Interview mit AnnenMayKantereit über “Schlagschatten” – Teil 1!

Annenmaykantereit Interview Schlagschatten 2018 Teil 1

Es ist ein trister Herbstmorgen Ende Oktober nahe der Kölner Innenstadt. In einem hippen Hostel in ihrer Heimat stellen sich AnnenMayKantereit, wohl die Pop-Durchstarter der letzten Jahre, den aufdringlichen Fragen zähnefletschender Journalisten. Die grundsympathische Band hat die ersten drei Quartale des Jahres damit verbracht ihr zweites Major-Album „Schlagschatten“ fertigzustellen, das Anfang Dezember das Licht der Welt erblicken wird. Nun sitzen Schlagzeuger Severin Kantereit und Bassist Malte Huck in einem modernen Konferenzraum auf sonderbaren Sitzkonstruktionen, die mit Seilen an der Raumdecke befestigt sind, und beantworten geduldig und höflich die unzähligen Fragen, die ihnen gestellt werden.

Der Weg führt ans Ziel

Für die Arbeiten an ihrer neuen Platte gingen AnnenMayKantereit nach Spanien und ließen sich in neuem Arbeitsumfeld von Olivenbäumen und hügeliger Steppe inspirieren. Dabei rief die junge Band nicht nur bezüglich ihrer Aufnahmeumgebung einige Veränderungen hervor. Um zu verstehen, warum die junge Band sich dafür entschied, dieses Mal einiges anders anzugehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Gerade einmal zwei Jahre ist es her, seitdem „Alles Nix Konkretes“, das erste von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommene Studioalbum des bodenständigen Quartetts, erschienen war. Das Album schlug ein wie eine Bombe: Platz 1 in den deutschen Charts, etliche ausverkaufte Konzerte, Riesenshows auf dem Hurricane Festival oder bei Rock Am Ring. Der Erfolg der Kölner Gruppe, die ihr Geld einst mit öffentlichen Auftritten in den Einkaufsstraßen der Stadt verdiente, kam zu dem Zeitpunkt nicht überraschend. Bereits das erste Album „AMK“ und die „Wird Schon irgendwie Gehen“-EP aus dem Vorjahr hatten der Band nach und nach immer mehr Aufmerksamkeit beschert. Malte Huck, der AnnenMayKantereit übrigens erst zwei Jahre vor dem Durchbruchsalbum beigetreten war, konnte sich im Gegensatz zu der Prognose der öffentlichen Wahrnehmung, die Band sei das nächste große Ding, zu keinem Zeitpunkt vorstellen, dass das Projekt irgendwann drei Nächte hintereinander im Monate zuvor ausverkauften Palladium spielen und bereits vor der Veröffentlichung des zugehörigen Albums so unzählige Tickets verkaufen würde. Dafür habe er „zu wenig Plan von irgendwas“ gehabt. Er meint damit vor allem das Musik-Business.

Bevor sich Huck im Jahr 2014 zu seinen drei Kollegen gesellte, schloss er sein Abitur ab und unternahm eine längere Selbstfindungsreise durch Asien. Nach seiner Rückkehr ins Rheinland musste der nun 24-Jährige zwischen zwei Optionen entscheiden: Sich entweder voll und ganz auf die Musik in der Band konzentrieren, die sich kurz zuvor von Vorgänger Lars Lötgering getrennt hatte, oder auf eine Husky-Farm nach Norwegen ziehen und dort arbeiten. Einen festen Plan für seine Zukunft hatte der junge Mann zu dem Zeitpunkt nicht. Er fasste den Entschluss der Gruppe beizutreten, auch wenn die Arbeit mit niedlichen Tieren wohl auch so seine Reize aufgewiesen hätte. Vor allem die Erwartungen an ebendieses mittlerweile sehr professionelle Tourleben spielten bei seiner Wahl eine tragende Rolle. Wenn er darüber spricht, bezieht er sich jedoch eher auf die unkonventionellen Anfangstage:

„In meinem Kopf ging zu der Zeit erstmal nur ab, wie geil es wäre auf Tour zu fahren. Das waren dann von Anfang an direkt die krassesten Konzerte, die ich in meinem Leben gespielt habe, auch wenn das dann „nur“ 200 Leute oder in der Schweiz mal 40 waren und am Schluss ein Hut rumgegeben wurde.“

