(ENGLISH VERSION BELOW) Mit CHVRCHES schrieb Lauren Mayberry Synth-Pop-Geschichte und spielt bis heute in den größten Hallen der Welt. 11 Jahre nach dem CHVRCHES-Debüt erscheint mit “Vicious Creature” nun das erste Solo-Album von Mayberry. Mit einem theatralischen Ausdruck tanzt es zwischen klaren Feminismus-Parolen und tiefer Introspektive in völlig anderen Sphären – erste Songs präsentierte sie schon Ende 2023 auf Tour. Lauren erzählt uns im Gespräch zum Album, wie das mit “Wicked” zusammenhängt, wie es sich anfühlt, mit Frauen und Queers auf Tour zu sein – und wieso sie jetzt wütender ist als zu Beginn ihrer Karriere.
minutenmusik: Hallo, Lauren! Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?
Lauren Mayberry: Hi! Mir geht es sehr gut, ich hoffe dir auch?
minutenmusik: Alles bestens, danke! Zuerst vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, Lauren – das freut mich sehr. Ich würde gerne mit einer wirklich offensichtlichen Frage starten: Wie hat es sich gefühlt, ein Solo-Album zu veröffentlichen, nach so vielen Jahren mit CHVRCHES? Würdest du sagen, dass die Fragen, die du in den Interviews gestellt bekommst, sich jetzt verändert haben?
Lauren Mayberry: Ja, es fühlt sich ziemlich surreal an, dass das Album jetzt eigentlich veröffentlicht ist. Ich spreche mit Leuten über ein echtes Album, das sie gehört haben – nachdem ich schon so lange vorher hinter den Kulissen daran gearbeitet habe.
In Bezug auf die Interviews: Natürlich fragen viele, was das für die Band bedeutet. Ich wusste natürlich, dass das erste Solo-Album, das ich mache, immer in Bezug auf die Band gesehen wird. Ich glaube, das hat die Fragen etwas verändert.
minutenmusik: Ich kann mir vorstellen, dass es sehr viel Interesse daran gibt, was das für die Band bedeutet. Aber ich hoffe, dass es auch viel Platz für dich als Solo-Künstlerin gibt. Ich fand es sehr interessant, dass du “Change Shapes” als Single veröffetlicht hast, weil nicht nur der Sound spannend ist, sondern auch das Thema über die ganze Sache mit den Erwartungen der Musikindustrie an Frauen und dem Patriarchat im Allgemeinen gegenüber Frauen. Die ganze Erwartung, dass wir uns immer weiterentwickeln müssen, um interessant zu bleiben. Würdest du sagen, dass du mehr Freiheit und Raum für dich und deinen Feminismus in diesem Album hattest, als vielleicht in den Alben, die du vorher veröffentlicht hast?
Lauren Mayberry: Ich glaube schon. Bei CHVRCHES war es auch oft so, dass wir über Feminismus gesprochen haben – aber es war kein sonderlicher produktiver Dialog. Es fühlte sich an, als ob die Leute dieses Thema ansprachen, weil sie das Buzzword für ihr Artikel gebraucht haben. Und die Lyrics und die Songs, die wir gemacht haben, waren nicht explizit feministisch. Wahrscheinlich sind sie implizit feministisch, weil es aus meiner Perspektive kommt, aber es war nicht so, als ob wir viel darüber geschrieben hätten. Bis zum vierten Album von CHVRCHES (“Screen Violence”, Anm. d. Red.).
Hier habe ich ein ganzes Konzept erschaffen, um alles thematisch feministischer zu gestalten. Die Leute haben mich immer gefragt, wie es ist , eine Frau in der Öffentlichkeit zu sein – aber die andere Seite der Debatte kam selten auf den Tisch. Sie wollen sie nicht wissen, oder sie beffassen sich nicht mit der dunklen Realität. Wir haben damals also ein Horror-themed Album gemacht. Aus meiner Sicht ist es ein Body-Horror-feministisches Album. Ich glaube, das ist das einzige Mal, dass ich das mit CHVRCHES gemacht habe. Es fühlt sich an, als wäre das die einzige Iteration, mit der ich es befreien konnte, weil es in einem Konzept verpackt war. Bei meinem eigenen Projekt ist es einfacher, zu diesem Ort zu gehen, weil man nicht darüber nachdenkt, wie sich jemand anders in dem Projekt fühlt.
