Dass erfolgreiche Filme eine Musicaladaption erhalten, ist mittlerweile eher Standard als Ausnahme. Aktuell feiern „Der Tod steht ihr gut“ und „Der Teufel trägt Prada“ in London und New York Erfolge – bei uns kommt nun Pretty Woman – Das Musical zurück auf die Bühnen und zieht bis in den Sommer durch die gesamte DACH-Region. Zumindest bei der Premiere im Metronom Theater in Oberhausen herrscht aber an einigen Stellen noch Ausbaubedarf.
Erfolge kann man selten vorab gut berechnen. Natürlich wünscht man sich bei einem Film, dass er einschlägt, allerdings führen die passenden Zutaten nicht zwangsläufig zu einem Top-Ergebnis. Als Pretty Woman 1990 in die Kinos kommt ändert sich aber für Hauptdarstellerin Julia Roberts alles. Bis heute zählt sie zu den beliebtesten Schauspielerinnen der Welt. Ihre äußerst sympathische Darstellung der Vivian Ward war einfach genau das, was den Nerv der Zeit traf. Doch am Ende ist es besonders die stimmige Chemie zu Edward Lewis, gespielt von Richard Gere, die locker die Hälfte der Atmosphäre ausmacht. Ergänzt durch einen starken Soundtrack bedeutete das am Ende für den Film eine Oscar-Nominierung, einen Golden Globe, einen Grammy sowie hierzulande die Goldene Leinwand.
Pretty Woman ist neben „Dirty Dancing“ wohl mit die kultigste RomCom überhaupt. Immer wieder erscheint sie als eine der wenigen in Film-Toplisten, immer wieder werden Vergleiche gezogen, weil Pretty Woman sich so rund anfühlt und das Feeling der frühen 90s widerspiegelt. Somit ist es eine völlig logische Konsequenz, daraus ein Musical zu machen. Einerseits sind die Fans der Materie ja schon alle da – besonders in der Zielgruppe Ü40 – andererseits sind viele Elemente schon im Film, die im Musical super passen: Süße Charaktere, erinnerungswürdige Musik und eine angenehme Portion Cheesiness.
2018 im Frühjahr in Chicago uraufgeführt, gelangt das Musical schon fünf Monate später an den Broadway. Ein Jahr darauf geht es schnurstracks Richtung Europa – jedoch nicht an den West End, sondern in den Hamburger Hafen. Im September 2019 startet die Premiere im Theater an der Elbe, Anfang März 2020 fällt dann noch der Startschuss in London. Beide Produktionen müssen Corona-bedingt nach wenigen Aufführungen vorübergehend beendet werden. Zwar möchte man in Hamburg ein Jahr später fortsetzen, das klappt wegen strenger Einschränkungen jedoch nicht, sodass das Musical nicht in die Hansestadt zurückkehrt.
Umso schöner, dass nun mit Limelight Live Entertainment – einem Tochterunternehmen von Semmel Concerts – ein Produktionsteam zugeschlagen hat, um Pretty Woman nach nicht einmal einem halben Jahr Spielzeit nach Deutschland zurückholt, gleichzeitig aber hierzulande auch noch erstmalig auf Tour schickt. Zwölf Städte werden bei uns, aber auch in Österreich und der Schweiz bereist. Einige Stopps sind nur wenige Tage, manchmal gastiert Pretty Woman aber gleich einen ganzen Monat. Oberhausen, wo die Tournee beginnt, reagierte so positiv auf den Vorverkauf, dass sie hier sogar in wenigen Monaten einen zweiten Halt einlegt – der erste Leg mit gerade einmal 13 Spieltagen wurde eindeutig als zu kurz zurückgemeldet.
