Der nächste Versuch: Eigentlich kann man vor dem inneren Auge förmlich sehen, wie Adam Lambert strampelnd auf dem Boden liegt, heult und schreit, weil es einfach nie richtig klappt. Es ist aber auch verdammt unfair. Doch wer sagte auch schon, dass Showbiz fair wäre? Seit seinem ersten Erscheinen bei “American Idol” im Jahr 2009 gilt der 41-jährige aus Indianapolis als einer, für manche auch als der beste männliche Popsänger der Welt. Dennoch gibt ihm sein Erfolg eher Unrecht.
Vier Alben lang probierte er einen eigenen Stil zu finden, der ihm steht und der dazu auch noch beim Publikum gut ankommt. Geklappt hat es nicht. Gab es zwar 2009 für das Debütalbum “For Your Entertainment” – insbesondere für die extrem starke Leadsingle “Whataya Want From Me” – noch ordentlich Aufmerksamkeit durch die gerade erst vergangene Castingshowteilnahme in den USA, ging es danach äußerst schnell rapide bergab. Man probierte ihn in der Künstleridentität sowie in der Musik ein wenig als männliche Lady Gaga zu inszenieren, was aber eher aufgesetzt wirkte. Von Dance-Pop zu überdrehtem Pop-Rock (“Trespassing”, 2012) zu EDM (“The Original High”, 2015) zu Funk und New Wave (“Velvet” , 2020). Immer mal wieder mit dem einen oder anderen Hit – “Ghost Town” schaffte 2015 bei uns sogar Platin – aber eben nie mit einem wirklichen Durchbruch verbunden, sodass er endlich die Stadien füllen konnte, die ihm bei den Gesang-Skills eigentlich zustehen. Wobei: Irgendwie füllt er sie schon. Nur unbeabsichtigt. Als Sänger bei Queen ist er seit über einer Dekade tätig und machte seine Aufgabe ganz fantastisch, ist trotzdem aber eben “Der, der die Freddie-Songs so gut singt” und nicht einfach Adam Lambert.
Das ist wirklich, wirklich bitter. Besonders zuletzt bei “Velvet” hatte das sympathische, queere Megatalent so viele tolle Songs parat, die gefühlt niemanden juckten. Gerade einmal eine Woche (!) verweilte das Album in allen wichtigen Charts, in keinem Land ging es in die vordere Hälfte der Top 100. Ein Beweis dafür, dass Gesang nicht alles ist. Leider. Was soll man noch groß tun? Mit den eigenen Songs klappt es nicht, bei Queen spielt man die zweite Geige. 2023 entscheidet sich Adam Lambert dafür, die Dinge, für die man ihn feiert, zu kombinieren: Er schnappt sich Songs, die Menschen eh schon mögen, er haut in den Vocals richtig auf die Kacke und er stellt erneut unter Beweis, dass er Songs von anderen Künstler*innen zu interpretieren weiß. Das klappt immerhin bei Queen, das ging vor einigen Jahren sehr gut mit “Believe” von Cher und damals bei “American Idol” auch. Das Ergebnis nennt sich High Drama.
Elfmal dreht Adam Lambert richtig auf, spart sich die Mühe fürs Songwriting und investiert lieber in starke Produktionen und seine Stimmbänder. High Drama ist ein reines Coveralbum mit teils sehr bekannten, teils unbekannten, teils topaktuellen, teils fast vergessenen Titeln. Dabei bedient er sich für gleich sieben Songs bei Sängerinnen. Warum? Weil er’s kann. Wenn man doch die Range hat, um Frauenlieder singen zu können, warum sollte man das nicht tun? Das beeindruckt und entlockt dem einen oder anderen Hit vielleicht nochmal eine ganz andere Facette.
High Drama lässt es bereits vermuten: Fans von Purismus sind hier falsch. Und das ist auch komplett richtig so. Adam ist schillernd und laut und versteckt sich hier zu keiner Minute. Stattdessen gibt es Adlips, Koloraturen und Runs in sensationeller Höhe, die einfach so in your face sind, wie man es von einem Ausnahmesänger auch erwartet. Doch sagten wir es nicht bereits? Gesang ist nicht alles.
Die Auswahl ist mutig. Bonnie Tyler, Sia, Pink, Billie Eilish, Lana del Rey, Kings of Leon. Da wurde anscheinend einmal die Mediathek voller Lieblingssongs auf Shuffle gestellt und geguckt, was sie als nächstes ausspuckt. Das ist divers und alles andere als homogen, aber auch völlig berechtigt. Eine Art Best of von dem, was man halt mag. Feel free! Wäre eine derartige Playlist mit den Originalsongs doch ein wenig zu sprunghaft, ist in der Produktion darauf geachtet worden, einen roten Faden beizubehalten. Sämtliche Songs behalten oder bekommen einen Glam-Rock-Anstrich und drücken damit meist ordentlich auf die Tube. Großes, dickes Arrangement, was einigen Nummern sehr gut, anderen nicht so gut steht.