Vor 200 Menschen spielen AnnenMayKantereit dieser Tage selten. Der Großteil der ausgedehnten, zweimonatigen Tournee, die im nächsten Jahr mit den neuen Stücken angegangen wird, ist ausverkauft. Da tritt die Band unter anderem vor etwa 17.000 Menschen in der Berliner Open-Air Bühne Wuhlheide auf. Ein Zusatzkonzert in derselben Location ist bereits angekündigt. Wenn Musik auf eine so breite Masse stößt, kann es nicht immer nur positive Rückmeldungen hageln. So breitete sich nach dem großen Erfolg von „Alles Nix Konkretes“ doch unter einigen Fans und der Presse Ernüchterung aus: Die einen beklagten den geringen Anteil wirklich neuen Materials, anderen fehlte die (politische) Positionierung. Den Aufschrei der Fans führt Huck auf die utopisch hohe Erwartungshaltung vieler zurück. Album und EP seien nämlich unter exakt den gleichen Rahmenbedingungen entstanden – im selben Studio und mit denselben Menschen. Die Ablehnung der Presse erklärt der Bassist sich dadurch, dass seine Band ohne große Beteiligung von Musikzeitschriften und Co gewachsen ist und die Medien verärgert waren, eben nicht Teil dieses Hypes zu seien. Dieser doch eher späte Gegenwind, habe jedoch auch Positives hervorgebracht, wie Severin Kantereit ergänzt – sei das sich von Außenmeinungen frei machen zu können oder sich gewissen Einwänden anzunehmen.

Dem aufgrund der riesigen medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit nicht von der Hand zu weisenden Druck vor der Entstehung vor dem noch unveröffentlichten Nachfolgealbum „Schlagschatten“ kann Kantereit ebenfalls sowohl Gutes, als auch Schlechtes abgewinnen. Einerseits hat die Band mittlerweile bereits eine so große Anhängerschaft, dass sich, egal was man nun in die Welt setzt, bereits eine große Zahl an Menschen finden wird, der das Material gefällt. Daraus zieht der Schlagzeuger Selbstbewusstsein. Andererseits schleicht sich stets unbewusst in den Hinterkopf, dass das Album von viele Menschen erwartet wird, von denen dann natürlich auch möglichst viele zufriedengestellt werden sollen. Eine schwierige Balance.

Dieser erschlagende Druck, ohne dessen Verständnis der Entstehungsprozess von „Schlagschatten“ nur schwerlich nachvollziehen werden kann, herrscht jedoch nicht nur vor einer Platte, wie Außenstehende das leicht vermuten könnten:

„Da folgen ganz viele kleinteilige Schritte, in denen dieser (…) ebenfalls geherrscht hat. Ob das jetzt eine ausverkaufte Tour ist, was im Privatleben, ein hoher Festivalslot oder als wir das Album vor etwa einem Jahr fertig getourt hatten auf sich selber klarzukommen, nachdem man drei Jahre nur unterwegs war. Der Druck ist also auf jeden Fall da, ist jetzt aber nicht weg.“ 

– Malte Huck

„Einfach machen.“

Aus ihrem Umgang mit Drucksituationen, ziehen die vier Musiker die Philosophie, nach der sie das neue Album angegangen sind und auch in der Vergangenheit oft handelten: Einfach machen und sich auf das Bauchgefühl verlassen. Gerade deshalb zog es die Kölner für die Aufnahmen von „Schlagschatten“ auch nach Spanien, mitten in die katalanische Provinz, in der sie sich in einer angemieteten Finca ans Werk machten – in einem Raum, in dem noch nie jemand Musik geschaffen hatte. Man wollte einfach „mal etwas neues ausprobieren“ und andere Erfahrungen sammeln. Außerdem setzte sich die Band Anfang des Jahres – zu dem Zeitpunkt bestand laut eigener Aussage noch nicht wirklich viel konkretes Material – sehr strikte Deadlines: Noch bis Ende des Jahres sollte eine neue Platte her.

Davon beeinflusst beschlossen die Vier, dass der Großteil des Werkes bereits fertig geschrieben sein soll, bevor es gemeinsam mit Produzent Markus Ganter, der vor allem für seine Arbeit mit Drangsal, Casper und Sizarr bekannt ist, außer Landes geht. Bis auf einige Baustellen gelingt das der Band auch. Achtzehn Lieder, von denen es dann vierzehn auf das Album schaffen, begleiteten die Musiker schlussendlich in das spanisches Dorf, dessen Idylle einen bedeutenden Einfluss auf das Endprodukt hat.

