Gefangen im selbst angelegten Korsett, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Hit: Pink zu sein, ist einerseits wohl ein großes Privileg, andererseits aber mit Sicherheit verdammt anstrengend. Kaum ein anderer Act hat nach dem Millennium dermaßen viele Singles in die Charts gebracht und für nicht mehr loszulassende Hooks gesorgt. Ganze 40 (!) Mal enterte die mittlerweile 43-jährige – time goes by way too fast – die deutschen Top 100, die britischen gar 44 Mal. Das ist schon irrational oft.
Aber wahrscheinlich entwickelt sich, wenn man um Längen mehr Singles als Alben verkauft hat, damit parallel auch eine Sucht. Die Sucht, immer wieder aufs neue einen Ohrwurm zu landen, die Heavy Rotation im Radio für sich zu beanspruchen, was 2023 wohl schwieriger denn je ist. Da läuft zwar ein “Blinding Lights” von The Weeknd noch gefühlt 100 Jahre nach Release, aber stellt gleichzeitig auch eine absolute Ausnahme dar. Vieles ist so schnell da wie eben dann auch wieder weg. Die Menge an Veröffentlichungen ist gar so riesig, dass man quasi täglich mit einer Spotify-Benachrichtigung rechnen darf und vieles nach einmal Reinhören nie wieder angeklickt wird. Das kommt Pink alles andere als entgegen.
Denn wer sich immer schon besser im Hitsingle-Land auskannte, hat es jetzt einfach verdammt schwer. Pink probiert spätestens seit fünf Jahren (“Beautiful Trauma” , 2017) sehr stark aktuellen Trendsounds hinterherzujagen und hat ihre Rockwurzeln, die sich aber nie gegen poppige Melodien wehrten, fast komplett mit der Axt zerhackt. Das ist auch rund vier Jahre nach der unglaublich üblen Bauchlandung namens “Hurts 2B Human” nicht entschieden besser geworden, aber immerhin in korrekter Fahrtrichtung.
Trustfall ist also der Name des neunten Studioalbums der zweifach Mutter und kultigen Entertainerin. Besonders letztes hat sie auch keinesfalls verlernt, denn wenn Pink eins kann, dann ist das live, wie wir erst 2019 wieder in Köln sehen durften. Die Menge an Pop-Classics, die spektakuläre Bühnenshow, die sympathische Präsenz und die immer erkennbare Stimme ergeben ein großes Match. Und irgendwie kommt man einfach schwer von der Vermutung los, dass auch Pink das weiß und sich deswegen im Songwriting mit maximaler Durchschnittsware zufrieden gibt. Warum groß anstrengen, wenn’s auf der einen Seite eh kaum noch Kohle abwirft und auf der anderen die Tickets für die anstehende Sommertour weggehen, ohne überhaupt das Album zu kennen? Eben, weil es das Album halt auch einfach schlichtweg nicht braucht.
Die 13 Tracks auf Trustfall sind ausnahmslos nett. Das lässt sich ohne Konzentration, ohne Aufmerksamkeit und ohne Unwohlsein so beiläufig weghören, wie es Formatradio dann halt so tut. Das war bei der Sängerin mal anders, ja. Ohne Frage. Aber zugegeben: Das ist echt auch verdammt lang her. Irgendwann gab es mal Longplayer von Alecia Moore, auf denen hochkarätige, manchmal gar kantige und vielschichte Kompositionen zu finden waren. Aber die wurden kontinuierlich weniger. Auf dem wirklich katastrophalen Vorgänger gab es stattdessen sogar Kirmestechnobeats. Gruselig. Trustfall probiert nicht ganz so TikTok zu sein, ist aber exakt Null Komma Null Null Null Rock. Sagte ich schon Null? Stattdessen klingt Pink fast schon wie Taylor Swift. Der Überraschungserfolg “Cover Me In Sunshine” mit ihrer Tochter Willow scheint für viele Tracks als großes Vorbild genommen worden zu sein.
Ungewöhnlich ruhig startet die neue Platte mit einer Hommage an ihren an Krebs verstorbenen Vater. “When I get there” ist zunächst akustisch, gesanglich natürlich berührend, textlich auch äußerst sentimental und tiefblickend, aber dann doch wieder nur oberflächlich deep. Man mag fast schon von einer Art Manipulationsversuch sprechen, spätestens wenn dann mehrstimmige Parts einsetzen und einfach die Eingängigkeit mehr zählt als das Storytelling. Da klappt der darauf folgende Titeltrack um Längen besser, weil er einfach ehrlicher wirkt und mit stampfendem Synthie-Beat schöne Soundwaben formt und spätestens beim dritten Anlauf zeigt, dass Pink es irgendwo schon noch gut kann.
Aber fair bleiben: Welche Platte kann man sich nicht schönhören? Welches Pop-Album hat nicht nach drei Durchläufen einen Platz im Kurzzeitgedächtnis gefunden? Um dann jedoch auch ins Langzeitgedächtnis zu gelangen, braucht es eben das gewisse Etwas, was auf Trustfall aber nur in kleinen Häppchen den Weg gefunden hat. Besonders beim ersten Abspielen ist alles einfach eben so schrecklich nett und doch so zahm, lieb, anbiedernd. Da gibt’s im Duett mit The Lumineers den Versuch ein “Just give me a reason” zu wiederholen, heißt jetzt nur “Long way to go”. Klingt auch nicht schlecht, geht aber auch nie nach vorne und bleibt, nennen wir es doch mal “nett”.
Ein bisschen Country (“Kids in love”), Singer-Songwriter-Folk light (“Last Call”), ein wenig Gute-Laune-Pop (“Never gonna not dance again”) und die typische Melancholie zum Rauswurf (“Our song”). Kann man sich gut wegsnacken, macht nur nicht satt, eben weil Pink so viel mehr kann als das. Gleichzeitig gibt es mit dem 80s-Revival-Song “Runaway” eine solide Nummer zum Autofahren, die Spaß macht, mit “Hate me” gar eine kurze Hoffnung, man könnte doch nochmal die rockige Pop-Queen der 00er zurückholen. Das klappt final nicht ganz, aber immerhin wird hier etwas das Tempo angezogen und in einer Miniportion das abgefeuert, was es doch unbedingt mal wieder bräuchte, einfach weil dieser Sound 2023 so fehlt. Unter den Balladen ist “Lost cause” der Anspieltipp, der zwar nicht zum Highlight reicht, aber klargeht.
Eine Aufgabe von der Checkliste kann gestrichen werden. Neues Album? Ham wa. Jetzt ist die Tour also das, worum’s geht. Und ja, die wird geil, zweifellos. Pink enttäuscht nicht. Niemand wird sich nach der Show darüber ärgern, dass er 150 Euro ausgegeben hat. Aber ob die Verkaufszahlen wieder nach oben gehen – paar Fakten: “Hurts 2B Human” (2019) knapp 300.000, “Beautiful Trauma” (2017) 2,7 Mio., Alben davor gerne auch mal über 6 Mio. – bleibt fraglich, und das liegt nicht nur an Spotify, sondern eben auch am Inhalt. Der ist halt ganz nett, ne?
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Wow, was für eine traurige Kritik. Muss schwer sein, wenn man emotional nichts mehr fühlt…
Hi Reiner,
das stelle ich mir in der Tat auch schwer vor,
trifft aber ja zum Glück auf mich nicht zu.
VLG Christopher