Tragt ihr euch auch ein bisschen lahm, unmotiviert und angeschlagen durch die erste Januarwoche? Viel zu viel Regen, der nie endet. Nun stehen sogar Minusgrade an. Wie soll man da nur aus dem Festtagstrott heraus? Indem man sich aufmacht und eine der dynamischsten und durchschlagendsten Shows guckt, nämlich Stomp. Ganz passend wird man nämlich in Dortmund regelrecht wachgetrommelt.
Einige Male, besonders aber zum großen Finale wird es ohrenbetäubend laut. Die Geräuschkulisse erreicht solche Dezibelzahlen, dass es gerade noch so erträglich ist. Hin und wieder spürt man einzelne Schläge auch in den Füßen, weil der Boden leicht vibriert. Allerdings sind genau solch intensiven Momente wahnsinnig wichtig für die Klimax der 115-minütigen Show, die nach zig Verschiebungen endlich wieder den Weg in die Ruhrmetropole findet. Eigentlich wollte man schon vor zwei, drei Jahren hierhin zurückkehren, aber aus den bekannten Gründen hat es nicht sein sollen. Das Publikum scheint aber sehnsüchtig gewartet zu haben. Zur Premierenvorstellung im schönen Konzerthaus auf der Brückstraße ist das gesamte Parkett voll, in den Rängen finden sich hier und da ein paar freie Plätze. Bis es in die nächste Stadt geht, sind sieben Vorstellungen geplant.
Seinen Ursprung hat Stomp im englischen Brighton. Dort, wo ABBA vor exakt fünf Jahrzehnten den ESC gewonnen haben. Stomp ist noch nicht ganz so alt, trägt aber auch schon einiges auf dem Buckel. 1991 kreierten Steve McNicholas und Luke Cresswell dort zusammen eine Fulltime-Vorstellung, die sie vorab schon rund eine Dekade lang in einzelnen Nummern mit Straßenbands testeten. Die Uraufführung war in London. Schon nach wenigen Monaten war man zu acht. Auch heute setzt sich die Besetzung aus acht Darsteller*innen zusammen. Es existiert nebenher eine größere Variante mit bis zu 30 Personen. Stomp wurde wahnsinnig schnell zum weltweiten Phänomen. In New York spielte man sage und schreibe 11.000 Vorstellungen in fast 19 Jahren, die letzte im Januar 2023. In London kam man auf 15 Spieljahre.
Zwei wichtige Merkmale vorab: Es gibt keine Pause. Die fast zwei Stunden werden gnadenlos durchgezogen, was genau richtig so ist, da ansonsten der Groove, in den man reinkommen muss, um sich dem Sog nicht mehr entziehen zu können, abbrechen würde. Des Weiteren wird kein einziges Wort gesprochen oder gesungen. Musik vom Band gibt es lediglich vor dem Beginn und im Anschluss beim Verlassen des Raumes. Der Rest entsteht in jenen Momenten durch Gegenstände, stampfende Körper, klatschende Hände und ab und an mal einzelnen Zurufen wie “Hey” als Orientierung für die Cast, damit Einsätze funktionieren.
Hat man das auf dem Schirm und kann mit Rhythmen etwas anfangen, gibt es hier wirklich hervorragendes Entertainment. Mit Sicherheit ist Stomp nicht die perfekte Wahl für jede*n. Bestimmt gibt es Besucher*innen, denen eben Gesang, melodische Instrumente, große Specialeffects oder Visuals auf Leinwand fehlen. Schafft man es aber, sich davon freizumachen, geht Stomp straight in die oberste Liga abendfüllender Unterhaltung, die eben nicht Musical oder Klassikkonzert ist.
Was erwartet mich stattdessen? Ein Bühnenbild, das einer Art Müllkippe auf zwei Etagen gleicht, einige Lichtkegel und irrsinnig gute Mikrofone, die es sogar schaffen, das Reiben von zwei Händen abzunehmen. Reibt mal eure offenen Hände aneinander, wie laut ist das? Tatsächlich kann man genau so etwas bei Stomp im gesamten Saal hören. Zeigt, wie gut hier sämtliche Töne abgenommen werden, und erzeugt gleichzeitig unglaublichen Respekt dafür, wie ruhig und zielgerichtet die Besetzung ansonsten arbeiten muss, da man eben einfach alles hört. Laut Website spielen aktuell 15 Personen mit, acht davon eben auch in Dortmund. Welche wir gesehen haben, können wir im Nachhinein nicht rekonstruieren.