Entstanden die beiden Vorwerke in den legendären Berliner Hansa Studios – Größen, wie David Bowie und U2 nahmen hier bereits ihre Meilensteine auf – einem Ort, der laut Kantereit eher „kalt“ ist, zog es die Gruppe nun in ein sonniges, sommerliches Exil. Diese neue Umgebung wirkt sich auch darauf aus, wie die Band spielt und die einzelnen Stücke angeht. Die Songs entstehen eben nicht in einer bekannten Umgebung, sondern mitten im Nirgendwo. Den Drummer motiviert das dazu, sich erstmals am Produzieren auszuprobieren. „Sieben Jahre“ geht nicht nur zum Teil textlich auf seine Kappe, sondern wurde auch unter seiner Aufsicht aufgenommen und ausgearbeitet. Dafür entführte er die Bandkollegen nach und nach in die Natur, um dort – Spur für Spur, Schicht für Schicht, Instrument für Instrument – aufzunehmen.

Der Song behandelt mit dem Verlust einer geliebten Person ein sehr persönliches Thema. Auch den Mut sich in den Texten fallen zu lassen und Inhalte anzugehen, die unbekannt oder unangenehm sind, prägte diese Isoliertheit. Auf „Schlagschatten“ gibt es viele dieser nahbaren und persönlichen Momente. Die Platte sieht die Band sowohl inhaltlich als auch musikalisch weitergreifen – häufig hat man das Gefühl man höre einer gereiften, zusammengewachsenen Band zu und weniger der Musik eines jungen Herren mit schöner Whiskeystimme – ein Vorwurf, den man früheren Werken des Quartettes machen könnte.

Der Veröffentlichungstermin am siebten Dezember zeugt davon, dass es der Band gelungen ist den eigenen strikten Zeitplan einzuhalten. Einen Überhit wie „Pocahontas“, der sich mittlerweile sogar zur Festival- und Oktoberfest-Hymne gemausert hat, hält „Schlagschatten“ nicht bereit. Dafür funktionieren die vierzehn Songs als Gesamtwerk deutlich besser. Das Album wird die Ladentheken verdienterweise trotz des fehlenden massentauglichen Übersongs unzählige Male kreuzen. Wenn man den Erfolg jemandem gönnen kann, dann den vier Jungs aus Köln und Umgebung, die mit ihrer handgemachten Musik und ihren nahbaren Texten greifbarer nicht sein könnten.

Zu Teil zwei des Interviews geht es hier. Weiter unten gibt es das gesamte Transkript des ersten Interviewteils.

Das Album “Schlagschatten” kannst du dir hier kaufen.*

Tickets für die Tour gibt es hier.*

Und so hört sich das an:

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AnnenMayKantereit live 2020:

23.02.2020 Ulm, Ratiopharm Arena
25.02.2020 Wien, Stadthalle (AT)
27.02.2020 Mannheim, SAP Arena
28.02.2020 Zürich, Hallenstadion (CH)
29.02.2020 Nürnberg, Arna Nürnberger Versicherung
03.03.2020 Leipzig, Arena
05.03.2020 Oberhausen, König-Pilsener-Arena
06.03.2020 Magdeburg, GETEC-Arena
07.03.2020 Chemnitz, Messe
10.03.2020 Freiburg, SICK-Arena
12.03.2020 Bremen, ÖVB-Arena
13.03.2020 Köln, Lanxess Arena
15.03.2020 Kiel, Sparkassen-Arena
13.06.2020 Hannover, Expo Plaza
14.08.2020 Hamburg, Trabrennbahn
15.08.2020 Rostock, IGA Park
20.-22.08. St. Pölten, Frequency Festival (AT)

Transkript des Interviews:

minutenmusik: Bevor euer erstes „offizielles“ Album „Alles Nix Konkretes“ herauskam, gab es um euch einen relativ großen Hype. Deshalb lagen bei vielen Fans die Erwartungen so hoch, dass einige nach der Veröffentlichung enttäuscht waren. Die Reaktionen der Presse fielen dann ebenfalls teilweise durchwachsen aus. Wie habt ihr zwei das alles wahrgenommen?

Severin: Das war für uns das erste Mal, dass wir Gegenwind bekommen haben. Vorher waren wir immer die Band, die man unbedingt live sehen muss. Wir hatten schon eine EP gemacht, die ganz gut lief. Das Album ist dann auf eine so breite Masse gestoßen, bei der man nicht erwarten kann, dass nur durchgehend positive Resonanzen kommen. Dass Leute uns auch kacke finden, war für uns aber neu – manche haben sich beklagt, dass wir nicht mehr so klängen, wie sie sich das vorgestellt hätten oder andere haben sich gefragt, warum wir bei einer solchen Aufmerksamkeit nichts politisches machen.

