Das erste Solo-Album von Indie-Band-Mitgliedern ist in der Regel ziemlich sentimental und reduziert. Das klingt im besten Fall sehr intim, im schlimmsten absolut langweilig. Lauren Mayberry, die mit CHVRCHES in Windeseile auf die obersten Plätze in Festival-Line-ups geklettert ist, geht das Ganze komplett anders an. Bei ihren ersten Solo-Songs sind die Synthies sogar noch unnachgiebiger, die Melodien noch poppiger, der Auftritt noch dramatischer als mit ihren beiden Bandkollegen an der Seite. Wie gut das live funktioniert, gibt es bei einem Tour-Stopp ihrer “Weird Era” in Köln zu erleben.
Best of Both Worlds
Ein wenig unwirklich ist es schon, dass hier im verhass-, ich meine ungeliebten, winzigen Luxor gleich wirklich Lauren Mayberry auftreten soll. Dass die kleine Venue noch nicht mal ausverkauft ist, liegt vermutlich zu gleichen Teilen aus dem horrenden Preis von 40€ (!) – Brexit und Eventim-Gebühren sei Dank – und der merklich fehlenden Publicity. Ein ausverkauftes Luxor hat aber nun sowieso kein Publikum verdient und immerhin ist es sogar schon angenehm voll, als ELI mit ihrer Gitarre auf die Bühne kommt. Die Musikerin aus London bringt butterweichen Gesang mit butterweichem Picking auf die Bühne. Ein Sound, der zwischendurch doch andeutet, dass es hier üblicherweise mit Begleitung von Synthie und Schlagzeug etwas schwungvoller zugeht. Das Publikum mag das zurecht sehr.
Das Kontrastprogramm zu Lauren Mayberry könnte aber nicht größer sein. Mit einem epischen Einspieler von Liza Minnellis “Maybe This Time” und der schönen Blumen-Deko zeigt sich schon vor dem ersten Ton Mayberrys, dass die Show hier mehr Konzept hat als die üblichen Konzerte in Luxor-Größe. Heute gibt es kleine Choreos, immer wieder dramaturgische Einspieler und einen Sound, der die Headliner-Qualität nicht abschütteln kann oder will.
Qualität statt Quantität
Ein Problem gibt es bei der ganzen Sache aber natürlich: Wie füllt man ein ganzes Set mit gerade einmal zwei veröffentlichten Songs? Manche Acts spielen dann eben ganz einfach ihr gesamtes unveröffentlichtes Album oder spielen eben Songs ihrer Haupt-Band. Mayberry allerdings weder noch. Sichtlich unangenehm ist es ihr schon, dass nach gerade einmal 50 (!) Minuten schon wieder das Licht angeht, mehr sei aber aktuell einfach noch nicht drin, wo das Album doch gerade erst bei knapp 80% ist. Ein wenig kann man diese “Weird Era”, wie Mayberry dieses Zwischenstadium selbst bezeichnet, natürlich kritisieren. Was in diesen 50 Minuten passiert, ist aber immerhin auch allererste Klasse.
Wie die Synthies bei Songs wie “Change Shapes” oder “Bird” im Strobo-Licht wild zucken, sich Mayberry immer und immer wieder im Kreis dreht, wie der aktuelle Release “Shame” dann auch noch mit etwas mystischen Background-Chören der Marke Hayley Williams kokettiert – all das hat so viel Frische, wie es die letzten CHVRCHES-Alben nicht mehr ansatzweise geschafft haben. Man mag mit Mayberry und ihrer tollen Liveband mitfeiern und tanzen, das Kölner Publikum ist heute aber sehr Männer und wenig bewegungslastig. Sehr schade, denn eigentlich hätte es hier eine echte Indie-Party geben können. Spätestens als Mayberry dann auch noch “Like A Prayer” (Juhu!) und “99 Luftballons” (gut, den aktuellen Nena-Talk hat man im UK vermutlich nicht mitbekommen…) covert und beim Closer “Sorry, Etc.” ein kleines Noise-Gewitter im Luxor aufzieht, ist man doch froh, diese große und ursympathische Sängerin in diesem kleinen Rahmen erlebt zu haben. Denn schon die offizielle Album-Tour sollte – wenn die Musik-Bubble auch nur ansatzweise richtig läuft – auf großen Bühnen stattfinden. Die Vorfreude ist hiermit offiziell geweckt.
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Beitragsbild von Julia.
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