“Sticky ist kein Lockdown-Album, es ist ein Freiheitsalbum”, will Frank Carter die Fans vor Albumrelease wissen lassen. Im Falle des Duos aus der UK bedeutet diese Definition aber weder eine Abkehr von klassischen Pandemie-Themen wie Introspektive noch eine Rückkehr zu alten Laien. Mit ihrem vierten Album machen Frank Carter & The Rattlesnakes nämlich wieder alles so wie bisher auf jedem der drei Vorgänger: komplett neu. Wo das Debüt “Blossom” eine brachiale Naturgewalt war, ging das zweite Album “Modern Ruin” auf sphärischeren Pfaden. Und die letzte Platte “End of Suffering” setzte alles auf dicke Riffs für die Moshpits. Bei “Sticky” sind nun alle Zeichen auf einer ungewöhnlich schlagfertigen Melange aus Punk aus der Garage und Melodien für Stadien.
Auf den Punkt
Kein einziger Song auf diesem Werk überschreitet die Marke von vier Minuten. Und auch inhaltlich sind fast keine Schnörkel erlaubt – nehmen wir mal die kleinen Bläser in “Rat Race” außen vor. Stattdessen scheint ein klarer roter Faden durch die zehn Stücke gezogen worden zu sein. Der webt einfach an jede Stelle pumpende Basslinien, die die Hörer*innen mit kompromisslosem Grove in den Refrain katapultieren. Neu ist an dieser Stelle zudem die rotzige Punk-Attitüde, die in dieser Form bisher kein Teil des Duos war. Man könnte “Sticky” wegen dieser klaren Konturen vorwerfen, eine gewisse Monotonie hervorzurufen, ausbrechen wollen die Stücke nämlich alle nicht wirklich. Aber tatsächlich liegt genau in diesem Fokus die kernige Stärke der Platte: Alle zehn Stücke sind aufs Nötigste reduziert und wie für Live-Eskalationen gemacht. Vielleicht hängt diese Punktlandung auch damit zusammen, dass erstmals Gitarrist Dean Richardson selbst der ausführende Produzent war?
Gesang & Gebell
Einen nicht unwesentlichen Anteil an diesem doch recht neuen Destillat des alten Frank Carter-Sounds spielte eine Band, die nicht nur indirekt auf dem Album Platz findet. Frank Carter selbst gesteht, dass ein Auftritt der Idles ihn dazu gebracht hatte, seine eigene Männlichkeit zu hinterfragen und sich verstärkt für Mental Health Awareness einzusetzen. Er selbst habe im Punk-Kosmos seine Körpergröße und rote Haarfarbe mit seinen Tattoos und seinem aufmüpfigen Auftreten wett machen wollen – toxische Männlichkeit at its best. Nun singt Joe Talbot, Frontmann eben dieser Idles, im Hit des Albums “My Town” “You never talk about what’s deep inside” – so schließt sich hier der Kreis. In “Bang Bang” und “Go Get a Tattoo” bekommen die Rattlesnakes zudem Besuch von dem queeren Punk-Icon Lynks. Beide Stücke spielen mit Sprechgesang und dem kieksenden Gestus des Post-Punk. Der nächste Besuch – Cassyette – hilft den Rattlesnakes hingegen dabei, “Off with his Head” zum Stadion-Moment des Albums zu machen. Zu guter letzt springt Bobby Gillespie von Primal Scream im Closer “Original Sin” als Gewissen auf Carters Schulter und verleiht dem Narrativ etwas Tiefe.
So ist “Sticky” ein Album von kreativer Zusammenarbeit, von einer konzentrierten Kraft, die beinahe aus den Lautsprechern zu bersten droht. Die Platte will fraglos auf die Straße, aus tausenden Kehlen drängen, die ihre Freiheit feiern, ohne ihre eigenen mentalen Probleme zu leugnen. In den Stücken, in denen Carter alleine am Mikro steht, geschieht zudem etwas Bedeutsames: Er singt. Insbesondere im finsteren “Cupid’s Arrow”, aber auch im swingenden “Cobra Queen” wagt sich der sonst so bellende Frontmann an echte Melodien und siehe da: funktioniert sehr gut. “Sticky” ist deswegen eine Zusammenstellung von zehn Bangern, die ununterbrochen laufen dürften – insbesondere bis zur Tour im Februar, wenn sie endlich ihre Käfige verlassen dürfen. Großartig!
Das Album “Sticky” kannst du hier (Vinyl) oder hier (digital) kaufen. *
Und so hört sich das an:
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Frank Carter live 2022
- 26.01.2022 Live Music Hall, Köln
- 01.02.2022 Astra, Berlin
- 17.02.2022 Markthalle, Hamburg
- 18.02.2022 Backstage, München
Rechte am Albumcover liegen bei International Death Cult.
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