Kritik zu erfahren, sich da Gedanken drüber zu machen und die anzunehmen, kann aber auch schön sein. Oder sich eben komplett frei davon zu machen, nicht wegen anderen zu versuchen noch rougher zu klingen oder politischer zu sein. Am Anfang ist das natürlich schwierig, sich da zurecht zu finden – für sich selber und als Gruppe zu checken, was das für einen bedeutet. Natürlich wird man bei manch bösartigem Kommentar eines Fremden über das, in das man viel Arbeit gesteckt hat, wütend. Aber es ist ja auch gut, dass Menschen verschiedene Meinungen haben und jeder unsere Musik so beurteilen kann, wie er will.

Malte: Gerade, wenn man sich das alles zurückblickend anschaut, ist völlig klar, dass das so passieren musste, wie es passiert ist. Das ist auch gut so: Gerade bei so einem Album, das relativ ungewöhnlich ist. Klar, mittlerweile gibt es durch die sozialen Medien und neuartige Verwaltungsmöglichkeiten sehr viele ungewöhnliche, bekannte Sachen, was voll spannend ist, aber, dass man ohne Album schon bei Rock Am Ring auftritt oder eine große Tour spielt, die komplett ausverkauft ist, war schon besonders. 

Im Prinzip muss man sagen, dass die EP, die sehr positiv aufgenommen wurde, und das Album mit den gleichen Leuten am selben Ort entstanden sind. Einfach, weil uns das beim ersten Mal so gut gefallen hat. Der Gegenwind kam aber erst beim Album. Dieses Polarisieren ist also nicht dadurch entstanden, dass sich jemand die Lieder angehört hat und mit den Aussagen darin nicht konform war, sondern dass es eine krasse Erwartungshaltung gab, die wir nicht beeinflussen können. 

Ich habe außerdem letztens mit jemandem gesprochen, der meinte, es habe so gewirkt, als seien bei den Medien alle sauer gewesen, weil sie nicht Teil davon waren. Dass es eben nicht die Presse war, die uns groß gemacht hat, sondern wir uns ohne alle hochgearbeitet haben. Das war aber nicht bloße Absicht, sondern hat sich einfach so ergeben. 

Die Erwartungen, die jemand mitbringt, wenn er oder sie auf unser Konzert kommt oder unsere Platte hört, sind völlig seine oder ihre. Die können wir nicht beeinflussen. Deshalb ist das okay. Genauso wird das jetzt auch sein: Irgendwer wird bestimmte Erwartungen an die neue Platte stellen und dann enttäuscht sein. Ich kann, wenn man sich Musik anhört oder Filme guckt, nur empfehlen, nichts zu erwarten. Das geht natürlich nicht so einfach, dann hat man aber das angenehmste Hörerlebnis.

minutenmusik: Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen! Malte, du bist ja ein bisschen im Nachhinein in die Band „reingerutscht“. War zu dem Zeitpunkt, an dem du Annenmaykantereit beigetreten bist, abzusehen, dass das alles irgendwann so krass durch die Decke geht? Wusstest du, worauf du dich da einlässt?

Malte: Ich wusste überhaupt nicht, worauf ich mich einlasse. Ich hatte damals vom Business überhaupt keine Ahnung und wusste auch nicht, was ich mit meinem Leben machen möchte. Als ich 2014 dazugekommen bin, war ich 20. Ich habe Abi gemacht, dann war ich für acht Monate in Asien. Ich hab vorher zwar immer schon Musik gemacht und hatte mit 13 beispielsweise schon meine erste Band. Als ich dann zurückkam, wusste ich noch nicht richtig, was ich machen wollte.

Nachdem ich die Jungs kennen gelernt habe, gab es zwei Optionen: Wir hatten schon angefangen zu proben und mochten uns gerne. Das jetzt weiter zu machen, war also die eine Option. Die andere war, dass ich nach Norwegen gehe und da auf einer Husky-Farm arbeite.

minutenmusik: Das wäre aber auch geil gewesen!

Malte: Ja, wäre es! Irgendwann habe ich den Jungs dann die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, dass ich total gerne was mit ihnen machen würde. Es waren sich zu der Zeit alle total unsicher. Es gab ja vor mir auch einen Bassisten, von dem sich getrennt wurde. Dass das alles funktioniert, war zu dem Zeitpunkt schon klar, wie man das alles umsetzen will aber eben nicht. 

