Helge Schneider, Freilichtbühne Mülheim an der Ruhr, 05.09.2019

„Wo ist die Party?“ – „Hier ist die Party!“. Und das gleich mehrere Male. Als Intro und Outro. Na? Auf welchem Konzert befinden wir uns wohl heute? Scooter? Weit gefehlt. Capital Bra? Fast. Mark Forster? Schon besser. Aber vergesst sie alle – denn die wahre Party geht bei Helge Schneider.

Zumindest im Inneren der Zuschauer. Rein optisch ist der Auftritt in der Freilichtbühne in Mülheim an der Ruhr, Helges Geburtsort, doch eher gediegen gehalten. Die hübsche Location, die sich mitten im etwas höher gelegten Wohngebiet und doch eingekreist von hohen Tannen befindet, zaubert ein kuscheliges Ambiente trotz sinkender Temperaturen. Leider ist mit Sommer wohl so langsam wirklich Schluss – am Abend des 5.9., ein Donnerstag, zeigt das Barometer zum Ende nur noch 14 Grad und das Publikum viele leicht frierende, aber dennoch grinsende Besucher.

Die ursprüngliche Show findet regulär einen Tag später statt, meldet aber so schnell ausverkauft, dass 24 Stunden vorher eine Zusatzshow in den bereits eh schon vollen Tourplan des Kultkomikers eingeschoben wird. Wann ist der Herr eigentlich mal nicht unterwegs? Unzählige Auftritte und ständig wechselnde Programme. Das aktuelle lautet Pflaumenmus – Die Tournee zum Mus und hat – wie man es sich bereits denken kann – quasi nichts mit dem zu tun, was letztendlich passiert.

Denn was genau passiert oder eben nicht, entscheidet Helge meist spontan. Ein ungefährer Ablauf steht, die Band kennt die Akkordfolgen – aber wie lange das Lied nun gespielt und was in den Pausen zwischen den Stücken erzählt wird, sieht man dann halt, wenn es so weit ist. Darauf sollte sich der Zuschauer auch gefasst machen.

Helge Schneider ist seit wenigen Tagen 64 Jahre jung und hat in seiner mittlerweile drei Dekaden umfassenden erfolgreichen Karriere das Publikum gespalten wie kaum ein anderer in Deutschland: Helge hasst man oder Helge liebt man. Selten gibt es was dazwischen – und dennoch hat ein jeder eine Meinung über ihn. Allein das verdient Respekt, denn das zeugt von Konsequenz und auch Kreativität. Man kann und sollte eben nicht jedem gefallen. Dass es aber genug Leuten gefällt, zeigen die stets ausverkauften Häuser.

Um spätestens 19h sitzen fast alle auf den Bänken, die für eine Open Air-Bühne auch passend angeordnet sind: man kommt oben ins Geschehen, die Stage wartet unten auf einen und man geht Treppen abwärts. Freie Platzwahl und trotzdem ist von jedem Sitz die Sicht gut. Dazu gibt es eine abwechslungsreiche Getränke- und eine noch bessere Essensauswahl. Sehr fein. Wie es sich für Künstler gehört, denen ihr Publikum am Herzen liegt, beginnt die Show auch mit weniger als drei Minuten Verspätung.

Das darauffolgende Programm gleicht mehr einem Happening als einer klar einzuordnenden anderen Kategorie. Ja, man kann auf jeden Fall von einem Konzert sprechen, immerhin gibt es bestimmt während der gesamten Zeit zu 80% Musik zu hören. Dazu kommen aber Facetten des Schauspiels, des Kabaretts und der Stand-Up-Comedy. Genau diese Mischung lässt die insgesamt 125 Minuten Staging-Time, die in zwei Akten erfolgt, vergleichsweise schnell verstreichen.

Direkt zu Anfang gibt es mit dem bereits erwähnten „partypeople“ ein interaktives Opening. Helge ruft „Wo ist die Party“ und die Crowd, die von jung bis alt und von Familienevent bis Ausflug mit den Kumpels alles vertritt, antwortet mit „Hier ist die Party“. Allein das ist schon herrlich bescheuert. Neben Instrumenten und Standardlicht zeigt die Bühne keinerlei Effekte und macht nicht den Anschein, dass hier gleich die Stimmung überkocht. Dafür kann man aber mal ein wenig den Alltagsstress draußen, sich vom Schabernack einlullen und die Gedanken ein wenig schweifen lassen – nur das komplette Abschalten ist nicht zu empfehlen. Dann bekommt man nämlich zu viele Gags nicht mit.

