Wir geben uns ja bekanntlich große Mühe, euch Tipps zu geben, was ihr alles so sehen und hören müsst. Heute drehen wir den Spieß mal um. Der folgende Text läuft unter dem Motto „Das kleine 1×1, wie man es nicht macht“ und wird am Beispiel des Lauryn Hill-Konzerts im Kölner Tanzbrunnen verdeutlicht:
Lauryn Hill ist eine der letzten Großen in der Black Music. Die Künstler in ihrer Größenordnung, die noch auftreten, kann man sicherlich an einer Hand abzählen. Mit den Fugees brachte sie Mitte der 90er die Welt zum Beben und gab dem US-Hip-Hop einen neuen Anstrich. Alle drei Mitglieder – Pras Michel, Wyclef Jean und eben Lauryn – konnten auch nach der kurzen, gemeinsamen Phase erfolgreich solo anknüpfen, was zeigt, wie viel Talent in jedem steckt. Doch der weibliche Part schaffte im Alleingang die Welt letztendlich zum Stehen zu bringen und setzte mit dem Debütalbum The Miseducation of Lauryn Hill Maßstäbe. Als erste Frau gab es fünf Grammys an einem Abend. 2002 folgte ein Livealbum namens „MTV Unplugged No. 2.0“ mit fast ausschließlich neuen Titeln – und danach ging’s bergab. Keine eigenen Platten, ganz selten mal ein Feature. Dafür aber ein Gefängsnisaufenthalt wegen Steuerhinterziehung, sechs Kinder und viel zu viel schlechte Publicity.
Und trotzdem scheint es nur wenige davon abzuhalten, sich auch zwei Dekaden später Ms. Lauryn Hill, wie sie sich gerne selbst betitelt, trotz überschaubarem Repertoire und obskuren Berichten anzuschauen. Letztes Jahr feierte das ohne Zweifel wirklich starke Miseducation also 20. Geburtstag, was mit mittlerweile fast 90 Konzerten bereits zelebriert wurde. Zwei davon finden nun bereits zum 21st Anniversary in Deutschland statt, die Schweiz durfte sich schon dreimal dran erfreuen. Wenn man sich mal ein paar Berichte durchliest, was einen so erwartet, sinken die Erwartungen. Kaum ein Auftritt läuft ohne schlechte Kritiken ab – entweder seitens der Fans, seitens der Presse oder von beiden. Wir waren für euch beim Köln-Gig dabei und können sagen: auch von uns gibt es eindeutig den Daumen nach unten.
Es gibt einen roten Faden, der sich durch den kompletten Abend zieht, und der schimpft sich „Chaos“. Bereits beim Einlass sind die ersten lauthalsigen Beschwerden zu vernehmen, da mehrere Leute nicht wie vereinbart auf der Gäste- bzw. Presseliste stehen – uns miteingeschlossen. So sind also Telefonate angesagt und einiges an Überzeugungsarbeit vonnöten.
Der Tanzbrunnen, eine der beliebtesten Open Air-Locations Köln, ist gut gefüllt, aber nicht ausverkauft. Das Publikum ist ziemlich so, wie man es sich vorstellt. Das Durchschnittsalter liegt geschätzt bei Ende 30, viele Pärchen sind vor Ort. Es wurde sich beim Outfit Mühe gegeben, um ein wenig nach coolem Hipster auszusehen und der Joint ist auch stets in greifbarer Nähe.
Es war mehrmals in den offiziellen Veranstaltungen in ebenso offiziellen Postings zu lesen, dass es keine Vorband geben solle und das Konzert um 20h beginne. Beide Informationen zeigten sich als unwahr. Während der Einlassphase spielt der lokale DJ O-Sun einen bunten Mix aus sämtlichen Black-Hits und verleiht ein Feeling wie in Großraumdiscos der 2000er. Ja, das kommt richtig gut an und bringt die Leute sogar so laut zum Jubeln, dass vor der Halle das Grölen vernommen werden kann. Aber schon er spielt weit über 20h hinaus – und ist nicht der einzige geplante Anheizer. Stattdessen darf ab 20:20 DJ Reborn als „offizieller Tour-DJ“, wie sie sich selbst vorstellt, auflegen und macht genau die gleiche Musik wie ihr Vorgänger, nur in schlechter gemixt, dafür mit Windows Media Player-Videos auf Leinwand. Braucht man das? Nope. Sie scratcht ein bisschen rum, bricht dann aber mittendrin gerne ab und wechselt abrupt nach einer Minute zum nächsten Track. Kennt ihr bestimmt alle: gebt auf einer Party jemandem euer Handy, macht Spotify an und ihr wisst, was passiert.