In meinem Kopf ging zu der Zeit erstmal nur ab, wie geil es wäre auf Tour zu fahren. Das waren dann von Anfang an direkt die krassesten Konzerte, die ich in meinem Leben gespielt habe, auch wenn das dann „nur“ 200 Leute oder in der Schweiz mal 40 waren und am Schluss ein Hut rumgegeben wurde. Auf der Bühne waren das aber die krassesten Live-Momente, die ich je hatte. 

Dass das dann alles so entsteht, wie das heute ist, haben andere Leute wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt schon gesehen, ich hatte um das zu raffen aber auf jeden Fall viel zu wenig Plan von irgendwas. Das ist aber glaube ich auch ganz gut so! So konnte ich das alles immer nach und nach aufarbeiten.

minutenmusik: Vor allem im Hinblick darauf, dass ihr riesige Konzerte und Festivals gespielt habt und euer Album so erfolgreich war, muss der Druck vor Major-Album Nummer zwei schier unendlich gewesen sein. Wie seid ihr das Album dann angegangen?

Severin: Klar, der Druck war da. Davon kann man sich überhaupt nicht frei sprechen. Ist dann die Frage, wie man damit umgeht – jeder für sich und auch wir zusammen. Für uns ist das oft „einfach machen“. Wir haben uns auch vorgenommen das Album jetzt relativ schnell fertig zu machen und nicht drei Jahre oder so vergehen zu lassen, um den Druck noch größer aufzubauschen. Wir sind da sehr intuitiv. Wir haben uns Anfang dieses Jahres überlegt, dass wir in dem Jahr noch ein Album rausbringen wollen, hatten zu dem Zeitpunkt aber noch wenig konkretes Material. Wir hatten dann diese Deadline, die wir uns selber gesetzt haben, in der wir uns dann sehr schnell verloren haben, weil wir einfach Mukke gemacht haben.

Das ist ja auch noch mal ein ganz eigener Prozess. Was ist cool? Wo wollen wir musikalisch eigentlich neu machen? Was wollen wir ausprobieren? Was wollen wir thematisch ansprechen? Da fließt der Druck dann natürlich sowohl negativ, als auch positiv mit ein. Einerseits hat man schon eine so große Masse an Leuten, die einen hören und direkt Zugang zu diesem Album bekommen werden – egal, was wir da rausbringen. Das gibt einem Selbstbewusstsein. Auf der anderen Seite ist man sich schon bewusst, dass man nicht mehr nur ausprobieren und dann gucken kann, ob das paar Leute hören, sondern man ja auch schon an sich selber den Anspruch hat, dass die Musik auch für andere zugänglich ist. Das ist immer im Hinterkopf und macht den Prozess ebenfalls schwieriger. Ich glaube wir haben das ganz gut hinbekommen, uns davon frei zu machen und den Druck manchmal auch ganz klar zu nutzen – eben mal bewusst was zugänglicheres zu nehmen und nicht in krass vertrackten Abläufen und Akkorden verlieren, was wir eh gar nicht so können, weil wir weder studiert haben, noch krasse Jazzer sind. Das war eine spannende Mischung.

Wir haben uns auch inhaltlich überlegt, wo wir hingehen wollen und was für Themen wir bearbeiten wollen. In Kombination mit dem „einfach Machen“ hat eine Deadline dann auch positiv gewirkt, weil man wusste, dass das jetzt auf diesen Punkt hinläuft. Bevor wir nach Spanien zum Aufnehmen sind, hatten wir den Anspruch, dass das Album eigentlich schon fertig ist, damit wir vor Ort nur aufnehmen müssen. So hangelt man sich dann von Ziel zu Ziel und kann diesen Druck manchmal ein bisschen vergessen.

Malte: Ich glaube, von Außen betrachtet folgt auf das erste Album, das eben so riesengroß war, das zweite. Für uns ist die Folge aber gar nicht so gewesen. Da folgen ganz viele kleinteilige Schritte, in denen der Druck ebenfalls geherrscht hat. Ob das jetzt eine ausverkaufte Tour ist, was im Privatleben, ein hoher Festivalslot oder als wir das Album vor etwa einem Jahr fertig getourt hatten auf andere Sachen und sich selber klarzukommen, nachdem man drei Jahre nur unterwegs war. Der Druck ist also auf jeden Fall da, ist jetzt aber nicht weg. 