Nicht, dass ich nicht mit Leuten kollabiere. Aber mit diesem Projekt kann ich die Lyrics und den Sound fokussieren, anstatt immer darauf zu achten, ob wir uns alle damit bequem fühlen. Es ist also ein ganz anderes Stil des Schreibens, was für mich damals ziemlich frei war. Ich glaube, ich brauchte das in dem Moment.
minutenmusik: Würdest du sagen, dass viele von deinen Zuhörer*innen und Fans überrascht waren, wie explizit einige der Songs in ihrem Feminismus waren? Wenn jemand dich kennt und dich live gesehen hat, dann weiß man vielleicht, dass du sehr feministisch bist . Aber vielleicht gab es dennoch überraschte Reaktionen?
Lauren Mayberry: Ich weiß es nicht. Ich habe sehr darauf geachtet, nicht zu viel über die Online-Kommentare zu lesen. Ich glaube nicht, dass man so viel wissen sollte, wie die Leute über dich denken – weder in einer guten noch in einer schlechten Weise. Aber ja, ich bin mir sicher, dass manche Leute etwas von dem Thema überrascht sind, weil Feminismus bisher eher wie ein trojanisches Pferd in CHVRCHES platziert war.
Aber ich hoffe, dass diese beiden Welten in Zukunft parallel existieren können. Ich bekomme in jedem Projekt einen anderen Kick aus dem Songwriting. Bei den Signing Sessions letzte Woche habe ich auch gemerkt, dass ich unterschiedliche Menschen damit erreiche: Die meisten sind CHVRCHES-Fans, aber es gab auch Leute, die dazu kamen, die explizit gesagt haben, dass sie CHVRCHES nicht mögen, weil sie sich nie wirklich mit ihnen verbunden gefühlt hatten. Aber die Songs von “Vicious Creature” haben viel mehr in ihnen ausgelöst.
Und das ist es ja, worum es geht: Man versucht, etwas in der eigenen Geschichte zu verstehen und es dann zu kommunizieren. Wenn man dann etwas vom Gegenüber zurückbekommt, ist es das, was man als Songwriterin eigentlich möchte.
minutenmusik: Das finde ich spannend – meist klingen die Solo-Projekte von früheren Band-Mitgliedern sehr ähnlich wie die Band. Bei “Vicious Creature” ist das weder in Sound noch bei den Lyrics so.
Eine lustiger Zufall ist, dass dein Album während des ganzen Hypes für den Film “Wicked” erschienen ist. Ein Aspekt, der beides verbindet, ist das Thema im Umgang mit “bösen” Frauen. Was denkst du über den Zusammenhang? Und Würdest du sagen, dass sich die Sicht auf “böse” Frauen in den letzten Jahren verändert hat?
Lauren Mayberry: Ich bin für jedes Gespräch über “Wicked” bereit – immer und überall. Ich war auch drei Mal im Kino – dabei mag ich die meisten Musicals nicht. Zumindest nicht diese super glücklichen. Ich mag eine gewisse Hyper-Realität, die Dunkelheit in sich trägt. Ich liebe “Wicked, “Cabaret”, “Chicago”.
Ich finde es interessant, wie die Gespräche über sichtbare Frauen sich gerade verhalten. Insbesondere die Gespräche in den Medien über Trans-Frauen zeigen ja, wie sehr Leute bestimmen möchten, was eine akzeptable Form von Frau ist. All das hängt ja zusammen, weil es eine patriarchale Beschäftigung mit akzeptabler Femininität handelt. Und ich denke, in manchen Fällen sind progressive Gespräche über dieses Thema mehr Mainstream, als sie vor ein paar Jahre waren.
Aber wenn man sich die öffentliche Darstellung der Frauen anschaut, dann weiß ich nicht, ob es unbedingt viel besser ist. Ich erinnere mich, dass ich ein paar Jahre zuvor über den Johnnie Depp-Amber Heard-Fall sehr überrascht war. Ob du denkst, dass Amber Heard eine gute Person ist oder nicht, spielt keine Rolle dafür, wie diese Gespräche verlaufen sind. Ich habe mich gefragt, ob alle ihren Verstand verloren haben. Es war für mich beängstigend. Wenn man Dinge wie die Reframe von Britney Spears oder Lindsay Lohan oder Paris Hilton sieht, denke ich, es ist wirklich toll, dass wir uns daran erinnern, dass wir f*****g brutal für diese Frauen waren.
