Ist er etwa zur Vernunft gekommen, dieser Franz Bibiza? Er hat neue Stücke geschrieben, auf denen geht es ausnahmsweise mal nicht ums Feiern, Drogen nehmen, und Frauen. Naja, irgendwie doch schon – nur anders. Einer dieser Songs prangert in gewohnt charmantem Schmäh übergriffiges Männerverhalten in Clubs an. Er liest sich fast wie ein feministisches Bekenntnis. Ein Casanova respektiert auch die Grenzen seines Gegenübers und akzeptiert, dass Frauen keine Begierdeobjekte im Dauerabonnement sind. Nicht, dass Bibiza bislang Gegenteiliges formuliert hätte – er hat es nur nicht so explizit zum Ausdruck gebracht. Ein anderes Stück dann handelt doch auch vom Exzess-Lifestyle. Statt Alkohol, Kokain und Party zu glorifizieren jedoch, beleuchtet es kritisch deren Schattenseiten. Auch das schien bis dato immer Mal durch, wurde jedoch nie derart direkt ausgesprochen.
Keine Sorge, Bibiza ist trotzdem noch immer ein Casanova. Aber einer, der sich seiner Privilegien bewusster geworden scheint – oder diese zumindest klarer ausformuliert. Angehimmelt wird er noch immer. Als er im seit einer Ewigkeit dichten Luxor für eine fiktive Taxifahrt mitsamt seiner vierköpfigen Band die in schickem rot hergemachte Bühne betritt etwa, ist der Lärm von mehreren hundert Menschen ohrenbetäubend. Es ist die Tour zu seinem letztjährigen Erfolgsalbum “Wiener Schickeria”. Dieses war beileibe nicht das erste Release von Bibiza, aber eine Stilneufindung. Indie-verschmierten Austro-Pop in der Tradition eines Falco spielt Bibiza seitdem. Auch die eingangs zur Sprache gebrachten bislang noch unveröffentlichten, neuen Lieder, von denen es bereits drei in das Set schaffen, schlagen diese Richtung ein. Neben diesen performen Bibiza und Band in anderthalb Stunden das komplette “Wiener Schickeria”-Album und zwei Coverversionen. Alles, was auf den vier Vorgängern geschah, spart man aus.
Köln soll einen Abend lang möglichst viel Wien sein. Schon vor Beginn des Konzertes läuft auf einer Leinwand daher ein Loop mit Wien-Atmosphäre. Als diese dann abgebaut wird, um Platz für den Casanova himself zu schaffen, schallen gleich “Bibiza”-Chöre durch den flachen Club, in dem sich mittlerweile Menschenkörper stapeln. Die Meute hat Bock und Energie, muss sich aber zunächst etwas gedulden, denn Bibiza hat seine Wiener Taxifahrt über Opernring und Höhenstraße hin zum Stadtpark clever durchgeplant. Auf einen Anruf bei der Zentrale, der ein Taxi in das Kölner Luxor ruft, folgt zunächst eine kleine Stadtrundfahrt. Ein gemächlicher Einstieg, der nur hier und da einige bekanntere Album-Songs streut. Dann zum zweiten Drittel tritt der Taxifahrer das Gaspedal durch und überfährt alle roten Ampeln. Es eskaliert. “Ode An Wien”, “Stadtpark Insomnia”, “Blau” und schon schwankt der Boden unter den vielen springenden Körpern. Das letzte Drittel dann ist Cooldown und Afterparty zugleich. Ein paar entspannte letzte Runden bei später Stunde, Arme und Körper aus dem Dachfenster gelehnt, Haare im kühlen Fahrtwind wehend.
Bibiza mimt den perfekten Rock’n’Roll-Entertainer. Die Fahrt vergeht so wie im Flug. Er läuft durch das Publikum, dirigiert Moshpits sowie seine fantastische Band, spielt zwei Stücke auf der Akustik-Gitarre. Außerdem hält er Ansprachen als habe er nie im Leben etwas anderes getan. Es dominiert erneut der gesunde Menschenverstand und kein blinder Druffilifestyle: Ein Bibiza-Konzert sei ein Safe Space für alle, insbesondere für Frauen. Wer das nicht verstehe, fliege raus. Als alle zum abschließenden Gruppenfoto mehrfach “Kokain” brüllen sollen, sagt er noch fix man dürfe das aber nicht zu ernst nehmen. Exzess, aber als Stilmittel. Mit Bewusstsein. Bibiza, der erste Rock’n’Roller mit Charakterstärke und Herz – und mit zunehmender Vernunft.
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Und so hört sich das an:
Foto von Jonas Horn.
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