Nach dem Konzert läuft im direkten Anschluss “I Love It” von Icona Pop und Charli xcx. Im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich der erste wirklich kommerziell erfolgreiche Hyperpop-Song. Das war 2012. 2024 landet Charli xcx mit ihrem aktuellen Album “Brat” in fast allen einschlägigen Listen auf den vordersten Plätzen der besten LPs des Jahres und gilt als kleine Revoluzzerin. Domiziana wird das mit ihrer EP “Club Inferno” zwar nicht gelingen, allerdings hat auch sie eine Spur dieses besonderen Vibes. Aktuell ist sie wohl die ultimative Hyperpop-Queen auf Deutsch und unter anderem zu Gast im Luxor in Köln.
Es ist wirklich faszinierend, dass gerade einmal ein einziger Song reicht, um dich von null auf die 1 zu katapultieren, ohne dass man zuvor jemals von dir gehört hat. “Ohne Benzin” wird im März 2022 veröffentlicht und in einigen Wochen zum überdimensionalen TikTok-Hit. Der schwappt schließlich auch in andere Social-Media-Kanäle und in sämtliche Gehörgänge über. Sich dem zu entziehen? Unmöglich. Immer noch geht der Track mit dem sehr besonderen Drive und der wirklich wahnsinnig gelungenen Hook unglaublich gut. Doch seitdem hat Domiziana, 1997 in Freiburg im Breisgau geboren und Tochter einer sizilianischen Mama, keinen einzigen ihrer eigenen Singles mehr in den Charts platziert. Als Feature von Ski Aggu oder Badmómzjay hat’s zwar schon noch zweimal geklappt, aber sie selbst ist wohl weiterhin auf der Suche, was denn nun genau der wirkliche Nachfolger von ihrem 2022-Killer werden könnte.
Doch who cares? Konsequent und in kleinen Steps wurde sich durch viele Festivalauftritte und regelmäßige Singlereleases eine Community erspielt, die nun fast drei Jahre nach “Ohne Benzin” zum ersten Mal in den Genuss einer Headliner-Tour kommt. Auch wenn das Album immer noch auf sich warten lässt und auch ihr Sound immer noch keinen ganz klaren roten Faden aufweist, so ist Domiziana umtriebig, probiert sich aus und macht auch so acht Clubs in deutschsprachigen Großstädten voll, die innerhalb von rund zwei Wochen bespielt werden. In NRW ist das Luxor in Köln the place to be und tatsächlich äußerst passend für ihre pünktlich zur Tour gerade erst erschienenen, gleichnamigen ersten EP Club Inferno. 450 Zuschauer*innen verwandeln einen kleinen Ort in der Domstadt für ein paar Stunden zu einem spaßigen Rave.
Vorab muss man aber ein wenig die Zähne zusammenbeißen. Nennen wir es so: Die Qualität steigt im Laufe des Abends. Besser, als dass sie fällt. Keine Frage. Vergleichsweise früh dröhnen heute Bässe sowie Technobeats aus den Boxen, denn schon um 18:45 Uhr gibt es für 50 Minuten das aus Düsseldorf stammende DJ-Kollektiv Get over It. Drei FLINTA-Personen, die sich an den Turntables abwechseln und halt irgendwelche Electro-Songs abschießen. Das wirkt ein wenig holprig, auch teilweise ganz schön uninspiriert und wird gen Ende hin sogar etwas anstrengend. Wäre jetzt auch nicht schlimm gewesen, wenn der Programmpunkt einfach ausgefallen wäre.
Besser wird es im direkten Übergang um 19:35 Uhr mit Baran Kok, den Domiziana-Fans schon längst im Visier haben. Ihr DJ und Sidekick bekommt vor dem Mainact eine halbe Stunde komplett für sich allein. Sein Technoset ist ganz cool, bringt die Crowd um einiges mehr in Schwingung – doch 2024 reicht ja ein Skill nicht mehr. Nein, man muss unbedingt auch selbst noch rappen. Drei Tracks kommen von dem recht sympathischen, kurdischen, queeren Berliner, die alle keine krassen Rapskills präsentieren, dafür aber möglichst auch noch die letzten Sex-Tabus brechen sollen. Uff. Wow, schockierend ist das wirklich keinesfalls. Eigentlich nur cringe, drüber, unangenehm. Ja, Baran, du “gibst gern Loch” (Zitat), haben wir jetzt alle verstanden. Aber eine zweite Message oder ein kleiner Twist wäre schon wünschenswert. Klug und witzig wirkt’s so jedenfalls nicht.