Die Frage ist: Muss man das für 20 Jahre durchstehen und erst dann ändert sich die Sichtweise darüber? Jetzt ähnelt der Umgang mit Jojo Siwa wieder – und es ist nicht weniger schlimm, weil sie selbst in den Witzen mitmacht. Also ja: Das Thema beschäftigt mich. Daher mache ich ein Album darüber.
minutenmusik: Ich denke, dass es vielleicht ein paar Bubbles gibt, die immer progressiver geworden sind, besonders queere Personen und Frauen. Aber ich denke, dass sich die Gesellschaft insgesamt nicht viel verändert hat. Leider noch nicht. Aber vielleicht kommt das in den nächsten Jahren.
Lauren Mayberry: Wir hoffen es!
minutenmusik: Was ich interessant fand, war, dass du andere Musicals wie Cabaret oder Chicago als Einfluss auf das Album in Bezug auf den Sound erwähnt hast. Das fand ich sehr interessant, weil viele Solo-Debüts ja eher ruhiger und akustischer klingen als die Alben der Bandprojekte. Steckte in dir schon lange der Wunsch, ein so künstlerisches, fast schon theatralisches Album aufzunehmen?
Lauren Mayberry: Ich glaube schon. Als ich anfing, das Album zu machen, dachte ich, dass alles so sein wird. Dass es durchgehend ein sehr dramatisches, theatralisches, visuelles, charakteristisches Album wird. Zur Hälfte ist es auch so. Die andere Hälfte sind eher persönlicher Natur. Das ist ja das Tolle an Kreativität: Der eine Teil deines Gehirns hat einen Plan. Und die andere Seite einen anderen.
Die Idee eines ruhigen Albums sprach gegen meinen Impuls für mein Solo-Debüt. Ich wollte nicht, dass meine Kreativität kleiner sein musste, als ich sie gespürt habe. Ich wollte mich mehr austoben in meiner Kreativität. Das war ja das, was die Leute von mir hören wollten: Einen CHVRCHES-Song oder einen folkigen Singer-Songwriter-Sound. Ich liebe solche Songs, aber in dem Moment war es nicht das, was ich wollte.
Vielleicht kommt das beim nächsten Album. Bei der Performance auf der Bühne macht es gerade einfach Spaß, theatralischer zu sein – vor allem wenn das eine Version von dir zeigt, die du im echten Leben nicht hast.
minutenmusik: Die Sound-Ästhetik des Albums ist auf der einen Seite sehr tanzbar und Synthie-lastig, die Texte sind dazu aber sehr persönlich oder politisch. War es dir wichtig, diesen politischen Unterton mit dem dennoch tanzbaren Sound zu verbinden?
Lauren Mayberry: Als ich anfing zu schreiben, waren die ersten Songs noch auf Gender und politische Themen fokussiert. Das war das erste, was raus musste, bevor ich mich den emotional-persönlichen Dingen widmen konnte. Am Anfang hatte ich mir noch vorgenommen, gar keine Synthesizer auf dem Album zu benutzen. Im Verlauf ist mir dann aber bewusst geworden, dass man Synthies ja auch unterschiedlich einsetzen kann.
Als ich das Album meinem Partner vorgespielt habe, ist ihm aufgefallen, dass die meisten Songs in Dur-Tonarten sind – die meisten CHVRCHES-Songs nicht. Und ich habe erstmal gesagt “Nein, das stimmt nicht! Es ist sehr traurig!”. Dann habe ich aber festgestellt: Es stimmt! Genau diese Dinge, also andere Tonarten und Akkordfolgen zu benutzen oder auch mal nur in Kopfstimme oder sehr tief zu singen – bei CHVRCHES-Songs gibt es eine klare Range, die ich verwende – hat mir beim Songwriting so Spaß gemacht. Einfach eine völlig andere Palette nutzen zu können.
minutenmusik: Irgendwann in diesem Prozess ist dann auch die Entscheidung gefallen, auch ruhigere, emotionalere Songs auf das Album zu bringen. War das für dich eine schwierige Entscheidung, die Platte auch verletzlich zu gestalten oder war es dir von Anfang an wichtig?
Lauren Mayberry: Ich glaube, es ergibt Sinn, dass diese Songs am Ende des Prozesses entstanden sind. Und zwar aus dem Grund, dass ich letztes Jahr mit ungefähr dem halben Album schon Konzerte gespielt habe. Es war meistens “Shame”, “Change Shapes”, “Crocodile Tears”… also allgemein viel theatralisches Material. Während der Show habe ich bemerkt, dass mir hier ein Moment der Verbindung mit dem Publikum fehlt. Ich habe gesagt, ich muss nach Hause und ich möchte etwas schreiben,das mehr Tempo hat.