Zur großen Premiere am 30.10., einem Donnerstag, ist das Theater, das erst vor einem Jahr nach einer elendig langen Pause wiedereröffnet wurde, bis zum letzten Platz voll. Ein Teil davon sind Menschen, die die begehrten Tickets rechtzeitig ergattert haben, ein anderer ist eine dicke Rutsche an Pressegäst*innen und geladenen Promis wie Sky du Mont. Das Medienecho ist groß, die Laune angenehm gut. Mit gerade einmal einer kleinen Verspätung von zehn Minuten geht es nach zwei vorangegangenen Preview-Shows am Dienstag und Mittwoch um 19:40 Uhr los.
Das erste Manko fällt auf, da hat das Stück leider noch gar nicht richtig begonnen. Der Bühnenaufbau – ein mehretagiges Gerüst, das im Laufe des Stücks vielfältig eingesetzt wird und mal Bordell, mal Hotel, dann aber auch Opernhaus darstellt – verdeckt die LED-Wand im Hintergrund. Die wird zwar nur vereinzelt eingesetzt, allerdings ist der Schriftzug Pretty Woman nur logisch im Kopf ergänzbar, so viele Buchstaben sind nicht zu sehen. Später, zum Beispiel in der Opernszene, erscheint eine Projektion mit venezianischen Masken, aber auch die wirkt eher wie ein brüchiges Bild.
Doch gut, das ist zu verkraften. Wesentlich stärker ins Gewicht fällt der anfangs wirklich enorm schlechte Sound. Mindestens die ersten zehn Minuten kommt die sechsköpfige Liveband so mies rüber, dass man das Gefühl hat, hier läuft die Musik vom Band. Sehr verwaschen, viel zu leise. Das legt sich glücklicherweise im Laufe des Stücks, sodass die passende Lautstärke und die passende Abmischung doch noch erreicht wird. Doch trotz zweier Previews wird am Mischpult mehrfach geschlafen: Mehrfach sind Mikrofone der Solist*innen zu spät an.
Was besser funktioniert: Die Arbeit des Ensembles. Besonders die Cast mit geringem Bühnenaufentahlt gibt sich sichtlich Mühe und legt sich bei den lässigen, aber durchaus energiereichen Choreos echt ins Zeug. Das macht Spaß beim Zusehen. Doch am Ende geht der Großteil des Musicals auf die Kappe von zwei Menschen: Shanna Slaap als Vivian und Mathias Edenborn als Edward. Beides in der Szene bekannte und beliebte Darsteller*innen. Gesanglich macht man dem Schweden Mathias Edenborn an dem Abend nichts vor, die besten Soli gehen alle auf ihn. Besonders in seinem „Freiheit“ und in der dazugehörigen Reprise gibt es tolle Momente, die innere Zerrissenheit darlegen und seinen Drang nach Ausbruch symbolisieren. Shanna Slaap ist besonders tänzerisch hervorstechend. In der Restaurantszene gibt es einige tolle Moves von ihr, die so sicherlich nicht alle Darstellerinnen hinkriegen würden. Stark. Dafür ist sie gesanglich oft nur solide und nicht enthusiastisch genug. Bis zu ihrem Solo „Kein Weg zurück“ kurz vorm Finale wartet man auf starkes Belting mit Attitüde, das an dem Abend ein bisschen zu spät kommt. Aber immerhin kommt es.
Allerdings fehlt es beiden vor allen Dingen an einem Aspekt: Zusammenspiel. Gerade schauspielerisch bleibt Pretty Woman zu stark zurück. Die sowieso schon eher maue Story, die wahnsinnig wenige Spannungsmomente besitzt, aber dafür eben durch ihr Knistern zwischen den beiden Hauptcharakteren lebt, funktioniert in der Bühnenfassung in Oberhausen zu wenig. Beide machen ihre Arbeit für sich betrachtet ok, in der Dynamik aber eher enttäuschend. Wirklich verliebt wirkt es leider nicht, mehr wie ein Heranwachsen des eigenen Ichs statt eines Zusammenwachsens und ein Wir. So kommen in der sogar für Musicalverhältnisse sehr dünnen Geschichte einige Längen auf – aus rund zwei Stunden Filmlänge werden 145 Minuten Produktion, die nach 80 Minuten von einer Pause unterbrochen werden, und locker eine halbe Stunde zu lang gehen.
