Bei der riesigen Auswahl an Entertainmentshows ist es ziemlich schwierig, sich zu entscheiden. Lieber etwas Neues ausprobieren, von wem noch niemand richtig weiß, was passiert? Oder doch lieber ein Klassiker, der seit Jahrzehnten funktioniert? Holiday On Ice ist zweifelsohne einer der allergrößten Dauerbrenner. Seit 1942 und demnach über 80 (!) Jahre läuft die Eiskunstlaufshow weltweit und hat doch somit sicherlich den Zeitgeist verpasst, oder? Nein, ganz im Gegenteil: Mit der neuen Inszenierung No Limits schafft man erneut, Bühnenkunst, die man in diesem Leben wohl nicht mehr nachzumachen wagt, hervorragend auf den Punkt zu liefern.
Das ist schon wirklich eine Hausnummer: An Weihnachten 1942 gibt es in einem kleinen Hotel in Ohio in den USA erstmalig Holiday On Ice zu sehen – ganz passend zu den Feiertagen, die in Amerika auch “Holiday Season” genannt werden. Ein Aha-Erlebnis, nicht wahr? Gern geschehen. In kürzester Zeit spricht sich herum, wie fantastisch das Event doch ist, sodass die Show schnell zum Kult wird. 1951 geht es bereits nach Europa, darunter auch erstmalig nach Deutschland, nämlich nach Frankfurt. Nur ein Jahr später ist Dortmund der zweite Standort. Seitdem verbindet der Dino der Entertainmentshows Generationen.
Zwischen November ’23 und April ’24 stehen 20 Städte auf dem Plan. Die Tour für die nächste Saison ist bereits mit elf Städten angekündigt. Mit Sicherheit werden noch einige weitere folgen. In der Westfalenhalle hat man die Chance, in drei Tagen gleich sechs Termine zu besuchen, denn eine der größten Stärken von Holiday On Ice ist die Familienfreundlichkeit. Schon an dieser Stelle sei verraten: Es ist einfach eine der ganz wenigen Shows, bei denen mit großer Sicherheit Oma, Opa, Mama, Papa, Schwester, Bruder, Onkel, Tante, Sohn und Tochter gemeinsam Spaß haben. Die Kleinen, weil alles so wunderbar bunt und aufregend ist. Die Kritischen, weil es einfach qualitativ so hochwertig dargestellt ist. Und die Aufgeregten, weil’s eben so mitreißt. Selbst preislich ist die aktuelle Tour nicht mal halb so teuer wie ähnlich aufwändige Produktionen eines Hamburger Stage-Musicals zum Beispiel. Und so viel besser sind die oft auch nicht mehr. Eben nur anders.
Zur Premierenveranstaltung in Dortmund, die am Freitagabend über die Bühne geht, haben viele den Weg gefunden. Der Oberrang bleibt geschlossen, im Unterrang sowie im bestuhlten Innenraum gibt es ein paar freie Sitze, aber nicht ganz so viele. Schließlich hat man die Wahl zwischen sechs Terminen allein in der Ruhrmetropole sowie einigen weiteren in NRW. Münster wurde schon rund um Silvester auf Eis gelegt, Köln folgt im März. Somit ist ein fast volles Haus alles andere als schlecht. Mit Snacks und Drinks eingedeckt, geht es auf die Plätze – und zwischendrin gibt es während des Einlasses ein wenig Irritation. Eine männliche Person mit einem Overall, auf dem “Tech” steht, läuft durch die Reihen, klettert über Absperrungen, fliegt über Leitern und bekommt von allen Seiten Hilfe angeboten, weil er so tollpatschig und verwirrt wirkt.
Doch um Punkt 20 Uhr ist dann auch den Allerletzten klar, dass bereits das ein Teil der Show ist – eine wirklich herrlich schräge Idee. Der einzige Akteur, der ohne Schlittschuhe auskommt, wird immer wieder auftauchen und für komödiantische Parts in der genau zwei Stunden langen Aufführung, die von 20 Minuten Pause unterbrochen wird, zuständig sein. Die riesige Eisfläche, die bestimmt zwei Drittel des gesamten Innenraums einnimmt, schimmert. Am Ende des gefrorenen Wassers stehen große Bildschirme mit einem Kubus davor, auf denen futuristische Einspieler laufen. Über der Fläche hängen unzählige Netze aus Lichtern. An den Seiten gibt es eine ganze Batterie an Spots und weiteren Effekten, die direkt ein kleines “Wow” bei den Zuschauer*innen hervorrufen.