Und ich möchte etwas schreiben, das den Leuten etwas mehr Raum gibt, emotional zu sein. Ich habe dann “Something in the Air” geschrieben, “Punch Drunk”, “Anywhere But Dancing Dancing” und “Oh, Mother”. “Oh, Mother” war der letzte Song, den wir geschrieben haben. Als wir ihn fertig hatten, wusste ich: Wir können jetzt aufhören. Seit dem Start von CHVRCHES haben wir keine unveröffentlichten Songs mehr vor Leuten gespielt und diese Songs selbst haben sich auch noch verändert, aber es hat sich sehr gut angefühlt, die Songs, die ich schon hatte, im Live-Setting zu testen, und dann nochmal ins Studio zu gehen.
minutenmusik: Ich finde es sehr interessant, dass du diesen Weg genommen hast. Ich war letztes Jahr bei der Köln-Show und war wirklich überrascht von den neuen Songs. Aber natürlich gab es die Frage, ob es auch eher langsame Songs geben werden!
Eine weitere Sache, die mich sehr interessierte, war, dass du in “Shame” viel über toxische Beziehungen mit anderen Menschen singst. Würdest du sagen, dass Scham auch etwas ist, das die Musik-Industrie insbesondere Frauen fühlen lassen möchte?
Lauren Mayberry: Ja, Ich denke, Scham und Schuldgefühle sind Dinge, die mir im Leben immer wieder begegnet sind. Ich hatte es einfach so Gedanken internalisiert wie “Du bist falsch, du bist das Problem, du bist nicht richtig”. Ich weiß nicht, ob das unbedingt die Schuld von irgendwem ist, aber wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, denke ich schon “Ich wünschte, ich hätte damals mehr auf meine Fähigkeiten vertraut.” Klar – von außen wirkt es natürlich anders: Sie hat Gesichtsfarbe aufgetragen, sie steht auf einer Bühne. Aber ich habe in all der Zeit sehr gelernt, ständig beschämt zu sein und mich klein zu machen. Als dürfte ich nur in diesem kleinen Fleckchen der Welt existieren, der mir erlaubt wird. Das ist etwas, das ich mir gerade abgewöhnen möchte.
Sag nicht mehr “Entschuldigung” vor jeder Idee, die du hast, und sag auch nicht “Ich weiß es nicht” nach jeder Idee, die du hast. Weil du es weißt. Eine Freundin von mir hat kürzlich mit mir über Arbeit gesprochen und ich habe ihr eine sehr lange Erklärung dafür gegeben, warum etwas falsch war – und am Ende habe ich dann gesagt “Aber ich weiß es nicht”. Sie hat darauf gesagt: “Klar, weißt du das! Du hast doch gerade darüber gesprochen.” Aber das ist natürlich nicht einfach, da ich einfach gelernt habe, mich für meine Existenz zu entschuldigen.
minutenmusik: Ich denke, dass das etwas ist, was jede queere Person oder Frau kennt. Cis-Dudes kennen das nicht. Sie sind viel selbstbewusster, weil die Gesellschaft ihnen sagt, dass sie es können.
Lauren Mayberry: Ja! Manchmal stecke ich in Diskussionen bezüglich der Arbeit und ein Mann sagt etwas, bei dem ich aktiv weiß, dass es nicht stimmt. Das ist dann manchmal auch faszinirend für mich – “Wow, du hinterfragst nicht mal, ob das ein Fakt ist!” Da könnten wir uns echt in der Mitte treffen: Diese Typen könnten sich mehr hinterfragen und ich könnte mich auch mal weniger klein machen.
minutenmusik: Ein Song, der auch sehr mit diesem Thema zusammenhängt, ist “Sorry, Etc”. Der sticht auf dem Album wegen seiner Sound-Ästhetik sehr heraus – ich finde diesen Noise-Moment echt klasse. Würdest du sagen, dass du dir dieses Selbstbewusstsein, solche feministische Thesen in diesem harten Sound zu veröffentlichen, erst aufbauen musstest? Oder steckte der Song schon länger in dir?
