Plattenkrach: Kool Savas – Aura

Er gehört zu den größten Deutschrap-Urgesteinen des Landes: Kool Savas. Nach seinen erfolgreichen Werken „Der beste Tag meines Lebens“ (2002) und „Tot oder lebendig“ (2007), welche die hiesige Hip-Hop-Szene musikalisch prägten und deutschsprachige Rapmusik ein Stück weit revolutionierten, brachte der gebürtige Aachener vor mittlerweile gut acht Jahren sein drittes Studioalbum „Aura“ heraus, das prompt auf die Spitze der Charts kletterte. Während Redakteurin Anna bereits zu frühen Kindertagen begeistert mit dem Kopf zu deutschem Sprechgesang nickte, ist Redakteurin Julia bekanntlich kein großer Fan von dem herben Umgangston im Deutschrap. Ob sie bei dem selbsternannten „King of Rap“ eine Ausnahme machen wird? Lest selbst!

Anna sagt:

Als waschechtes Kölsches Mädchen ist mir die jährliche Saissioneröffnung des rheinischen Karnevals nahezu heilig. Ein Ereignis, an dem ausgelassen getanzt, gefeiert, gelacht und gemeinsam geschunkelt wird. Kein Wunder also, dass mir das Datum der Veröffentlichung – der sage und schreibe 11. November 2011 – von Kool Savas‚ drittem Studioalbum „Aura“ schon damals höchst imponierte. Obwohl der Aachener Rapper bereits zum Ende der 1990er-Jahre als (einer) der Wegbereiter des Battle- und Deutschraps in Erscheinung trat und seither von den großen Bühnen des Landes nicht mehr wegzudenken ist, gehört er zu einem der wenigen, der seit Jahren auf hiesigen Bühnen präsent geblieben ist und – trotz steigenden Alters – noch immer, wenn nicht sogar mit noch mehr Power und Motivation, vor Publikum performt.

In Zusammenarbeit mit gleich zwei handvoll Musikproduzenten hat er vor gut acht Jahren sein drittes Studioalbum konzipiert, das sogleich die Spitze der Charts erobern sollte. Kein Wunder, denn das Album offenbart schon beim ersten Hören seine Brillanz auf sämtlichen Ebenen. Denn Kool Savas präsentiert sich auf “Aura“ selbstbewusst, angriffslustig und reflektiert – ohne dabei aber dem völligen Größenwahnsinn zu verfallen. Der Titel des Werks nimmt hierbei allerdings nicht Bezug auf etwa die grässliche Phase während eines Migräneanfalls, sondern meint viel mehr das Synonym für “Ausstrahlung“, die den Aachener Rapper umgibt. Er gebietet somit quasi einen tiefen Einblick auf den authentischen, ehrlichen Grund der perfektionistischen Rapseele des Savaş Yurderi.

Mit den hallenden Worten „Ich bin der letzte meiner Gattung“ eröffnet der selbsternannte King of Rap in seinem (der Name ist zugegeben etwas irreführend, bedeutet er doch eigentlich “Zwischenspiel“ und nicht Eröffnung) Interlude zwischen oldschool Hip-Hop Scratches und eingespielten Additional Keys zu nacheinanderfolgenden Zitaten über seine Rap-Daseinsberechtigung das Album, ehe er auf Intro / Der Letzte meiner Gattung mit dem „Flow, bei dem die Münder aufgehn‘ wie Hefeteig“ und der „Technik, die du sonst nur in der Raumfahrt triffst“ seine lyrische „Symphonie der Eroberung“ mit einem Flow und in einer Geschwindigkeit dem Zuhörer entgegenschmettert, bei der mir fast schwindelig wird.

Die Produktion zu Und dann kam Essah, einem der wohl gelungensten Tracks des Albums, ist Savas‘ Ex- aber immer noch guter Freundin Melbeatz zu verdanken, welche mit Bravour schnelle Streicherpassagen auf kräftige Bässe preschen lässt. Auf textlicher Ebene gewährt Kool Savas, genannt Essah – quasi als Lautschrift von Savas Anfangsbuchstaben S und A zu verstehen – dabei einen tiefen, nahezu autobiographischen Einblick in seinen Werdegang zum erfolgreich(st)en Rapper Deutschlands. Besonders der krönende Doubletime-Part („Ich kam in die Szene, zerstückelte jeden / Der Weg ist geebnet, drum mach es mir nach / Das E zu dem S zu dem S, zu dem A zu dem H“) in der dritten Strophe lässt nicht nur bei jedem Hören die Kinnlade zu Boden, sondern auch die Herzen der Fans gewaltig höher schlagen.

