Box?

Die Karriere Kid Dads skizziert einen Weg, der für aufstrebende Bands im digitalisierten 21. Jahrhundert durchaus eine Option bietet. Ob der nun kommerziellen Erfolg bringt und die Zuhörer*innen, die man sich auf Support-Tourneen und über Playlist-Platzierungen erspielt hat, die vier Musiker weiterhin begleiten, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. „In A Box“ immerhin ist das Debüt einer durchweg talentierte Band, die sich streckenweise in ihrer eigenen Formel zu verrennen droht. Für Album #1 kann das reichen. Der nächste Langspieler jedoch muss gewaltige Schritte wagen, damit die Paderborner sich nicht in der Eindimensionalität ihres eigenen Schaffens verlieren – wie in einem vermeintlich keinerlei Ausweg bietenden Körper: In A Box.

Aktuell sammelt die Band im Rahmen der Kampagne “Safe In A Box” außerdem Spenden für Kinder, die sich häuslicher Gewalt ausgesetzt sehen. Mehr Informationen zu der Aktion gibt es hier.

Hier kannst du dir das Album kaufen.*

Hier gibt es Tickets für die kommende Tour.*

Und so hört sich das an:

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Kid Dad live 2021:

17.02. – Berlin, Badehaus
18.02. – Köln, Blue Shell
19.02. – Hamburg, Nochtwache
20.02. – Braunschweig, B58
21.02. – München, Folks!
20.03. – Bristol, Rough Trade (UK)
22.03. – Glasgow, Bloc+ (UK)
23.03. – Manchester, Castle Hotel (UK)
25.03. – Birmingham, Subside (UK)
27.03. – London, Victoria (UK)

Die Rechte für das Cover liegen bei Long Branch Records.

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