Das tut aber auch gar nichts zur Sache, ist jeder Charakter in etwa gleich wichtig. Nur wenige haben auffallend mehr Spielzeit als andere. Sowieso fällt es schon schwer, zu sagen, ob es sich hierbei in erster Linie um Instrumentalist*innen handelt, um Tänzer*innen, um Schauspieler*innen, um Darsteller*innen – Stomp holt aus seinem überschaubaren Konzept, nämlich mit Nicht-Instrumenten, wovon wir fast alle in der Wohnung, im Keller, im Garten oder in der Garage liegen haben, Musik zu machen, mehr als das Maximum heraus. Und das liegt ganz klar an einem Batzen voller Kreativität und richtig guten wie diversen Leuten – mehrere Geschlechter, mehrere Ethnien, unterschiedliche Körpertypen – auf der Bühne, die wirklich alles geben.
Nicht wenige Shirts sind am Ende richtig verschwitzt. Dabei startet alles recht harmlos: Ein Akteur schnappt sich einen handelsüblichen Besen und beginnt Rhythmen zu klopfen. Haben wir alle schon mal gemacht. In den ersten fünf Minuten hat man auch noch den Eindruck, dass man hier mit ein, zwei Tagen Übung mitmachen könnte. Ja, das klingt cool, aber ist jetzt noch etwas basic. Wer klopft nicht zumindest einmal täglich irgendwie mit Fingern auf Tischen, mit Gabeln auf Tellern oder gegen Gläser. Doch Stomp steigert sich äußerst schnell in sehr krasse Ausmaße, die man zunächst nicht erwartet. Hier wird an tragenden Punkten richtig hoch in die Luft gesprungen und stampfend wieder aufgekommen. Besonders die stark aufgeladene Energie, die aus dem Körper herauskommt, springt auf das Publikum über. Elektrisierend.
Am beeindruckendsten ist aber wohl die Choreographie. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist hier jede Sekunde geplant. Anders können sehr viele Nummern gar nicht funktionieren. Da werden Mülleimer hochgeworfen und gefangen, in Schwimmreifen gesessen, Tageszeitungen zerrissen, an anderen Stellen mit Zippofeuerzeugen im Dunkeln ein Lichtermeer entfacht, das einem wahren Kunststück gleicht, dann driftet man mit Einkaufswagen über die Bühne, an anderer Stelle nutzt man Mc–Donalds-Kartons als Utensilien. Mehr ist mehr. Deutlich erkennbar patzt hier wirklich niemand. Hin und wieder hören Musiker*innen wohl kleine Fehler, die jedoch so geringfügig sind, dass man schon akribisch aufpassen muss, um zu erkennen, wer jetzt mal einen Taktschlag verpasst hat oder zu früh dran war.
Abgerundet wird das Spektakel durch einige Publikumsinteraktionen. So darf man selbst als Zuschauer*in testen, wie gut man aufpasst und wie rhythmisch richtig man mitklatschen kann. Zusätzlich gibt es eine Figur in der Cast, die für Lacher zuständig ist. Sowieso ist Stomp zwar sehr erschlagend, aber selten ernst. Es ist witzig, aber nicht albern. Etwas, was man vor allen Dingen im Vergleich zur ähnlich konzipierten “Blue Man Group” um Längen besser macht. Die machen eher aus viel Bums wenig, Stomp macht es andersherum. Bei manchen Rhythmen wird es so groovy, dass man aufstehen und tanzen will. Wer braucht da schon Gitarren, Synthesizer und Vocals?
Das ist verdammt nah an voller Punktzahl. Eigentlich macht die Show nichts falsch. Vielleicht gibt es zehn, maximal 15 Minuten, die nicht ganz das hohe Niveau des Restes halten. Und es bleibt eben ein gewisses Risiko, dass man mit dem Konzept per se nichts anfangen kann. Wer jedoch ein Gespür für Musiktheorie hat, selbst Drums spielt, mal in einer Band tätig war oder sich darin ausprobieren möchte, fast zwei Stunden lang hochsportartig einen Takt mitzuzählen, ist bei Stomp perfekt bedient. Bis Ende Februar stehen neben Dortmund noch Frankfurt, Bremen, Leipzig, Hamburg bei uns sowie Basel und Linz bei unseren Nachbar*innen auf dem Tourplan. Slapt.
Und so sieht das aus:
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Foto von Christopher
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