Lauren Mayberry: Wenn ich an CHVRCHES denke, merke ich, dass ich viele dieser Ideen und Meinungen schon viele Jahre hatte. Es ging für mich die ganze Zeit darum herauszufinden, wie ich diese Ideen in meiner Arbeit in einer möglichst akzeptablen Weise zu platzieren. Dieser Song in dieser Ära war für mich der Full Circle Moment. Du lernst natürlich Dinge und Meinungen entwickeln sich auch weiter. Aber die Basis ist immer noch dieselbe: Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Gleichheit, Empathie sind ziemlich einfache Konzepte. Und dieser Song fühlt sich für mich an wie eine permanente Belastung, Scheiße zu fressen. Und wenn dann jemand mal einen Fehler begeht, wird das gar nicht groß beachtet. Es kommt nur ein “Oh, das meinte ich nicht so, sorry.” Und dann machen sie einfach weiter, ohne sich der Folgen ihres Handelns bewusst zu sein. Und wir tragen die Last dann weiterhin.
Als ich 25 war, haben alle gesagt, ich sei sehr wütend – aber ich glaube, ich war gar nicht wütend. Ich war sehr jung und wusste, was ich für richtig und falsch halte. Leute wurden deswegen sehr wütend und aggressiv. Aber ich fühle mich jetzt viel wütender! Dieses Gaslighting von unserer Realität und so Sprüche wie “Sie ist seit zehn Jahren eine wütende feministische Bitch!”, wo ich nur denke “Ich bin nicht wütend und ich bin auch keine Bitch, ich bin eine Feministin.” Mittlerweile denke ich mir, dass ich nicht mehr versuchen muss, das alles so angenehm wie möglich zu verpacken. Es hilft am Ende nicht, sondern lässt die Leute nur mit ihren Fehlern davon kommen.
minutenmusik: Diesen Gedanken kennen wohl viele Feminist*innen: Es bringt nichts, weniger feministisch zu sein, um die Leute zu überzeugen. Für konservative Menschen ist selbst das schon zu viel. Dazu passt gut, dass du auf diese Tour explizit mehr Queers und Frauen eingeladen hast. Wie verändert sich dadurch das Tourleben?
Lauren Mayberry: Das war zum einen eine Entscheidung auf kreativer Ebene, weil es so viele weibliche Stimmen auf dem Rekord gibt. Das wollte ich auch live abbilden können, aber auch mal etwas anders erleben. Bisher durfte ich hauptsächlich mit sehr tollen Männern zusammenarbeiten. Seit ich 23 Jahre bin, war ich mit Männern unterwegs, die deutlich älter sind als ich. Und gerade weil die Songs sich um bestimmte Themen drehen, wollte ich, dass die Bühne dieses Mal zu einem Ort des Verständnisses wird. auf dem Album habe ich auch mit vielen tollen Männern gearbeitet – es ist also nicht so, als gäbe es keine Männer mehr in meinem Multiverse. Aber es war schön, eine Crew zu schaffen, die sich für mich normaler anfühlt.
Viele der Leute, die dabei waren, sind auch bei CHVRCHES aktiv. Aber selbst diese kleinen Änderungen, haben einiges anders gemacht. Es fühlt sich an, als hätten wir das Macho-Gehabe hinter uns gelassen. Jetzt merke ich plötzlich, dass man auch Touren spielen kann, ohne dass gleich Löcher in Wände geschlagen werden, wenn mal etwas nicht gut läuft.
minutenmusik: Schön zu wissen, dass das für dich so gut funktioniert hat. Gibt es denn bestimmte Momente, im Set, auf die du dich besonders freust?
Lauren Mayberry: Ich glaube, ich werde über die Weihnachtstage die Performance-Aspekte der Live-Show planen. “Punch Drunk” wird bestimmt viel Spaß machen. Meine erste Idee war, das Album in der Tracklist-Reihenfolge zu spielen, aber ich habe mich dagegen entschieden – die Songs werden in der Live-Version auch anders sein als auf der Platte. Ich freue mich darauf, den Leuten die Möglichkeit des Eskapismus zu geben.
Eigentlich geht es bei Shows ja auch um das Publikum. Auch wenn man selbst im Scheinwerferlicht auf der Bühne steht, geht es nicht um dein Ego. Es geht um die Erfahrung der Menschen. Für mich ist es dort mein Job, den Leuten die besten Erfahrungen zu ermöglichen und dass sie sich mit Freude an die Songs erinnern.
minutenmusik: Das wird bei diesem tollen Album ganz bestimmt funktionieren! Ich drücke dir die Daumen für die Tour und den Release und bedanke mich für das tolle Gespräch!