Die kommen gerade zwischen den Songs am laufenden Band und wirken zwar auf den ersten Blick unglaublich billig, durchschaubar und stumpf, bieten aber zwischen den Zeilen doch die eine oder andere Sozialkritik (z.B. über fragwürdige Rentenbeiträge) und sind so situationsgebunden, dass sie bereits wenige Sekunden später nicht mehr funktionieren würden. Helge ist Profi und macht seinen Job lange genug. Allein seine bloße Präsenz nimmt so viel Raum ein, dass dämliche Monologe sich zu wirklich spaßigen Momenten entwickeln. Abgedrehte Bewegungen, ein paar deplatziert wirkende Dekoelemente plus Accessoires und mehrere unerwartet verstellte Stimmlagen ergeben zusammen ordentlich viel Humor.

Der Kontrast zwischen abstrusen Wortwitzen, hanebüchenen Geschichten (bei denen man nie sicher sein kann, ob sie nun frei erfunden oder wirklich so passiert sind) und extrem anspruchsvoller Jazzmusik ist einmalig. Seitens der Musiker passiert hier zwar kein lauter, aber dafür durchweg stimmiger Free-Jazz. Kontrabassist, Drummer, E-Gitarrist und Helge, der abwechselnd am Klavier, an der E-Gitarre, an der Hammondorgel, dem Xylophon oder anderen Effektgeräten rumwurschtelt – eine gut abgestimmte Kombination an Musikern, die alle wissen, was zu tun ist. Was Helge dabei singt, schreit, ruft oder flüstert, raubt zwar kurzzeitig der Musik viel an Qualität und führt gehäuft zu Kopfschütteln, aber hebt sich somit eben von der Masse ab.

Songs mit Titeln wie „wenn der komet kommt“, „wundertüte (ja ja die)“ oder „lonely pony“ sind dem aktuellen Album „Partypeople (Beim Fleischer)“ entnommen und haben selbstverständlich wenig bis gar keinen Inhalt. Das erschwert das Zuhören zuhause ungemein, ist aber Live dank Bildkomponente wesentlich leichter konsumierbar. Man schaut den Instrumentalisten zu, lacht über Helges Grimassen oder kann auch mal problemlos ein neues Bier oder eine Bratwurst holen – man „verpasst“ nicht wirklich was, wenn man zwei Minuten aussetzt. Mit „Disco, Disco“ befindet sich sogar ein bereits 40 Jahre altes Stück im aktuellen Programm und mit „Katzeklo“ und „Wurstfachverkäuferin“ echte Helge-Classics. Dafür muss man auf „Sommer, Sonne, Kaktus“, „Fitze, Fitze, Fatze“, „Es gibt Reis, Baby“ oder „Käsebrot“ verzichten. Stattdessen sorgen zwei weitere Gastmusiker für Sahnehäubchen – das größte liefert zweifellos der Violinist mit einer recht eigenwilligen Spielart.

Auch Feinde der Filme und Studioalben von Helge Schneider können bei Bedarf gerne einen Blick wagen. Leute, die einen roten Faden suchen, werden ihn nicht finden. Leute mit Interesse an Jazzmusik können sich beeindrucken lassen, werden aber womöglich vom Gesang des Künstlers etwas abgelenkt. Wer jedoch bereit ist, sich einfach auf skurrile Unterhaltung einzulassen, bei der man zwar nicht das Gefühl hat, dass man WIRKLICH etwas gesehen, aber trotzdem irgendwie herzlich gelacht hat, wird auf seine Kosten kommen. Denn der wichtigste Aspekt: dass musikalisch hier durchweg sehr gute Stücke zu hören sind, macht es eben zu keiner Trashveranstaltung, sondern zu Kunst, für die zwar nicht jeder Zugang findet, die aber trotzdem in ihrem Bereich einzigartig bleibt und auf Konventionen pfeift. Der Applaus am Ende spricht für sich.

Und so hört sich das an:

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https://www.youtube.com/watch?v=uSW7e9LFaxA&t=7s

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Bild von Christopher.

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