Refused – War Music [Doppel-Review]

Cover von Refuseds "War Music".

Refused sind Genre-Giganten. Und als solche haben sie sich gewissen Erwartungshaltungen zu stellen, die sich natürlich auch vor ihrem neuesten Album “War Music” verfestigt haben. In den ohne Zweifel furchtbaren gesellschaftlichen Missständen, die aktuell vorherrschen, wünscht man sich von einer aktivistischen Band auch Musik mit Haltung. Genau dieser verpflichtet sich das neueste Album auf voller Länge – aber auch auf die richtige Art und Weise?

Jonas beleuchtet vor allem den brisanten Inhalt des Albums:

„They told me, that the classics never go out of style… but they do“, heißt es gleich zu Beginn des unumstrittenen Post-Hardcore-Meilensteins „The Shape Of Punk To Come“. Tun sie das wirklich? Leider scheinen sich Refused zumindest teilweise selber zu bestätigen. „War Music“ heißt das zweite Album der Schweden nach der Reunion im Jahr 2012. Auf dieses packt die Band zehn ideologisch durchzogene Revolutions-Manifeste, die zum einen etwas einseitig daherkommen, zum anderen gelegentlich die Grenze des Akzeptierbaren überschreiten.

Politischer Aktivismus begleitet das Quintett schon seit seinen Anfangstagen, durchzog Lyrics, die Live-Konzerte und Sonder-Veröffentlichungen. Während ihrer ersten Schaffensphase in den 1990ern brachten Refused zwei Fanzines heraus, die unter dem Titel „Handbook For Revolutionaries“ an Interessierte verhökert wurden. In diesen fanden Fans der Band sowohl die Songtexte zum Zweitling „Songs to Fan the Flames of Discontent“, Kommentare ebendieser, eine eigens verfasste Bandbiographie, Interviews mit anderen Acts und politische Schriften. „War Music“ bezeichnet die Band nun als den dritten Teil dieser „Handbook For Revolutionaries“-Reihe. Deshalb liegen die Texte der zehn Stücke der Vinyl-Variante in Magazin-Form bei. Journalist*innen und Blogger*innen erhalten mit der Albumbemusterung eine PDF-Datei mit allen Zeilen sowie ergänzenden Zitaten geschichtsträchtiger Persönlichkeiten zu den verschiedenen Stücken. Vermutlich entspricht das bis auf Layout und Artwork dem Inhalt der Albumbeilage bei CD und Vinyl.

Von Monothematik und Grenzüberschreitung

Tatsächlich strotzt „War Music“ vor politischer Mobilisierung. Beginnt „REV001“ noch mit einem lieblichen Frauengesang, so geht es auf textlicher Ebene gleich von Beginn an rau zu. Über eingängigem Rock-Hardcore-Hybrid ruft Frontmann Dennis Lyxzén nach der gewaltsamen Befreiung von Kapitalismus und Patriarchat. Eine ähnliche Richtung schlagen auch „Violent Reaction“ und „Blood Red“ ein. Spätestens bei letztgenanntem wird die Auseinandersetzung mit gewaltgetränkten Revolutionen schlussendlich einseitig und man beginnt bei dem Aufruf nach dunkelrotem Blut auf den Straßen genervt mit den Augen zu rollen. Der Band ist dabei aber nicht zum Scherzen zumute. Ernster wird die ganze Sache nämlich beim Blick auf die im Text-Heft zitierten Persönlichkeiten. Neben Zitaten diverser Kunstschaffenden wie der russischen Polit-Punk-Band Pussy Riot oder dem irischen Schriftsteller Oscar Wilde, Klassikern wie Karl Marx oder Bertholt Brecht tauchen dort auch strittige Namen auf – unter diesen: UdSSR-Revolutionär Leon Trotskij und RAF-Terroristin Ulrike Meinhof.

Vielleicht steht man den Taten und Aktionen der Roten Armee Fraktion in Deutschland der geographischen Nähe wegen kritischer gegenüber als in anderen Gebieten unserer Erde. Wer weiß. Zumindest trifft man selbst in autonomen Zentren und äußerst linken Kreisen kaum auf Menschen, die der gewaltbereiten Organisation etwas Gutes abgewinnen können. Immerhin starben durch deren Hand 33 Menschen. Immerhin vertrat sie Positionen, die zum Antisemitismus keinen großen Abstand hegten. Sich einem solch historisch strittigem Konstrukt zu nähern, indem man auf dessen Anhänger verweist, muss deshalb diskutiert werden – ganz unabhängig von der Monothematik und dem teilweise veraltetem Gedankengut, das sich durch das Album ziehen.

Es geht auch anders

Zum Glück bleibt es im Albumverlauf nicht ausschließlich bei solch stumpfen Aufrufen zu Gewalt. „Malfire“ behandelt die Ströme von Geflüchteten im 21. Jahrhundert, „Turn The Cross“ zieht eine Verbindung zwischen dem kapitalistischen System und der neuerdings erstarkenden populistischen Rechten und „Damaged III“ rechnet mit dem gesellschaftlichen Männlichkeitsbild ab. „Death In Vännäs“ knöpft sich etwas später die Heimat der Band vor: Das 4000-Seelen-Dorf Vännäs im Norden Schwedens und dessen konservativen Traditionen. Auch musikalisch gibt sich die Band wieder einfallsreicher und energetischer als auf dem Vorgänger „Freedom“ und lässt mit den Riffs von „Turn The Cross“ und „The Infamous Left“ alte Rage Against The Machine-Zeiten aufleben. Ansonsten erinnern nicht nur die kurzen Interludes zwischen den Songs an vergangene Hochzeiten, sondern auch die teilweise nach vorne preschenden, teilweise melodischen Post-Hardcore-Momente. Refused gelten eben nicht ohne Grund als eine der bedeutendsten europäischen Bands des Genres.