Das ist total schön, dass wir das fertig gemacht haben. Ich bin super stolz. Jetzt kommt aber der nächste Druck. Jetzt sitzen wir vor Journalisten und wollen keine Scheiße labern, dann machen wir eine Tour und dann kommen schon die Festivals. Deshalb machen wir das jetzt so wie immer: Sachen einfach machen. Wir sind sehr gut da drin, unserem Bauchgefühl zu folgen und das zu machen, was sich gut anfühlt. Das wird dann schon das richtige sein und wenn nicht, war das eben ein Fehler – wir sind so jung, da kann man auch einfach mal einen Fehler machen.

Severin: Darauf basierte eigentlich komplett die Idee, das Album so aufzunehmen und anzugehen. Wir wollten nicht wieder an einen Ort, den wir schon kennen gehen und dort aufnehmen, sondern mal etwas neues ausprobieren. Wir wollten neue Erfahrungen machen, die alles wieder spannend machen. Deshalb sind wir in irgendein Dorf in Spanien gefahren, wo noch nie jemand Musik aufgenommen hat. Wir wussten vorher nicht, ob der Raum gut klingt, ob die Nachbarn Stress machen, ob wir untereinander vier Wochen auf engstem Raum aufeinander klarkommen. Das war einerseits sehr aufregend, hält uns in Bewegung und wirkt sich auch auf die Musik aus.

Wir hatten eben kein fertiges Studio, haben in dem Hauptraum aufgenommen, aber auch im und um den Ort herum. Wir haben ja auch mit einem neuen Produzenten zusammengearbeitet. Das hält uns auf Trapp und frisch und hält den Druck ein wenig zurück.

minutenmusik: Genau auf den Ort, an dem ihr „Schlagschatten“ aufgenommen habt, wollte ich jetzt gerne zu sprechen kommen. Und zwar war das ja in Spanien, genauer gesagt in Katalonien. Wie groß würdet ihr den Einfluss dieser Idylle auf die Platte einschätzen?

Severin: Schon groß. Die Songs sind, wie ich eben schon sagte, eigentlich in Köln fertig geworden – so vom klassischen Ablauf und auch der größte Teil der Texte. Wir haben schon ein paar Baustellen mitgenommen, das Ziel war aber eigentlich, das soweit fertig mit an diesen Ort zu nehmen.

Das, was wir uns erhofft haben, ist dann auch eingetreten: An einen Ort zu kommen, der so schön und anders ist, dass man ganz anders an diese Aufnahmen herangeht. Wenn morgens die Sonne scheint, man in der Früh ein bisschen durch die Natur Laufen gehen kann und sich dann ins Studio setzt, spielt man ganz anders, als zum Beispiel im Hansa Studio in Berlin, in dem es mega kalt ist und man eh schon alles kennt. Da haben wir die vorherigen Sachen aufgenommen. Das hat dann viel Einfluss auf Ideen, die man hat. Die kann ich jetzt vielleicht nicht unbedingt benennen, aber den Einfluss kann man nicht verleugnen – nicht nur wie wir gespielt haben, sondern auch den Raum zu haben, bestimmte Dinge auszuprobieren.

Ich hab ein Lied von dem Album nicht im Studio, sondern draußen mit einem Interface über den Laptop selber aufgenommen und produziert. Da habe ich dann mit dem Handy-Mikro erstmal eine Gitarre eingespielt, die wir dann auch genutzt haben. Generell konnten wir den Lofi-Anspruch an das Projekt voll ausnutzen und haben gezeigt, dass man eben nicht das glatte Studio braucht, sondern alles ausprobieren kann. Später habe ich mir dann jeden von den drei genommen und das an verschiedenen Orten eingespielt und daraus das Lied zusammengebastelt. Sowas war nur möglich, weil wir an diesem Ort waren.

minutenmusik: Welches Stück ist das?

Severin: „Sieben Jahre“. Auch inhaltlich war das für mich neu so einen Text anzugehen, den ich dann mit Henning zusammen gemacht habe. Malte hat hingegen den Text für „Alle Fragen“ gemacht. An so einem Ort, an dem man eigentlich überhaupt nicht zuhause ist, so Themen, die einem vielleicht auch sehr sehr schwer fallen oder auch neu sind anzugehen, hat für mich sehr gut funktioniert, weil wir in einem anderen Kontext waren. Da hat man von Außen überhaupt keine anderen Einflüsse. Diese Isoliertheit war echt wichtig. Genauso war es für uns auch schwer so aufeinander zu hängen. Da hat es dann auch mal geknallt.

Foto von Martin Lamberty.

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