Der Vorhang fällt. Ein maskierter Mann steht mit erhobener Faust am Bühnenrand. Ein großes, neongelbes X thront auf seiner Brust. In seiner Hand hält er eine brennende Fackel. Er tritt feierlich einige Schritte zurück, übergibt den brennenden Stab einem anonymen Dritten, setzt sich an das Schlagzeug. Neben ihm fährt ein Auto aus dem Boden. Auf dem Dach des Fahrzeugs steht eine zweite Person. Sie trägt eine Bassgitarre um den Hals. Der ebenfalls vermummte Mann tritt einige Schritte vor in Richtung Mikrofon. Lasst die Spiele beginnen. Kurze Zeit später schallen die ersten Akkorde von „Jumpsuit“ durch die Arena. Hinter den zwei Protagonisten brennt das Auto mittlerweile. Die Menge ist laut, die Musik energetisch.
Die zwei Menschen, die die riesige Bühne ihr eigen machen, nennen sich Twenty One Pilots. Schon seit acht Jahren machen sie gemeinsam Musik. Mit ihrem letzten Album stieg der Bekanntheitsgrad der Gruppe jedoch rasant an – der Hit „Stressed Out“ trägt daran wohl eine großen Teil bei. Das Musikvideo des Stücks hat heutzutage über 1,5 Milliarden Aufrufe. Im Februar 2016, bei ihrem letzten Kölnbesuch, spielte das Duo noch vor dem ausverkauften Palladium. Auch diesmal tritt man vor vollem Haus auf. Die Besucherzahl hat sich nur fast vervierfacht. Heutzutage ist es die ausverkaufte Lanxess-Arena, die größte Mehrzweckarena des Landes. Der Anlass: „Trench“, das im vergangenen Oktober erschienene fünfte Studioalbum der zwei Musiker. Das Konzeptalbum nimmt den Hörer mit auf eine Flucht aus der tristen Realität voller Angstzustände, Depressionen, Selbstmordgedanken. Die Band entwirft dafür eine eigene kleine Dystopie, aus der der Protagonist zu entkommen versucht. Diese Welt trägt den Namen „Dema“ und verkörpert die eigenen psychischen Krankheiten.
Zurück nach Köln. Es ist kurz nach neun Uhr. Einige Minuten steht die Band nun bereits auf der Bühne. Sie spielt gerade ihren Song „Fairly Local“. Auf einmal schmeißt sich Sänger und Multiinstrumentalist Tyler Joseph in ein Loch im Bühnenboden. Wenige Sekunden vergehen, das Spotlight wird auf die Tribüne geworfen. Dort steht der Sänger bereits, der Song wird fortgesetzt. Bei dem Mann, der sich in das Loch stürzte, handelte es sich um ein Double. Der simple Trick gelingt. Die Fans sind außer Rand und Band. Solche Special-Effekte haben die Twenty One Pilots heute vielfach im Gepäck. Mal stehen die beiden Bandmitglieder auf zwei Hebebühnen, die sie mehrere Meter über das Publikum bugsieren, mal stehen sie auf der fast schon obligatorischen B-Stage, tragen dort balladeskere Songs vor, während über ihnen Lichtzacken durch die riesige Halle schneiden. Konfetti haben die beiden natürlich auch im Gepäck. Wasserstoffkanonen ebenfalls. Die Lichtshow ist perfekt abgestimmt. Man weiß häufig gar nicht, wo man hinschauen soll – so viel passiert auf und neben der Bühne. Die eigenen Songs werden nach Belieben in die Länge gezogen, mal pausiert oder auf Loop gestellt, um von der Hauptbühne durch das Publikum zur B-Bühne zu wechseln.
Das Konzept stimmt. Auch wenn die Band die Albumstory nicht eins zu eins in ihren Auftritt trägt, so merkt man der 110-minütigen Show doch deutlich den Hang zum Konzept an. Nach einigen neueren Songs zu Beginn des Sets, zeigt ein Einspieler die markante knallrote Mütze, die die Kampagne zum Vorgängeralbum „Blurryface“ begleitet hatte. Sie wird feierlich eingeführt und schlussendlich von der Hallendecke herabgelassen. Wenn das Duo Songs dieses Albums spielt, trägt Tyler Joseph fast immer dieses Accessoire. Ihre erfolgreichsten Stücke – „Heathens“ und das bereits erwähnte „Stressed Out“ – präsentiert man seinen Fans gleich im ersten Drittel des Auftrittes. Vor den einzelnen Songs steht eben das Konzept. Zu „Nico and the Niners“ tritt Joseph auf einmal in quietschgelber Jacke an das Mikrofon. Es kündigen sich einige Lieder von „Trench“ an.
Auch am Tag des Konzertes und bereits am Vortag erblickt man immer wieder neongelbe Pullover, Schuhe, Handschuhe in Köln Deutz. Die Fans der Amerikaner folgen der weltoffenen Ideologie der Band auf Schritt und Tritt, fühlen sich in den düsteren Inhalten verstanden. Sie wollen Teil der Community sein, die Band unterstützen. Bereits am Vorabend befinden sich über 50 Fans vor der Halle um ihren Vorbildern während des Konzertes ganz nah zu sein. Einen solchen Kult um einen Act gab es zuletzt bei den Emo-Legenden My Chemical Romance. Zwischen beiden Künstlern lassen sich einige Parallelen herstellen: das stringente Konzept, der ausgeprägte Fan-Kult, die unverblümt emotionale Musik. Twenty One Pilots passen ihren Sound jedoch an den Zeitgeist an – nicht verzerrte Gitarren und theatralisches Gekreische dominieren, sondern elektronische Beats, Sprechgesang. Die My Chemical Romance der Generation Z.
Zu „Chlorine“ hüpft dann auf einmal das süße Ungeheuer aus dem zugehörigen Video über die Leinwände. Schlagzeuger Joshua Dun trägt den Bucket-Hat, der seinen Kopf auch im Musikvideo ziert. Diese Vielzahl von Motiven aus den Texten und die Albumkampagnen tauchen immer wieder auf. Am Ende stehen die beiden Musiker dicht nebeneinander auf der Bühne. Dun am Schlagzeug, Joseph am Keyboard. Die Bühne wird von weißes Licht erleuchtet. Man spielt das reduzierte Intro von „Trees“ an. Dann fährt auf einmal wieder das Auto aus dem Boden, es beginnt zu brennen, das Duo steht – einer rechts, einer links – auf zwei Plattformen über den ersten Reihen, drischt auf große Trommeln ein. Konfetti schießt aus dem Bühnengraben in die Halle. Die reduzierte Intimität ist geplantem Chaos gewichen. Kaum etwas könnte den Auftritt der Twenty One Pilots wohl besser beschreiben.
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Foto von Jonas Horn.
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