„War Music“ durchzieht eine pessimistische Weltsicht, die den einzigen Ausweg aus Ungleichheit, Diskriminierung und sozialen Spannungen in einem gewaltsamen Umbruch sieht. Ob die radikale Kapitalismuskritik vor allem provozieren und polarisieren soll oder ob jede Textzeile, jedes Zitat wirklich eins zu eins so gemeint wie gesagt ist, kann dabei nur schwer eingeschätzt werden. Offensive Social-Media-Werbung, MagentaEins-Pre-Sales und Major-Deal sorgen jedoch zumindest für einen bitteren Beigeschmack. Hinzu kommen die kritischen Grenzüberschreitungen sowie die inhaltliche Einseitigkeit, die Teile des Albums prägen. Sind Refused nun zu einem traurigen Abbild ihrer Selbst geworden? In Teilen reproduziert die Band tatsächlich nur alte Ideologien und Ideen und glänzt nicht gerade durch Selbstreflexion. In Teilen gelingt es ihr jedoch vor allem musikalisch alte Stärken wiederaufleben zu lassen. Bei der Sache mit den alten Klassikern scheint es sich also um ein zweischneidiges Schwert zu handeln. Oder?

Julia konzentriert sich hingegen auf die vermeintliche musikalische Vielfalt:

Refused machen keine halben Sachen. Schon ein Blick auf die Albencover lässt einen immensen Wandel zwischen der bisher letzten Platte “Freedom” und nun “War Music” erkennen. Während sich außerdem auch schon die Titel von einem indiskutablen Menschenrecht auf einen meist gewalttätigen Schlagabtausch gewandelt haben, zieht sich dies sowohl auf textlicher, als auch auf musikalischer Ebene durch. Natürlich waren Refused mit ihrem Genre-Meilenstein “The Shape of Punk to Come” prägend, doch mit “Freedom” hatten die Schweden vor knapp drei Jahren ein besonderes Ausrufezeichen gesetzt. Ihr Stil wurde durch feine Einspieler verfeinert, die Songs teils entschleunigt, teils durch Einflüsse verändert: Ein spannender, neuer Sound wurde geboren. Darauf hat “War Music” nicht viel Lust und haut lieber alles auseinander – alles im Zeichen des radikalen Umbruchs.

Die Waffen der Revolution

Schon die pointiert schreddernden Rock-Hardcore-Riffs des Openers “REV001” sollten die Massen entzücken, wenn vor dem geistigen Auge dann noch Naturgewalt Dennis Lyxzén über die Bühne poltert und “Revolution One” kreischt, wird das Publikum weltweit diesem Aufruf ohne lange Widerrede folgen. Zumindest für die Dauer der Konzerteuphorie. Einen besonderen Antrieb bekommt der Song aber gerade durch den Effektschleier, der sich in den Bridges über die Gitarren legt, um den Refrain gleich noch tosender erscheinen zu lassen. Ansonsten kennt man das so schon von Refused, die Revolution überlassen die Musiker also scheinbar eher der Gesellschaft. Fett bleibt die Produktion dennoch, was neben Lyxzén vor allem an der Rückbesinnung auf den rohen Kern des Punks liegt – Schnörkel braucht “War Music” nicht, wie auch die größte Hymne “Blood Red” beweist. Diese Riffs hätten das Zeug dazu, noch lange im Genre-Zeitgeist verankert zu bleiben; wenn der nicht längst von jungen, stürmischen (Post)-Punk-Bands bestimmt werden würde… Sei’s drum, auch wenn der Punk-Entwurf von Refused musikalisch etwas Staub angesetzt haben mag, bei dem kompromisslosen Metal-Raser “Turn the Cross” oder der dichten Wall of Sound in “Death in Vännäs” ist Widerstand tatsächlich zwecklos. Denn ihr Werkzeug beherrschen die Schweden fraglos, wie vor allem “Malfire” beweist. Ruhiger Gesang taumelt von einem unnachgiebigen Takt nach vorne getrieben in ein Bett aus tiefschwarzen Riffings, die sich in einen von Stakkato-Rhythmen pulsierenden Refrain auflösen.

Das Haar in der Suppe

Zehn Songs lang reißen die Schweden so mit klassisch-rabiatem Songwriting das Ruder an sich, keine Sekunde sackt die Intensität in sich zusammen. Bestialisches Schreien, druckvolle Rhythmen, rasende Riffings, donnernde Soundeskapaden – alles fließt zu den definitiven Revolutionssongs zusammen, die Refused angekündigt hatten. Dennoch – so ganz kann und möchte ich mich gar nicht mit der martialischen, kompromisslosen Ideologie hinter diesem Album anfreunden. Und trotz all der mitreißenden Songentwürfe bestimmen mittlerweile andere Bands den Zeitgeist des Punk – mit anderen Mitteln sowohl auf musikalischer, als auch auf inhaltlicher Ebene.

Das Album “War Music” kannst du dir hier kaufen.*

Tickets für die kommende Tour mit Thrice gibt es hier.*

Und so hört sich das an:

Website / Facebook / Twitter / Instagram

Refused & Thrice live 2019:

04.11. – Köln, Deutschland, Carlswerk Victoria
05.11. – Hamburg, Deutschland, Große Freiheit 36
11.11. – München, Deutschland, Tonhalle
12.11. – Berlin, Deutschland, Huxleys Neue Welt

Die Rechte für das Albumcover liegen bei Spinefarm.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.