Lauren Mayberry: Dankeschön! Ich hoffe, wir spielen auch bald wieder in Deutschland. Vielen Dank für das Interview!
Und so hört sich das an:
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ENGLISH VERSION With CHVRCHES, Lauren Mayberry made synth-pop history and continues to perform in the biggest venues around the world. Eleven years after the CHVRCHES debut, Mayberry releases her first solo album, Vicious Creature. With a theatrical expression, it dances between clear feminist slogans and deep introspection in completely different spheres. She presented some of the first songs on tour at the end of 2023. Lauren tells us in this interview how it relates to Wicked, what it feels like to tour with women and queers, and why she’s angrier now than at the start of her career.
minutenmusik: Hello, Lauren! It’s great to see you. How are you?
Lauren Mayberry: Hi! I’m doing really well, I hope you are too?
minutenmusik: All good, thank you! First of all, thanks so much for taking the time, Lauren – I’m really happy about that. I’d like to start with a really obvious question: How does it feel to release a solo album after so many years with CHVRCHES? Would you say that the questions you’re getting in interviews have changed now?
Lauren Mayberry: Yes, it feels pretty surreal that the album is actually out now. I’m talking to people about a real album they’ve listened to – after having worked on it behind the scenes for so long.
In terms of the interviews: Of course, many ask what this means for the band. I knew that my first solo album would always be viewed in relation to the band. I think that’s changed the questions a bit. With CHVRCHES, we keep getting the same questions over and over – and now it’s a new era with other questions, but they’re very similar.
minutenmusik: I can imagine there’s a lot of interest in what this means for the band. But I hope there’s also plenty of space for you as a solo artist. I found it very interesting that you released Change Shapes as a single because not only is the sound exciting, but also the theme about the expectations the music industry has for women and patriarchy in general. The whole expectation that we have to keep evolving to stay interesting. Would you say you had more freedom and space for yourself and your feminism in this album than perhaps in the albums you’ve released before?
Lauren Mayberry: I think so. With CHVRCHES, we often talked about feminism, but it wasn’t necessarily a productive dialogue. It felt like people brought it up because it was a buzzword for their articles. And the lyrics and songs we made weren’t explicitly feminist. They were probably implicitly feminist because they came from my perspective, but we didn’t write much about it. Until the fourth CHVRCHES album (Screen Violence, Ed.).
Here, I created an entire concept to make everything thematically more feminist. People often asked me what it was like to be a woman in the public eye, but the other side of the debate rarely came up. They either didn’t want to know it or didn’t address the dark reality. So, we made a horror-themed album. From my perspective, it’s a body-horror feminist album. I think that’s the only time I did that with CHVRCHES. It feels like that was the only iteration where I could free it, because it was wrapped in a concept. With my own project, it’s easier to go to that place because you’re not constantly thinking about how someone else feels in the project.
Not that I don’t collaborate with people. But with this project, I can focus on the lyrics and sound instead of always making sure we all feel comfortable. So it’s a completely different style of writing, which was really freeing for me back then. I think I needed that at the time.
minutenmusik: Would you say many of your listeners and fans were surprised by how explicit some of the songs were in their feminism? If someone knows you and has seen you live, they might know you’re very feminist. But maybe there were still surprised reactions?
Lauren Mayberry: I don’t know. I really tried not to read too much about the online comments. I don’t think you should know too much about what people think of you – neither in a good nor in a bad way. But yes, I’m sure some people were surprised by the topic because feminism had been a bit of a Trojan Horse in CHVRCHES.
But I hope these two worlds can exist in parallel in the future. I think I get a different kick out of songwriting in every project. During the signing sessions last week, I also noticed that I reach different people with this: Most of them are CHVRCHES fans, but there were also people who explicitly said they didn’t like CHVRCHES because they never really connected with them. But the songs from Vicious Creature triggered something much more in them.
And that’s what it’s about: You try to understand something in your own story and then communicate it. When you get something back from others, that’s what you want as a songwriter.
minutenmusik: I find that interesting – usually, solo projects by former band members sound very similar to the band. With Vicious Creature, that’s not the case, neither in sound nor lyrics.
A funny coincidence is that your album was released right around the hype for the movie Wicked. One aspect that connects both is the theme of dealing with “evil” women. What do you think about the connection? And would you say the perception of “evil” women has changed in recent years?