Ansonsten gilt: Zurücklehnen, mitklatschen, staunen, wegträumen. Holiday On Ice hat womöglich hier und da mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass es ein wenig kitschig, angestaubt und altbacken daherkommt – weg mit diesen Klischees! Stattdessen geschieht bei No Limits alle fünf bis zehn Minuten ein Ausflug in eine neue Kulisse, die in eine etwas zu abstrakte Virtual-Reality-Story eingewoben wird. Ob Wilder Westen, Strand der 1960s, Retro-Disco, Pac-Man-Hommage, Gladiatorenwettkampf oder mystisches Schachbrett – hier jagt ein aufwändiges Bühnenbild das nächste. Dazu kommen Requisiten wie schwingende Kronleuchter, ein kleiner Wagen, auf dem Zuckerwatte hergestellt und anschließend im Publikum verteilt wird, Flammenwerfer, ein Flipperautomat und so vieles mehr, dass es unmöglich ist, sich überhaupt alles zu merken. Mehr ist hier eindeutig mehr. Ach ja, Eiskunstläufer*innen gibt es ja auch noch.
Und die sind auf Weltniveau. Mag immer ein leicht verwendetes, überzogenes Vokabular sein, aber it is what it is. Holiday On Ice castet wirklich nur die Top-Riege aus sämtlichen Ländern der Erde. Wer tiefer einsteigen möchte, sollte unbedingt einen Blick auf die Instagram-Seite werfen, auf der regelmäßig die Mitwirkenden vorgestellt werden. Kanada, Frankreich, Norwegen, Polen – ein internationaler Mix, weil eben nur das Beste. Wer Weltmeisterschaften im Fernsehen guckt, sieht dort dieselben Figuren wie hier auf dem Eis. Einen auffälligen Unterschied gibt es hier nicht. Sowieso praktisch, dass Weltmeisterschaften ja nur ein paar Tage im Jahr stattfinden und die Läufer*innen somit an vielen anderen Zeit haben, um hier mitzulaufen. Win-Win für uns alle. Eigentlich kann man sich auch gar nicht entscheiden, welchen der rund 40 (!) teilweise gleichzeitig laufenden Künstler*innen man gerade am meisten bewundert. Das große Ganze macht es wohl aus, dass hier so viele Choreografien exakt synchron performt werden.
Doch es geht noch um einiges mehr als nur um Synchronität. Sind manche Szenerien eher für die Ästhetik, wie die Szene am Strand, die ganz grazil und sexy wirkt, gibt es in der Disco-Nummer angsteinflößende Stunts, bei denen man immer wieder hofft, dass sie bitte gutgehen. Spoiler an dieser Stelle: In der gesamten Show am Freitagabend stürzt nicht mehr und nicht weniger ein Läufer ein einziges Mal. Das war’s. Unfassbar. Gen Ende gibt es eine fast nur aufs Laufen reduzierte große Kür zu Zweit zu Lady Gagas “Hold My Hand” aus dem letzten “Top Gun”. Wer es also lieber minimalistisch mag, kommt ebenso auf seine Kosten. Oder doch lieber das komplette Gegenteil mit dem optisch geilsten Schachbrettspiel seit “Harry Potter und der Stein der Weisen”, unter anderem zum Eurovision-Hit “Queen of Kings” von Alessandra aus dem vergangenen Mai?
Holiday On Ice macht wirklich gar keine Kompromisse, und genau das ist exakt richtig so. Holiday On Ice ist irrsinnig anspruchsvoll in dem, was die Akteur*innen leisten. Das ist mal in schwindelerregender Höhe an Tüchern, dann wieder mit Contemporary ähnlichen Figuren voller Schwung, bei denen die Männer ihre Frauen mit solch einer Präzision und Schnelligkeit umherschleudern, dass es oft nur Zentimeter sind, die der Kopf nur noch von der Eisfläche und somit einer eventuellen Gehirnerschütterung entfernt ist. Da ertappt man sich selbst einige Male beim Luftanhalten, um dann entspannt beim lauten Klatschen und Jubeln wieder loslassen zu können.
Wenn man nach etwas suchen möchte, was verbesserungswürdig ist, hat man keine leichte Aufgabe. Es wäre nett, wenn es vielleicht ein oder zwei Songs gäbe, die gleichgeschlechtliche Paare beim Laufen zeigen würden zum Beispiel. Oder einen Charakter, der nicht dem absolut super perfekten Körperbild entspricht. Dass einige Outfits sehr auf Reize setzen, ist auch Geschmacksache, aber eigentlich ziemlich unnötig. Das sind aber nur Ideen – denn das, was gezeigt wird, ist quasi makellos und richtig fantastisch.
Für eine derartig beeindruckende Leistung ist der Applaus in Dortmund wirklich viel, viel zu verhalten. Viel zu höflich. Beim großen Finale wird nicht mal aufgestanden, was schier unglaublich ist. Trotzdem: Ob man nun eher die brennende Eisfläche als extremen Augenreiz mit nach Hause nimmt, die Synchronität in den großen Ensemble-Nummern bevorzugt oder doch Saltos, Schrauben und Flickflacks mag – Holiday On Ice ist echt großartig und dazu jedes Jahr komplett unterschiedlich. Einige aus unserem Team waren im Januar 2023 schon privat vor Ort und haben eine zu 100 Prozent andere Show gesehen. Das sind wohl zweifellos genug Gründe, um auch 2025 wieder dabei zu sein. Winterfrust goodbye!
Und so sieht das aus:
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Foto von Christopher
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