Auch einige Gast-Beiträge haben es auf das exzellente Werk geschafft. Sowohl bei dem titelgebendem Aura, bei welchem die melodiöse Hook den Track wohl zum Radiotauglichsten der ganzen Platte macht, als auch bei LMS 2012 (hier abgekürzt für „Last Man Standing“) tritt (der mir zugeben vollkommen unsympathische) Xavier Naidoo mit seinem Knödelgesang, welcher hier allerdings passend und in wunderbarer Ergänzung zum harten Style des Savas’schen Spittens zur Geltung kommt, in Erscheinung. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Abkürzung „LMS“ als erste Singleauskopplung von Kool Savas im Jahr 1999 beziehungsweise 2000 noch einen völlig konträre Bedeutung hatte: Von „Lutsch mein‘ Schwanz“ zu einem emotionalen „Last Man Standing“. Ein Sinngehaltswechsel der Abkürzung, der zwar bei vielen Fans ein vages Gefühl der Enttäuschung provoziert haben mag, aber zumindest als Promomove des damals in den Startlöchern stehenden Kollaborationsalbum von Xavas (Gespaltene Persönlichkeiten) entschuldigt werden kann.

Auch bei dem mit zarten Klavierklängen eingeleiteten Song Echo, der von einem zarten Rauschen, ja fast sogar einem leisen Knistern, als hätte Großvater soeben eine alte Vinylplatte auf dem Plattenspieler gelegt, begleitet wird, erhält Kool Savas stimmlich einwandfreie Unterstützung. Denn Traktorfahrer Olli Banjo („Wir überfahren euch mit dem Traktor“), nimmt auf seinem Part keine Rücksicht auf Verluste und fegt mit einer Wucht über die Lines als gäbe es keinen Morgen mehr. Dass aus dieser Traktorfahrt noch eine regelrechte Achterbahnfahrt wachsen kann, beweist anschließend Essahs Part persönlich: “Gib mir das Mic und ich spalt‘ ihre Schädel – Plattentektonik / Essah ist der Grund, dass du einen knallen Raplohn kriegst. 

Mit dem elektronisch-scheppernden, knallenden Beat zu King of Rap / Ein Wunder, in welcher sogar partiell ein Sample des Oldschool-Klassikers „The Message“ von Grandmaster Flash & the furious five“ verarbeitet wird, sowie mit dem Track Optimale Nutzung Unserer Ressourcen liefert Savas darüber hinaus wahre  Battlerap-Glanzstücke, in denen er erbarmungslos lyrisch-gewaltige Schellen gegen die ihm nicht gewachsene Konkurrenz austeilt ohne dabei aber am Rande der Geschmacklosigkeit zu kratzen.

Insgesamt hat Kool Savas auf seinem dritten Studioalbum „Aura“ zum wiederholten Male gezeigt, welches Talent in ihm steckt. Er baut in seinen Werken nicht nur immer wieder Referenzen zu dem ursprünglichen Oldschool-Hip-Hop und seinen eigentlichen Vertretern auf, sondern weiß sein Handwerk, seine Stimme, für welche er sich zu Jugendzeiten noch schämte, zu bedienen. Ob in Form von Doubletime-Parts zu detaillierter, durchdacht produzierten Beats oder mit lyrischen Ergüssen und vor Bildsprachlichkeit strotzender Texte, führt er durch seine Songs und nimmt den Zuschauer mit auf eine kleine Reise in seine Vergangenheit. Gleichzeitig führt Kool Savas aber auch in die Zukunft, denn für ihn war vor 8 Jahren schon klar: Auch mit 50 wird er auf der Bühne des Splash!-Festivals stehen und Platten drehen. Und das ist von heute an nur noch wenige Jahre entfernt.

Lieber Savas, vielen herzlichen Dank für deine von Beginn an und bis heute gebliebene wunderbare Musik. Solange es dich gibt, ist Deutschrap noch lange nicht tot!