Lauren Mayberry: I’m always ready for a conversation about Wicked – anytime, anywhere. I’ve been to the cinema three times – and I don’t even like most musicals. At least not the super happy ones. I like a certain hyper-reality that carries darkness with it. I love Wicked, Cabaret, Chicago.
I find it interesting how conversations about visible women are playing out right now. Especially the media conversations about trans women show how much people want to determine what an acceptable form of womanhood is. All of this is connected because it involves a patriarchal obsession with acceptable femininity. And I think, in some cases, progressive conversations on this topic are more mainstream now than they were a few years ago.
But when you look at the public portrayal of women, I’m not sure it’s much better. I remember being really surprised a few years ago about the Johnny Depp-Amber Heard case. Whether you think Amber Heard is a good person or not, it doesn’t matter for how those conversations unfolded. I wondered if everyone had lost their minds. It was scary for me. When you look at things like the reframing of Britney Spears or Lindsay Lohan or Paris Hilton, I think it’s really great that we remember how f*****g brutal we were to these women.
The question is: Does one have to endure this for 20 years before the perception of it changes? Now the way Jojo Siwa is treated is similar again – and it’s no less bad because she’s in on the jokes. So yes, this topic concerns me. That’s why I made an album about it.
minutenmusik: I think there are probably some bubbles that have gotten more progressive, especially queer people and women. But I think society as a whole hasn’t changed that much. Unfortunately, not yet. But maybe that will come in the next few years.
Lauren Mayberry: We hope so!
minutenmusik: What I found interesting was that you mentioned other musicals like Cabaret or Chicago as influences for the album in terms of sound. I thought that was really interesting because many solo debuts tend to sound quieter and more acoustic than the band’s albums. Did you always have the desire to make such an artistic, almost theatrical album?
Lauren Mayberry: I think so. When I started making the album, I thought it would be that way. That it would be a very dramatic, theatrical, visual, and characteristic album throughout. Half of it is like that. The other half is more personal. That’s the great thing about creativity: one part of your brain has a plan. And the other side has a different one.
The idea of a calm album went against my impulse for my solo debut. I didn’t want my creativity to be smaller than I felt it was. I wanted to let my creativity run wild more. That was what people wanted to hear from me: a CHVRCHES song or a folksy singer-songwriter sound. I love those songs, but at the moment, it wasn’t what I wanted.
Maybe that will come on the next album. On stage, it’s just fun to be more theatrical – especially when it shows a version of you that you don’t have in real life.
minutenmusik: The sound aesthetic of the album is, on one hand, very danceable and synth-heavy, but the lyrics are very personal or political. Was it important for you to combine this political undertone with the still danceable sound?
Lauren Mayberry: When I started writing, the first songs were still focused on gender and political topics. That was the first thing that had to come out before I could deal with the emotional, personal stuff. At the beginning, I had decided not to use any synthesizers on the album. But over time, I realized you can use synths in different ways.
When I played the album for my partner, he noticed that most of the songs are in major keys – unlike most CHVRCHES songs. And I said, “No, that’s not true! It’s really sad!” But then I realized: He was right! Using different keys and chord progressions or singing in falsetto or really low – with CHVRCHES songs, there’s a clear range that I use – was so much fun for me in songwriting. Just being able to use a completely different palette.
minutenmusik: At some point during this process, the decision was also made to include quieter, more emotional songs on the album. Was that a difficult decision for you to make the album vulnerable, or was it something you felt was important from the start?
Lauren Mayberry: I think it makes sense that these songs came towards the end of the process. The reason being that last year I played about half the album live. It was mostly “Shame,” “Change Shapes,” “Crocodile Tears”… so mostly theatrical material. During the show, I realized I was missing a moment of connection with the audience. I said I need to go home and write something with more tempo.
And I wanted to write something that gives people a little more room to be emotional. I then wrote “Something in the Air,” “Punch Drunk,” “Anywhere But Dancing Dancing,” and “Oh, Mother.” “Oh, Mother” was the last song we wrote. When we finished it, I knew: We can stop now. Since CHVRCHES started, we haven’t played any unreleased songs in front of people, and these songs changed too, but it felt really good to test the songs I already had in a live setting and then go back into the studio.
minutenmusik: I find it really interesting that you took this route. I was at the Cologne show last year, and I was really surprised by the new songs. But of course, there was the question of whether there would be slower songs!
One more thing that really interested me was that you sing a lot about toxic relationships with other people in Shame. Would you say shame is also something the music industry especially makes women feel?
