Wanda – WANDA

Der selbst auferlegte Fluch und Segen einer Band: ein eigener Sound. Es ist einfach die womöglich blödeste Situation, in der man stecken kann, wenn man mit seinem Klang etwas Eigenständiges entwickelt hat, sodass viele ihn auf Anhieb wiedererkennen. Da wird es nach einem Album, das neuartig und anders klingt, schnell kompliziert, denn wie geht es nun weiter? Wanda kennen das Zwickmühlenspiel und zocken es selbst seit einigen Jahren.

2014 kam mit dem Debütalbum „Amore“ das Wiener Quintett auf die Bildschirme und gab dem für totbefundenen deutschen Rock’n’Roll mit leckeren Indie-Gewürzen einen ganz neuen Anstrich. Gefühlt alle haben es geliebt. Völlig zurecht. Doch wenn dann das zweite Album fast eine 1:1-Kopie darstellt, das dritte und vierte ähnlich vorgehen, aber kontinuierlich immer weniger Hits und nur minimale Überraschungen bieten, heulen die einen auf, weil alles immer gleich klingt und nichts mehr dazukommt – die anderen heulen bei einer grundlegenden Veränderung aber genauso auf, weil es eben nicht mehr nach Wanda klingt.

Erstmalig hat man sich für den neuen Longplayer drei Jahre Zeit gelassen. Der erscheint wie alles zuvor ebenso im Herbst, hat aber eben eine Kalenderlänge extra eingelegt. Waren viele Künstler*innen in Coronazeiten besonders produktiv und haben vergleichsweise schnell neuen Output hinterhergeschossen, haben sich Marco und seine Boys etwas mehr Ruhe gegönnt. Das stillgelegte Tourleben wurde zwar seit Oktober 2020 halbjährlich bis zur Ankündigung des neuen Albums im Sommer mit einigen Singles überbrückt, aber insgesamt war der Arbeitsumfang nur ein Bruchteil von dem, wie die Österreicher ansonsten durchgeballert haben. Und das hat wohl richtig gut getan.

Mit ihrem selbstbetitelten WANDA bleibt sich die unangepasste, verdammt coole Gruppe bei den Albumnamen treu – ein Wort muss genügen. Ob nun mehr Persönliches einfließt und der Name deswegen gewählt wurde oder ihnen einfach keine bessere Alternative eingefallen ist, ist irgendwo auch Wurscht. Inhaltlich hat man nämlich das Gefühl, dass sich die Band ein wenig neu definiert, der Kern sich verändert hat und sich vor allen Dingen mit schweren, teils melancholischen Themen auseinandergesetzt wurde.

So stoßen auch die bisher bekannten Singles vielleicht bei den ersten zwei bis drei Durchläufen für den Moment säuerlich auf. „Jurassic Park“ ist so Indie wie selten zuvor und behandelt die entschieden zu große Verlockung, sich von Arschloch-Typen ausnutzen zu lassen. Treibende E-Gitarren-Linie mit hypnotischem Gesang von Marco. Das kann man schon verstehen, wenn Vom-Ersten-Moment-An-Fans a bisserl irritiert dreinschauen.

Doch nicht zufällig befindet sich ein Auto mit der Aufschrift „Amore“ auf dem Cover wie damals 2014. Denn man kann sagen, dass WANDA durch seine faire Symbiose aus eigenen, neuen Sounds, die etwas brauchen, und soliden Tracks, die auch auf vorigen Alben funktioniert hätten, die zwei Vorgängerwerke „Niente“ (2017) und „Ciao!“ (2019) easy abhängt. Da mag ein „Rot ist die Farbe“ zwar in den Verses ordentlich beim großen Bruder „Bussi Baby“ abgeguckt haben, aber das war’s auch schon mit Recycling.

Der ganz entscheidende Faktor ist die textliche Weiterentwicklung und die Rücknahme von immer wiederkehrenden Drogen- und Alk-Dudeligkeiten. Bei der leicht depressiv-verstimmten, reflektierten Auseinandersetzung mit dem Tod in „Orte, an denen wir waren“ werden philosophische Gedanken mit leichtfüßigem Rock kombiniert. Das spaßig-witzige „Rocking in Wien“ ist Wanda, wie man es braucht. Straight nach vorne mit einer Hook zum Grölen und ordentlich Energy. Wird auf Konzerten richtig gut gehen. Auch der treibende Indie-Popper „Wir sind verloren“ unterstützt in den Momenten, in denen man sich für etwas entschieden hat und kurz danach wünscht, man könnte zurückrudern. Lass mal, ist schon ok so.

Einen cheesy Titel zum Skippen leisten sich die Old-But-New-School-Rock-Boys dann doch, und der lautet „Pilot“. Aber einer ist keiner. Wenn große Geste, dann wie in dem epochalen Finale „Eine Gang“, das Liter voller Piano, Walzer und Drama gesoffen hat und genau deswegen Marco und der eingeschworenen Runde steht. Das ist Wien, das ist Feeling. Und wer glaubt, Wanda hätten in ihren Jahren sämtliches Pulver verschossen, um nochmal einen echt starken Hit zu schreiben, muss „Va bene“ hören. Mit seinem reduzierten Tempo, den wunderbaren Brüchen und seiner emotional aufwühlenden Klimax gelingt ein wahres Highlight in der Banddiskografie, quasi deren beste Ballade, wenn man es so nennen möchte. Lyrics zum Fühlen.

Doch, manchmal braucht es eben diesen einen Funken Mut und Inspiration, um wieder in die Spur zu kommen! Wanda haben ihn gefunden und liefern mit ihrem neusten Output das stärkste Album seit ihrem Zweitwerk. Ohne ein Stück rotzigen Wiener Schmäh mit Kippe im Mundwinkel fehlt aber auch was in der Szene. Also besser weiter, weiter.

EDIT 27.09.2022: Gestern wurde der Tod des Keyboarders Christian Hummer bekannt gegeben. Unsere Review entstand bereits am vergangenen Wochenende, weswegen wir auf diese schreckliche Nachricht im Text keinen Bezug nehmen. Trotzdem möchten wir hiermit unser Mitgefühl aussprechen und der Band für die kommende, schwere Zeit alles Gute wünschen.

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