Andrea Bocelli, Lanxess Arena Köln, 30.06.2018

Bocelli Köln

Einige Stars lassen wirklich lange auf sich warten! Um den weltweit erfolgreichsten Tenor, Andrea Bocelli, singen zu hören, musste das deutschsprachige Publikum nun 20 Jahre durchhalten. Der charismatische Italiener, der gerade auf die 60 zusteuert, tourte zuletzt gegen Ende der 90er auf unseren Bühnen, lässt es sich nun aber bei seiner World Tour nicht nehmen, um gleich mehrere Male aufzutreten. Bis Ende Januar stehen noch weitere vier Möglichkeiten in Berlin, Hannover, Stuttgart und Basel an.

Am 30.6. macht er Halt in der Lanxess Arena. Durch seine regelmäßigen Beiträge im geschickten Crossover zwischen Pop und Klassik schafft es Bocelli, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. Zuletzt dazu beigetragen haben seine Duette mit Ariana Grande und Ed Sheeran. Trotzdem ist das Durchschnittsalter in der Halle in Köln eher um die 50. Der Innenraum ist bestuhlt und bis auf den letzten Platz besetzt. Genauso verhält es sich mit dem Unterrang und den VIP-Plätzen – obwohl die Tickets jenseits der 200€-Marke liegen. An günstigeren Karten scheinen nur wenige interessiert, da der Oberrang komplett geschlossen ist und der Mittelrang auf ein Drittel minimiert wird. Um Punkt 20h folgt die Durchsage, dass in zehn Minuten das Konzert beginnt. Genau so ist es dann auch.

Um 20:05 betreten das Orchester der Neuen Philharmonie Westfalen und der Kölner Chor die Bühne. Mit geschätzt 50 Leuten an den Instrumenten und bestimmt 70 Personen, die Bocelli gesanglich unterstützen, ist die Bühne mehr als nur gut gefüllt. Da steigen die Erwartungen doch gleich nochmal um einige Klassen. Fünf Minuten später starten ebenjene mit einem pompösen Opening aus Verdis „Nabucco“. Zum zweiten Stück sehen wir dann auch den Protagonisten und Hauptact der Show. Bocelli trägt ein dunkelblaues Sakko mit schwarzer Fliege und wirkt direkt äußerst sympathisch. Er eröffnet typisch italienisch seine Show mit „La Donna È Mobile“ aus Verdis „Rigoletto“ und zeigt dem Publikum sofort, dass es sich auf bekannte Werke freuen kann.

Dabei ist Bocelli in der ersten Hälfte gar nicht so präsent. Nach 45 Minuten sind 20 Minuten Pause. Davor wird der Tenor von der Sopranistin Maria Aleida Rodriguez unterstützt, die auch ein Solo vorträgt. Ebenso gibt es einen Flötisten – Andrea Griminelli –, der äußerst virtuose Zwischenspiele präsentiert. Mit knapp 30 Minuten Bühnenpräsenz bei Bocelli ist also der Auftakt ein wenig mau.

Der zweite Teil der Show macht dafür einiges besser: mit 70 Minuten ist die letzte Hälfte wesentlich länger, Bocelli singt gleich zwölf statt sieben Stücke und wagt auch den vom Publikum erwarteten Ausblick zum Pop. Neben weiteren großen Arien punktet er vor allen Dingen mit „Maria“ aus dem Musical „West Side Story“, dem Titelsong aus „Der Pate“ auf Italienisch, einem neuen Song namens „If Only“ aus seinem zukünftigen Album „Sì“ und sogar zwei deutschen Titeln, vor denen er ganz schön Respekt hat, wie er selbst ankündigt. Diese paar Worte gehören auch zu den wenigen, die an dem Abend fallen, da Bocelli kaum zum Publikum spricht. Er wird zu seinen Liedern ans Mikrofon gebracht, danach hinter die Bühne geführt und ist in den Pausenfüllern nicht zu sehen. Von denen gibt es in der zweiten Hälfte noch einige mehr. Zu dem bereits bekannten Solo-Flötisten gesellt sich ein äußerst talentiertes Gitarristenpaar mit Namen „Carisma“ dazu, die eine hervorragende Version von Piazzollas „Libertango“ spielen. Damit nicht genug übertrifft die Gastsängerin Ilaria Della Bidia, deren Stimmfarbe stark an Céline Dion erinnert, sämtliche Erwartungen und singt eine weltklasse (!) Interpretation von „Somewhere Over The Rainbow“. Das kam wirklich an – der Applaus war ohne Bocellis Mitwirken der größte. Als Zugaben gibt es mit Rodriguez das heiß erwartete „Time To Say Goodbye (Con Te Partiro)“ [Einen Ausschnitt könnt ihr HIER auf unserem Instagram-Channel sehen] und den Dauerbrenner „Nessun Dorma“ aus Puccinis Oper „Turandot“.

Trotz der vielen wirklich guten Elemente hapert es in der Show aber an einigen Ecken und Kanten. Das Orchester spielt nach wenigen Minuten sehr solide, der Chor wird von der Technik nicht gut abgenommen und bleibt häufig zu leise. Dirigent Marcello Rota hat jedoch sichtlich alles im Griff. Obwohl Bocellis einmalige Stimmqualität offensichtlich in den letzten Jahren nichts einzubüßen brauchte, kommt ab und an zu wenig Gefühl beim Zuhörer an. Einige Stücke packen vom ersten Ton („Maria“), andere wirken ein wenig herunter-gesungen und mehr verpflichtet als wirklich gewollt („Ave Maria“, Schubert). Großes Manko ist außerdem das Publikum, das zum Großteil nur für „Time To Say Goodbye“ gekommen scheint und ansonsten mit der Bandbreite an klassischen italienischen Arien der ersten Konzerthälfte nur wenig anzufangen weiß. Sätze wie „Das ist mir zu viel Klassik“ und „Ja, singen kann er ja – da können die Schlagerdamen aus Deutschland nicht mithalten“ unterstützen diese These und zeigen, dass die Zielgruppe eher der leichten Unterhaltung als der Klassik zuzuordnen ist. Das erklärt auch, warum das Konzert in der viel zu großen Lanxess stattfindet und nicht in einem stilvollen Opernhaus. Und was definitiv geändert werden sollte: Das Ballettpärchen, das manche Stücke mit Contemporary- und Tangoeinlagen optisch zu verfeinern versucht, lenkt unnötig von dem wirklich guten Gesang ab und gibt dem Ganzen eine kitschige, überromantische Atmosphäre, die nur durch die Bad Taste-Einspielungen auf großer Leinwand geschlagen werden. Nein, eine Arie, Ballett und Apassionata-Pferde im Video gehören nicht zusammen. Stattdessen ein Verbesserungsvorschlag: Das Einblenden von Werktitel um Komponist wäre wünschenswert – immerhin waren vereinzelte Lieder auch weniger bekannt.

Fazit: Es ist etwas Besonderes, einen Star solch einer Größenordnung mal live zu sehen. Und ja, Andrea Bocelli ist auch in diesem Alter noch ganz oben dabei und begeistert mit erkennbarem Ausnahmetalent. Dennoch sollte die Show bei ihren musikalischen Elementen bleiben, Videoeinspieler etwas wertvoller gestalten und das Tanzpaar entfernen. Dann entspricht die Kleidung des Publikums auch dem Stil der Show.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher.

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