Das fällt verstärkt durch das statische Bühnenbild auf. Auch wenn in der Requisite aufgefahren wird – allen voran im Kostüm – ist der Grundaufbau über das gesamte Stück derselbe. Und der ist eben auch etwas basic. Das ist nicht schlecht, aber gerade im Vergleich zu anderen starken Musicals, die gegenwärtig laufen, einen Hauch zu wenig. Auch die kultige Badewannenszene wirkt underwhelming, wenn aus einem übergroßen Jacuzzi plötzlich eine recht normale Wanne wird. Toll sind aber immer die Momente, in denen Shanna Slaap ein neues Outfit präsentieren darf und dafür gleich dreimal Szenenapplaus bekommt. Mehrere Kleider sehen echt schick aus.
Die Kompositionen, die übrigens unter anderem von Bryan Adams stammen, geben gewohnte Kost zwischen Pop und Rock. Vieles erinnert im musikalischen Aufbau an „Ghost – Nachricht von Sam: Das Musical“ , Highlights sind neben den zwei erwähnten das Liebesduett „Du und ich“ und „Rodeo Drive“, das von Vivians bester Freundin Kit performt wird. Übrigens: Sophie Reinicke als Kit ist am Abend das Zugpferd. Das liegt nicht nur an ihrem starken, aufmüpfigen Charakter, der für die meisten Lacher sorgt, sondern auch an ihrer echt starken Bühnenperformance. Sie könnte man sich richtig gut in der Hauptrolle vorstellen – Idee!? Weil es wie immer schwer fällt, an Songrechte zu kommen, schafft es von dem Soundtrack des Films nur der titelgebende Roy–Orbison-Classic ins Musical – und der kommt auch nur in der Zugabe dran. Äußerst schade, dass nicht zumindest noch „It Must Have Been Love“ von Roxette eingebaut werden konnte.
Letzte Auffälligkeit: Die Mehrheit der Cast sind keine deutschen Muttersprachler*innen. Das ist zwar keine Seltenheit, aber trotzdem bei dialoglastigen Szenen manchmal etwas hinderlich. Viele haben probiert, ihre Texte akribisch zu lernen, und dennoch fallen einige Wort- und Satzakzente komisch aus. Schön ist, dass Anhänger*innen der Filmvorlage immer wieder genau das zu hören bekommen, was Roberts und Gere auch in der deutschen Synchro von sich geben. Nostalgisch.
Irgendwie ist Pretty Woman – Das Musical nicht wirklich schlecht, aber leider auch in keiner Kategorie auffallend gut. Zusammenfassend fehlt es oft an Energie, Spannung und Tempo in der Erzählung plus an stimmiger Interaktion der beiden Hauptfiguren, die mindestens 95 Prozent Stagetime besitzen. Für kurzweilige Unterhaltung ist das völlig fein, allerdings stehen diese Spielzeit dermaßen viele spannende Premieren auf den Plänen, dass dieses Stück hier am Ende etwas hintenüberfällen könnte.
Weitere Termine:
28.10.25-09.11.25 Metronom Theater, Oberhausen
12.11.25-14.12.25 Deutsches Theater, München
17.12.25-10.01.26 Alte Oper, Frankfurt
13.01.26-18.01.26 Festspielhaus, Baden-Baden
27.01.26-01.02.26 Musical Theater, Basel (CH)
03.02.26-15.03.26 Metronom Theater, Oberhausen
17.03.26-22.03.26 Metropol Theater, Bremen
25.03.26-12.04.26 Museumsquartier, Wien (AT)
15.04.26-03.05.26 Admiralspalast, Berlin
27.05.26-07.06.26 Liederhalle, Stuttgart
09.06.26-21.06.26 Festspielhaus Neuschwanstein, Füssen
30.06.26-12.07.26 Opernhaus, Graz (AT)
14.07.26-09.08.26 Landestheater, Linz (AT)
Und so sieht das aus:
Foto von Christopher Filipecki
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