Parallel zum viel zu lang geratenen Warm-Up entscheidet sich auch der Wettergott, nicht mehr mitspielen zu wollen. Um 20:45 zieht ein so großes Unwetter über Köln auf, dass einer der Crewmitglieder die Bühne betritt und die undankbare Aufgabe hat, verkünden zu dürfen, dass das Konzert „etwas später“ anfangen werde, man sich aber im anliegenden Theater solange ins Warme bringen könne. Dann geht die Musik aus, die Bühne wird verdunkelt. Alle, die es bisher nicht unter die schützenden Schirme vor der Bühne geschafft haben, probieren sich drunter zu quetschen – der Rest verzieht sich ins Theater. Leider bleibt es bei dieser einen offiziellen Ansage seitens der Crew.
Dann passiert knapp 40 Minuten nichts. Zumindest nicht vor den Augen der Zuschauer. Dafür gibt es einen offiziellen Post in der Veranstaltung, dass das Konzert nun im Theater stattfinde. Ok!? Wie soll das gehen? Wer baut so schnell die Instrumente auf? Gibt’s die etwa doppelt? Die stehen doch da vorne noch? Ist der Soundcheck schon durch? Dieser Post kommt sogar zweimal. Währenddessen kommentieren diejenigen, die sich im Theater aufhalten, dass das so nicht stimme und die Besucher draußen auch besser draußen bleiben sollten. Ab 21:20 gibt es erneute Soundchecks und kurz darauf begrüßt uns DJ Reborn, dass jetzt alle wieder zurückseien. Yippie – aber dich wollten wir eigentlich nicht nochmal sehen. Parallel dazu ein neuer Post, dass das Konzert nun doch normal Open Air weitergehe. Die beiden alten Nachrichten mit den falschen Informationen sind bereits entfernt.
Bekanntlich ist im Tanzbrunnen ab 22h Sperrstunde. Die Zeit rennt. Werden etwa die ganzen Negativschlagzeilen sich heute wiederholen? Endlich betritt um kurz vor halb zehn die Band die Bühne, das Publikum feiert dieses Ereignis mit lautem Applaus – und um 21:30 ist auch Lauryn Hill bereit.
Optisch gibt sie ein abgedrehtes, aber irgendwie auch cooles Bild ab. Auffällige Brille, weiße Bluse, eine Art Ledercorsage mit Hosenträgern und einen Rock aus Tüll. Der wird ihr bereits nach wenigen Sekunden zum Verhängnis. Die Ventilatoren vor ihr pusten ordentlich Luft und ihr den Rock ins Gesicht. Hups.
Aber geschenkt! Der erste Eindruck, der nur über die Ohren funktioniert, ist wirklich äußerst positiv. Die Band klingt hervorragend. Gleich acht Leute unterstützen die mittlerweile 44-jährige Sängerin aus New Jersey. Je ein Musiker an den Keyboards, Drums, Bass, Gitarre und an wechselnden Bläsern. Dazu drei hübsch zurechtgemachte Ladies im Backgroundgesang, die durchweg synchron tanzen. Zwischenzeitlich knallt der Sound richtig gut und gibt der Platte aus den 90s eine fette neue, aber nicht zu andere Facette. Die Leinwand zeigt etwas merkwürdige, aber soweit noch passende Videos zu diversen Songs und die Lichteffekte sind schön gewählt.
Das alles scheint Frau Hill jedoch anders zu sehen. Bereits beim ersten Song schaut sie mehrere Male zum Tontechniker, der sich am Rande der Bühne befindet, und gibt ihm Zeichen. Sie reißt die Arme ständig nach oben, zeigt auf ihre InEars, auf ihr Mikrofon, auf Instrumente oder die Backgroundsänger. Ja, der Sound stimmt bekanntlich nicht immer am Anfang eines Gigs, das kommt häufiger vor. Man könnte nun kurz unterbrechen, sich absprechen, was zu tun ist und dann mit verbessertem Sound weitermachen. Könnte man. Oder man macht genau diese Chose bis zum Ende des Konzerts so weiter. Bei jedem Song. In nahezu jeder Sekunde, in der man gerade nicht etwas ins Mikrofon transportieren muss. Zweimal kommen Tontechniker zu ihr und starten eine Diskussion. Der Gesichtsausdruck zeigt, dass hier ordentlich Wut mitschwingt.
Offensichtlich scheint ihr wirklich nichts zu gefallen und auch nichts besser zu werden. Der Sound verändert sich einige Male, was für das Publikum hörbar ist. Somit kann davon ausgegangen werden, dass sich auch der Sound für die Künstlerin verändert hat, nur anscheinend nie so, wie gewünscht. Anstatt es professionell durchzuziehen und einfach zu performen, bleibt es also bei einem Soundcheck ohne absehbares Ende. Dadurch ist es nahezu unmöglich, wirklich ins Konzertfeeling zu kommen. Hill bedankt sich zwar höflich nach jedem Song und streut immer wieder ein „Cologne“ in ihre Zeilen, bleibt aber ansonsten unnahbar und beschäftigt sich mit anderem Zeugs. Die Crowd ist besonders am Anfang total am Start, filmt gierig mit, wirft die Arme in die Höhe, tanzt hüftschwingend mit. Das flacht aber nach einiger Zeit gehörig ab. Komisch.