Coveralben sind einfach ein wahnsinnig schmaler Grat: Magst du die Sänger*innen nicht, die hier ihre eigene Version machen, ist die Sache eh schon gelaufen. Magst du die Songs, die gecovert sind, sehr, freust du dich gewaltig drauf, hast aber meist so utopische Erwartungen, dass du immer bei “Das Original gefällt mir aber besser” landest. Magst du die Songs nicht und hast sie eh schon mit Unwohlsein verbunden, kannst du es nur schwer im Kopf umprogrammieren. Kennst du die Songs nicht, kannst du dich wahrscheinlich am besten drauf einlassen. Die Devise lautet also am Ende, es entweder besser zu machen oder anders. Adam macht eigentlich fast alles anders und geht damit auf Risiko, Liebhaber*innen des Originals zu verschrecken – oder auch zu überraschen.
Positive Beispiele sind das treibende, fast schon laszive “Holding Out For A Hero” mit leichten Hyperpop-Elementen. Steht ihm wirklich super. Noch besser wird es, wenn das genaue Gegenteil passiert: “Ordinary World” von Duran Duran läuft noch heute im Ü50-Formatradio und ist eines dieser Atmo-Titel, die man schön findet, wenn man sie durch Zufall zu hören bekommt, aber die dennoch die Zeit nicht gut überstanden haben. Was Adam Lambert hieraus macht, ist hingegen Cover at it’s very best. Nebelige Klavierballade mit Streichereinsatz. Das sorgt mit der richtigen Anlage für Shivers ohne Ende. Schöner Rauswurf: “Mad About The Boy” von Dinah Washington. James Bond hätte seinen nächsten Soundtrack. Genauso fantastisch ist der wohl unbekannteste Song, “I’m A Man” von Jobriath, einem der extravagantesten queeren Artists der 70er, der den Grundstein für David Bowie und andere legte. Lambert holt aus der 50 Jahre alten Broadway-esquen Nummer das absolute Maximum raus und hätte genau hierauf bei High Drama das Augenmerk legen sollen.
Lieber ein bisschen mehr in der fast verschollenen Schatzkiste wühlen, als zu stark auf Bekanntheit zu setzen. Bei einigen Songs, die einfach in ihrem ursprünglichen Kostüm schon so stark sind, verbrennt er sich doch die Finger. Nicht, weil er sie nicht singen kann, sondern einfach, weil er ihnen nichts spannendes entlockt. “Sex On Fire” von Kings of Leon hat durch seinen hymnenartigen Refrain, der am besten vom höchsten Punkt der Stadt gebrüllt wird, nur dann was, wenn er scheppert. Die Dancing Shoes passen einfach zero, es fehlt an aufbauenden Elementen. Lana del Reys “West Coast” wird auf links gekrempelt und ist mit E-Gitarren zwar sehr düster und hat etwas Superheld*innen-artiges, erzählt sich jedoch etwas zu schnell aus. Da hilft auch ein ausgebreiteter Instrumentalpart nur noch bedingt. “I Can’t Stand The Rain”, das wahrscheinlich in der Tina–Turner-Version am bekanntesten ist, ist gar der uninspirierteste Teil des Longplayers.
Ein stetiger Wechsel. Irgendwo zwischen “Ziemlich cool und spannend” und “Gibt mir nix” springt der Künstler hin und her. “My Attic” ist einer der wenig mainstreamigen Pink-Songs und befand sich auf ihrem 2019-Album “Hurts 2B Human”, “Getting Older” von Billie Eilish ist gar erst zwei Jahre jung und auch nur ein Albumtrack. Beide sind auch hier eben das, was sie schon vorher waren: Ganz nette Geschichten ohne große Melodien. Spannend zu erwähnen ist wohl noch “Chandelier” von Sia, das kompositorisch einfach so ein perfekter Popsong ist, dass sich schon zig Acts daran probiert haben. Adam gehört zu denen, die es besser machen, ist hier eben das Belting in den oberen Tönen einfach heftig, aber Sia bleibt weiterhin unberührt, weil es bei “Chandelier” schlichtweg um mehr geht, als nur ums Notentreffen.
Dank stimmiger Produktion lassen sich die elf Songs – gerade bei einem Coveralbum hätten das sehr gerne eine Hand voll mehr sein dürfen – gut weghören. Viele Momente, die dazu verleiten zu sagen: “Ist schon echt ein guter Sänger, muss man ihm lassen”. Und eben auch viele gute Kompositionen. Trotzdem ist High Drama ein nächster, wahrscheinlich eher kläglicher Versuch, in die vordersten Reihen zu kommen. Adam Lambert ist wirklich hervorragend, unbeschreiblich talentiert und hat Starappeal. Mit Sicherheit gilt auch das Motto “Besser gut geklaut, als schlecht selbstgemacht”. Aber allzu große Kunst, die nachhaltig wirkt, ist es dann final nicht.
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