Und Julia erwidert:

Irgendwann musste es ja so weit kommen: Ich treffe auf meinen Endgegner Deutsch-Rap. Da ich mich schon generell von der passiv-aggressiver Intonation und dem Prollo-Auftreten der Szene im Generellen nicht wirklich angesprochen fühle, bin ich dem Genre bisher gekonnt aus dem Weg gegangen. Eigentlich möchte ich aber auch gar nicht mit solchen Scheuklappen durchs Leben und überhaupt – US-amerikanischem Hip-Hop oder Crossover-Projekten haben immer wieder den Weg in meinen Plattenschrank gefunden. Wieso also nicht auch Kool Savas, einer der Speerspitzen des deutschsprachigen Hip-Hop? Versuchen wir doch einfach mal unser Glück.

Immerhin stammt der Musiker aus einer Ära, in der Trap in Deutschland noch weit entfernt war, so dass ich dem generellen Sound direkt mehr abgewinnen kann als aktuellen Konsorten wie Capital Bra oder Hayiti. Schon mit dem Opener „Interlude“ (ist der Witz mit dem per se falschen Namen wirklich gewollt?) präsentiert Kool Savas das, was das gesamte Album trägt: Eine ziemlich starke Produktion, lyrische Ergüsse der besten Sorte und ein klarer Hang zur Melodik. Schon im zweiten Song geht mir dann aber der gnadenlose Narzissmus dezent auf den Keks. Prinzipiell drehen sich die meisten Rhymes um die Selbsterhöhung der Künstlerfigur und klar, das gehört zur Szene, nervt aber dennoch recht schnell. Zunächst noch ein paar andere Dinge abhaken, die ich zwar erwartet habe, aber dennoch nicht toleriere: Auf die Frage nach dem letzten Überlebenden ist er sich sicher dass „Das letzte bleibende Chromosom Y“ sei, „Schwuchteln und Fotzen“ fungieren als Beleidigungen, sexistische Sprüche inklusive Deepthroat (!) kommen hier genau zur Tage wie Body Shaming á la „Deine Frau hat mehr Pfund als die englische Bank“. Dank der gewitzten Verpackung sorgt das auf den ersten Blick für einige Lacher, mit meiner generellen Haltung ist sowas aber dennoch nicht vereinbar.

Wenn ich jetzt mal über diese Fehlgriffe hinwegsehe, überzeugt mich „Aura“ aber tatsächlich viel mehr als erwartet. In „Und dann kam Essah“ türmen sich Streicher-Samples und Anspielungen auf diverse Dichter zu einem epischen Refrain, der schon das andeutet, was das Album für mich hörenswert macht: Die Songs sind gigantisch und erzeugen schon durch die Kopfhörer Gänsehaut – wie muss das erst live mit Tausenden Fans klingen? Auch der Titelsong bläst sich mit ätherischen Beats auf, die Chöre in „Nichts bleibt mehr“ setzen dem ganzen Bombast noch die Krone auf. Im Gegensatz zum erwarteten Einheitsbrei aus stumpfen Beats und aggressiven Texten zeigt sich der Künstler sehr versiert und bettet die Sounds in einen beeindruckend variationsreichen Klangkosmos. Da reißt es eine*n bei „Stampf“ richtig mit, „Optimale Nutzung Unserer Ressourcen“ muckt im Stile von waschechtem Battle-Rap auf und „Nie mehr gehen“ kontert mit sanfter Instrumentierung. Den Song „King Of Rap“ kenne ich dann tatsächlich sogar selbst und bemerke schnell, wie ich der Kernthese des Songs nach diesem Album glatt zustimmen mag, selbst wenn ich keinen wirklichen Vergleich kenne. Ohne den unsäglichen Xavier Naidoo und den zuvor genannten Einwänden, würde es Kool Savas vielleicht sogar noch öfter in meine Playlist schaffen. Manchmal lohnt sich eben der Blick über den eigenen Tellerrand doch sehr. Danke dafür, Anna!

Tracklist „Aura“

  1. Interlude
  2. Intro / Der Letzte Meiner Gattung
  3. Und Dann Kam Essah
  4. Aura
  5. Nie Mehr Gehn
  6. Nichts Bleibt Mehr feat. Scala Chor
  7. Optimale Nutzung Unserer Ressourcen
  8. Die Stimme
  9. Stampf
  10. King Of Rap / Ein Wunder
  11. Echo feat. Olli Banjo
  12. LMS 2012 feat. Xavier Naidoo

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Coverrechte liegen bei Essah Entertainment / Groove Attack.

 

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