Lauren Mayberry: Yes, I think shame and guilt are things that have come up in my life over and over again. I internalized thoughts like “You’re wrong, you’re the problem, you’re not right.” I don’t know if it’s necessarily anyone’s fault, but when I look back on my career, I do think, “I wish I had trusted my abilities more back then.” Sure – from the outside, it looks different: She’s wearing makeup, she’s on stage. But throughout that time, I really learned to feel ashamed and make myself smaller. As if I could only exist in this tiny spot in the world that I’m allowed. It’s something I want to unlearn now.
Stop saying “Sorry” before every idea you have, and stop saying “I don’t know” after every idea you have. Because you do know. A friend of mine recently talked to me about work, and I gave her a long explanation of why something was wrong – and at the end, I said, “But I don’t know.” She said, “Of course, you do! You just talked about it.” But it’s not that easy because I’ve just learned to apologize for my existence.
minutenmusik: I think this is something that every queer person or woman can relate to. Cis men don’t know this. They are much more confident because society tells them they can be.
Lauren Mayberry: Yes! Sometimes I find myself in discussions about work, and a man says something that I know is simply not true. It’s sometimes fascinating for me – “Wow, you don’t even question if this is a fact!” We could really meet in the middle: These guys could question themselves more, and I could also stop making myself smaller.
minutenmusik: One song that relates to this topic is “Sorry, Etc.” It stands out on the album because of its sound aesthetics – I really love that noise moment. Would you say you had to build up that self-confidence to release such feminist statements in this harsh sound, or has that song been inside you for a longer time?
Lauren Mayberry: When I think about CHVRCHES, I realize that I’ve had many of these ideas and opinions for many years. It’s always been about figuring out how to present these ideas in my work in the most acceptable way. This song in this era was the full circle moment for me. Of course, you learn things, and opinions evolve. But the core is still the same: justice, kindness, equality, empathy – these are pretty simple concepts. And this song feels like a permanent burden, swallowing shit. And when someone makes a mistake, it’s not really acknowledged. It just becomes “Oh, I didn’t mean it that way, sorry,” and they move on without being aware of the consequences of their actions. And we continue to carry the burden.
When I was 25, everyone said I was very angry – but I don’t think I was angry. I was very young and knew what I thought was right and wrong. People got very angry and aggressive because of that. But now, I feel much angrier! This gaslighting of our reality, and things like “She’s been an angry feminist bitch for ten years!” where I just think, “I’m not angry, and I’m not a bitch, I’m a feminist.” Nowadays, I think I don’t need to try to package everything as nicely as possible anymore. In the end, it doesn’t help; it just lets people get away with their mistakes.
minutenmusik: This is a thought many feminists can probably relate to: it doesn’t help to be less feminist to convince people. For conservative people, that’s already too much. It fits well with the fact that on this tour, you’ve explicitly invited more queers and women. How does that change the tour life?
Lauren Mayberry: On one hand, it was a creative decision because there are so many female voices on the record. I wanted to reflect that live, but also experience something different. Until now, I’ve mostly worked with amazing men. Since I was 23, I’ve been traveling with men who are significantly older than me. And precisely because the songs deal with certain topics, I wanted the stage to be a place of understanding this time. I also worked with many great men on the album – so it’s not like there are no men in my multiverse. But it was nice to create a crew that feels more normal for me.
Many of the people involved are also active in CHVRCHES. But even these small changes made a big difference. It feels like we’ve left the macho behavior behind. Now, I suddenly realize that you can tour without holes being punched in the walls when something doesn’t go right.
minutenmusik: It’s good to hear that this has worked well for you. Are there any specific moments in the set you’re particularly looking forward to?
Lauren Mayberry: I think I’ll plan the performance aspects of the live show over the Christmas holidays. “Punch Drunk” will definitely be a lot of fun. My first idea was to play the album in tracklist order, but I decided against it – the songs will also be different in the live version compared to the album. I’m excited to give people the opportunity for escapism.
Actually, shows are also about the audience. Even though you’re standing in the spotlight on stage, it’s not about your ego. It’s about the people’s experience. For me, it’s my job to give people the best experience and for them to remember the songs with joy.
minutenmusik: That will definitely work with this great album! I wish you the best of luck for the tour and the release, and thank you for this wonderful conversation!
Lauren Mayberry: Thank you! I hope we’ll be playing in Germany again soon. Thanks for the interview!
Die Rechte am Beitragsbild liegen bei Charlotte Patmore.
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