Johnny Cash singt sein trauriges Lied und kaum jemand singt mit. Traurig irgendwie, aber manchmal ist das so. Cash jedenfalls weilt schon lange nicht mehr unter uns, sein „Hurt“-Cover läuft dementsprechend vom Band und tönt nur leise aus den Boxen der Westfalenhalle 1. Die ist abgesehen von den Oberrängen dicht mit Menschen besiedelt – Menschen, die gerade noch in Gespräche vertieft sind, von Klogängen zurückkommen, mit ihren tätowierten Händen schwungvoll Bierbecher zusammenstoßen. Dann ist Cash am Ende angelangt, drei laute Orchesterschläge bahnen sich den Weg durch die riesige Halle, das Licht erlischt. Ein akustisches Grundrauschen bauscht sich auf, Chor, Streicher, Orgel. Im Hintergrund öffnet sich eine Felsspalte, aus der treten zwei Handvoll Fackelträger, marschieren zwischen Stahlstacheln auf die Menschen in der Halle zu.
Dieses Spektakel, dieser riesige Aufriss, er dient dazu fünf Jungs von der australischen Goldküste, aus dem Surfparadies Byron Bay, in Szene zu setzen. Als Parkway Drive gehörten die zunächst zu den Großen des Metalcore, sind nun auf dem Weg zu den Großen des Metal. Erst zerlegten sie Clubs, dann Hallen, später kleine Arenen. Es folgten Festivalheadlineslots, jetzt erstmals die großen Arenen. So viele Menschen wie heute standen – fernab von Festivalauftritten – bislang noch nicht vor der Bühne, wenn die Band auftrat. Es geht also darum sich selbst und allen anderen zu beweisen: Wir gehören hier hin. Sie machen es dafür den Fackelträgern gleich und schreiten ebenfalls aus dem Felsspalt auf die Bühne, ihre Instrumente bereits umhängend. 85 Minuten lang steht kein Feuerwerfer, kein Moshpit, keine Pommesgabel still.
Als fulminant gelten die Auftritte der Band schon lange. Diese Produktion aber übertrifft alles bisher Bekannte. Zur Planung hatten Band und Team auch ausreichend Zeit: Eigentlich waren die Shows schon für den Herbst 2020 angesetzt. Aus bekannten Gründen verschob sich deren Umsetzung vielfach. Nun aber schießen Flammen und Funken endlich zu Breakdowns und Soli gen denkmalgeschützte Hallendecke. Für „Shadow Boxing“ – ausnahmsweise ohne Rapper Casper, der tags drauf selbst einen Auftritt hat – treten dann vier Streich-Musikerinnen in dunklen Roben auf eine Empore. Hinter ihnen schwirren Totenköpfe und Schwerter über den überdimensionalen LED-Screen. Zwei Songs lang fettet das Streich-Quartett den eh schon dichten Bandsound weiter an.
Für das große Finale in der Zugabe dann klafft wieder der Fels auseinander. Nun aber ist er feuergetränkt. Das Schauspiel wiederholt sich: Orchestrales Grundrauschen, Fackelträger. Und diesmal tritt eine Violinistin auf den in die Menge reinreichenden Steg. Spannung entsteht. Dann wieder ein orchestraler Schlag, die Musik verstummt und plötzlich steht die ganze Bühne in Flammen. Es folgt „Crushed“ vom wegweisenden „Ire“-Album, begleitet von Feuer in jeglicher Form. Auch sonst haben Parkway Drive alles dabei, was eine Arena-Show braucht. Imposante Soli, gespielt auf einer in die Höhe gefahrenen Empore, umgarnt von Nebel. Ein Lichtermeer zu „Darker Still“, dem Titelstück des vor wenigen Wochen erschienenen Neuwerks der Australier. Gesten, die Publikumschoräle heraufbeschwören, Circlepits initiieren, auch die letzten von den Sitzen reißen. Und das passende Material. Es gibt alle Hits der Parkway Drive Metal-Ära, dazu eine Handvoll neue Songs und ausgewählte Momente aus der Metalcore-Vergangenheit. Für zwei, drei weitere Stücke aber hätte wohl jede*r in der Halle noch Zeit gehabt. Die Band, so scheint es, möchte jedoch noch etwas Luft nach oben lassen. Viel Platz jedenfalls ist da nicht mehr, denn eines ist klar: Den Aufwärtstrend von Parkway Drive wird so schnell niemand anzweifeln.
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Foto von Jonas Horn.
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