Wie sieht es denn auf musikalischer Seite aus? Wie bereits erwähnt, machen Band und Background einen guten Job. Hill selbst hat eigentlich zwei Dinge zu tun, wovon sie eine Sache sogar außerordentlich gut macht, und das ist Rappen. Ihre Raps haben nichts an Schnelligkeit und Flow eingebüßt und kommen extrem gut. Teilweise aggressiver, teilweise mit passenden rhetorischen Pausen. Sehr geil! Allerdings galt Hill nicht immer nur wegen ihrer Rapfähigkeit als Star, sondern auch wegen ihres Gesangs. Und davon ist wirklich nur noch wenig übriggeblieben. Hier und da phrasiert sie einige Male, singt ein paar Runs, bleibt aber stets in einer absolut nicht fordernden Mittellage. Den Rest gibt’s nur vom Background. Die Stimme klingt des Weiteren etwas angeschlagen und rau. Zu wenig Übung? Krank? Andere Gründe? Man weiß es nicht. Aber gesanglich überzeugen tut es nicht.
Auf der Setlist gibt es das, was das Programm verspricht: die besten Tracks aus ihrem Mammuterfolg The Miseducation of Lauryn Hill. Ganze elf Tracks aus insgesamt 16 möglichen. Jedoch gibt es nur diese elf Tracks. Inklusive eines Intros. Zum Wohlwollen der Zuschauer endet das Konzert nicht, wie befürchtet, nach 30 Minuten, sondern geht immerhin 70. 70 Minuten ist für einen Star dieser Größenordnung auch schon ordentlich frech und für 80€, die an der Abendkasse verlangt werden, ein unfairer Maßstab. Von den 70 Minuten gehen obendrein locker zehn Minuten für Monologe der Künstlerin drauf, die sich gegen Pressestimmen ausspricht, Entschuldigungen von der Welt erwartet und sich als sechsfache Mutter feiert. Passt zum Fight mit den Tontechnikern. Offensichtlich werden im selben Moment hinter den Kulissen gegen 22h Entscheidungen getroffen, die nicht von jedem so akzeptiert werden. Bereits um kurz nach Zehn betritt ein Crewmitglied die Bühne und teilt der Sängerin etwas mit – womöglich, dass das Konzert enden muss. Gute zwanzig Minuten danach wird das wiederholt und sie scheucht ihn mit passenden Bewegungen weg.
Doch wer nicht hören will, muss fühlen. Um 22:40, während ihres einzigen Hits in Deutschland und gleichzeitig ihrer erfolgreichsten Solosingle „Doo Wop (That Thing)“, wird mitten im Song der Saft abgestellt. Was klingt wie ein Scherz, ist bittere Wahrheit. Vor dem zweiten Refrain werden sämtliche Pegel heruntergefahren, das Mikrofon auf stumm geschalten und wir hören nur noch die Drums und Trompete, die auch ohne Unterstützung laut genug klingen. Hill dreht sich entgeistert um, will die Situation retten, aber es ist zu spät. Die letzten Instrumente verstummen, das Publikum applaudiert höflich, aber vergleichsweise verhalten. Nicht mal ein „Dankeschön“ oder „Auf Wiedersehen“ darf noch zu hören sein. Stattdessen geht das reguläre Licht und Musik vom Band an. Hill winkt noch mal und verlässt daraufhin die Bühne. Wenige Sekunden später werden erste Teile des Equipments abgebaut. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Auch nichts mehr zu kaufen. Nicht mal ein Wasser, was abermals das Publikum verärgert.
Der Ärger zieht sich noch weit über die paar Stunden im Tanzbrunnen hinaus. Sämtliche Onlineplattformen werden mit Enttäuschungen und Beschwerden überschwemmt. Seitens der Veranstalter folgt am nächsten Tag mittags eine Stellungnahme, in der keine Entschuldigung zu lesen ist, sondern sich stattdessen dafür gefeiert wird, dass man 40 Minuten länger raushauen konnte. Außerdem falsche Informationen, dass das Konzert um 21:20 gestartet hätte und angeblich das komplette Set gespielt wurde. Setlists von Konzerten, die vor wenigen Tagen stattfanden, zeigen, dass regulär nach „Doo Wop“ noch die drei Fugees-Klassiker „Fu-Gee-La“, „Ready or Not“ und der Überhit „Killing Me Softly“ folgen. Alle drei Songs konnten in Deutschland bessere Plätze verzeichnen als „Doo Wop“. Mittlerweile ist auch der Berlin-Auftritt gelaufen und laut Berichten war Hill abermals nicht mit dem Sound zufrieden und kam verspätet. Ein Zuschauer kommentiert den Köln-Abend mit dem Wortwitz „The Misinformation of Lauryn Hill“. Viel besser kann man es eigentlich nicht zusammenfassen.
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Foto von Christopher.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.