Kleine Verschnaufpause. Kann man auch gebrauchen. Schließlich wird aber um 20:30 Uhr doch noch alles gut. Rund 70 Minuten lang zeigt die Sängerin und Rapperin mit der schwarzen Bubikopf-Frisur, dass sie einfach richtig gut entertaint und weiß, wie sie ihr Publikum mitnimmt. Domiziana meistert das, wovor man durchaus ordentlich Schiss haben konnte: Klappt dieser sehr plastische Sound live auf einer Bühne? Klare Antwort: Ja, voll!
Mit Sicherheit ist hinsichtlich des Liveerlebnisses noch etwas Platz nach oben. Bestimmt kann man das Ganze mit einer zweiten Person am Mic oder auch zwei Liveinstrumentalist*innen an Gitarre und Bass oder auch Drums noch pushen. Aber auch so funktioniert die Show – die eine ähnlich kurz gehaltene TikTok-Länge wie ihre Songs vorweist – wirklich ordentlich, denn schon ab dem ersten Song ist das Kölner Luxor am Dancen, wirft die Hände in die Luft, hüpft und bleibt dabei aber trotzdem die ganze Zeit auf dem Platz. Moshpit hat heut Pause. Wenig Stimmung ist aber auch keinesfalls.
Ohne große Hänger geht der mehr als eine Stunde dauernde Gig lockerlässig von der Hand. Domiziana erzählt zu manchen Songs ein paar Geschichten, zeigt sich von den ziemlich lauten Gesängen sichtlich ergriffen, kommt bodenständig, trotzdem super gelaunt und mit ordentlich Power daher. Auf der Setlist steht alles, was es eben bisher von ihr gibt – außer die entschieden oft verrissene zweite Single “Only Fans”. Die wurde gefühlt schon längst aus der Diskografie gestrichen. Ansonsten kann man aber zu “Auf die Party” abspacken, bei “Malena” die Hände nach oben werfen, bei “Warum immer ich” sich auch mal kurz selbst bemitleiden, sich zu “Katholisch erzogen” so richtig slutty fühlen oder bei “SOS” der Happy-Hardcore-Zeit der 90er und Blümchen huldigen, mit der das Original aufgenommen wurde.
Dazwischen schleichen sich ein paar kleine Hommagen an Songs ein, die Domiziana besonders liebt. Zum Beispiel nach “SOS” “Herz an Herz” von eben jener 90s-Ikone. Sowieso hat sie es mit dem Wort “Icon”, nennt sie so auch liebevoll ihr Publikum. Einer der neuen Songs, “Cut It Off”, fließt in “Somebody That I Used To Know” von Gotye über, bei “Malena” erwartet die Fans ein Sample von Beyoncés “Sweet Dreams”. Bockt, immer wieder kurz zu rätseln, was wohl gerade neben dem eigentlichen Track noch so läuft. Überraschend: Große Teile des Gesangs sind live. Und das ist bei der Art von Musik ja so gar nicht mehr selbstverständlich. Zwar ist auf ihrem Mikro dermaßen viel Autotune drauf, dass vieles eben an die Studioversionen angelehnt ist und sehr mechanisch klingt, aber sobald Domiziana nicht den Mund bewegt oder das Mikro weghält, ist auch der Gesang weg – somit ist’s live. Bei einigen Songs laufen zwei, drei Backingspuren mit, aber zumindest bleibt im Kern das Erlebnis einer Liveperformance, und das ist das, worauf es auch ankommt.
Domiziana springt über die Kölner Bühne, hat einige fette Moves drauf, haut sich ein paar Drinks weg, klettert aufs DJ-Pult und stößt sich aufgrund der niedrigen Decke sogar kurz den Kopf. Zwischendrin gibt es on top einen Outfitwechsel – sowieso darf an dieser Stelle ihr echt beeindruckender Netz-Body in der ersten Hälfte erwähnt werden, der ihr wirklich verdammt gut steht und nur die nötigsten Stellen bedeckt. Heiß. Zum Ende wird Julis “Geile Zeit” verhyperpopt. Nach dem Gig hat man sogar noch die Chance, die Künstlerin am Merch zu treffen. Das ist für ein Ticket von unter 40 Euro und für eine erste Tour ein gelungenes Package. Möge sie weiterhin ihr Ding durchziehen und hoffentlich doch noch einen zweiten “Ohne Benzin” raushauen, denn Domizianas Sound gibt der deutschen, elektronischen Musikszene eine interessante, eigene Farbe.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher Filipecki
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