Musik verbindet über Grenzen, weil sie auf genau die eine Sache zurückgeht, die wirklich alle Menschen eint: Gefühle und Emotionen. Jeder Musikfan wird sich an Lieder erinnern, die die unterschiedlichsten Emotionen hervorrufen und zu den verschiedensten Lebenssituationen passen. Konzerte verstärken diese besondere Verbindung noch einmal, da man hier Angesicht zu Angesicht mit den Wesen hinter den Lieblingssongs konfrontiert wird. Spürt man also, wie auch diese von ihren eigenen Worten und Tönen mitgenommen oder beflügelt werden, kann die Erfahrung atemberaubend sein. Ein wichtiger Grund, warum Konzerte nie an Intensität verlieren. Dann schaut man Slothrust dabei zu, wie sie sich durch die Hälfte ihres Sets schweigend und eiskalt durchspielen, um schließlich in binnen weniger Songs die verschiedensten Emotionen abzurufen – und man kann nochmal neu anfangen mit dieser Geschichte von Emotionen und Künstler*innen.
Bevor die Hauptband am verschneiten Mittwoch Abend die kleine Bühne (um ans Schlagzeug zu kommen, muss man sich zwischen Becken und Boxen zwängen) betritt, dürfen Active Bird Community aus Brooklyn das ausverkaufte Blue Shell bespaßen. Glücklicherweise ist die Support-Act-Auswahl hervorragend gelungen, denn Active Bird Community klingen wie der zwei stimmige Bruder von Slothrust. Ähnlich wie die Hauptband setzt auch der Support auf ein Wechselspiel aus zerbrechlichen, atmosphärischen Momenten und Garage-Rock-Ungetümen – besonders überzeugend dank der hervorragenden Live-Darbietung von zwei Sängern.
Kennt ihr das, wenn manche Bands die Bühne schon energetisch betreten und unweigerlich so viel Energie ausstrahlen, dass das Publikum wie angesteckt mithüpfen und schreien will? Nun, Slothrust machen so ziemlich das Gegenteil. Ausdruckslos spielen sich die drei Amerikaner durch die ersten Songs ihres Sets, was durch die ohnehin sehr leiernde, abgeklärte Singweise von Leah Wellbaum noch verstärkt wird. Musikalisch schwankt das Trio ähnlich wie auch auf den Platten zwischen Shoegaze-Momenten und brachialem Garage-Sound. Das knallt zwar von Anfang an, doch irgendwie verlieren sich Band und Publikum etwas aus den Augen. Doch dann – Wellbaum fragt nach Bier, lächelt als ein Soundtechniker der Band just in diesem Moment mit ein paar Flaschen die Bühne betritt. Die Freude der Band ist groß und plötzlich scheint sich ein Schalter umgelegt zu haben. Für “The Haunting” und “Walk Away” wird Gitarre gegen Keyboard getauscht, Sängerin Wellbaum steht plötzlich ohne ihren Schutz aus Saiteninstrument vor dem Publikum und gibt sich in unglaublich groteskem und witzigen Tanzeinlagen zu einem eigentlich sehr bewegenden Text hin. “Double Down” vermittelt auch live einen Groove, der durch die beeindruckende Instrumental-Unterstützung durch Kyle Bann und Will Gorin schnell zum Tanzen anregt. Schon das ganze Set hört man vereinzelt Zwischenrufe “Planetarium, verdammt!” und endlich wird dann auch dieses Brett von Garage-Rock-Song vorgetragen. Auch zwischen den Songs wird die Band aufgeschlossener, kleine Scherze werden vorgetragen, das Lächeln wird immer größer, als die Band plötzlich realisiert, dass sie auf der ersten Köln-Headline-Show überhaupt direkt ausverkauft melden konnten. Erst jetzt, wo die anfängliche Anspannung verflogen ist, bemerkt man, was diese Band eigentlich alles grandios macht. Hits am laufenden Band, ruhige Passagen, die unter die Haut gehen, laute Passagen, die das Blue Shell zum Beben bringen. Und dann diese Texte! So herrlich unangepasst, urkomisch und doch todernst klingt sonst keine Band. So geht eine Strophe vom grandiosen Grunge-Rausschmeißer “Crockpot” wie folgt: “Animals in my bed, animals in my bed, animals in the street. I like cats, do you like cats? Of course you do, you sassy motherfucker. My stomach hurts, does your stomach hurt? Do our stomachs hurt together? I feel pain, do you feel pain? Will this pain last forever?” Überhaupt sind Isolations-, Depressions- und Suizidgedanken häufig die Dreh- und Angelpunkte der sehr abstrakten Texte. Auch wenn man beim ersten Hinhören eher auf Nonsens á la Alt-J tippen würde. Das scheint Slothrust aber auch gerade recht zu sein, so wenig wie sie mit den eigenen Gefühlen hausieren gehen. Wenn es zu viel wird, schließt Wellbaum beim Singen einfach die Augen. Die Stimme bleibt fest, die Gitarrenwände schützen die drei.
So wundert es nicht, dass die Begeisterungsstürme nach Auftrittsende doch sehr frenetisch ausfallen. Die Band strahlt, das Publikum eben so. Vielleicht sind manche Emotionen auch einfach für alle Beteiligten zu bewegend und herausfordernd, um sie direkt an sich heranzulassen. Am Ende des Abends bekommt man so eher das Gefühl, als wäre man eine gemeinsame Therapie-Sitzung durchlaufen. Und das verbindet gerade wegen des holprigen Starts noch viel inniger!
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Beitragsbild von Julia Köhler.
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