Durch den genre-untypischen Anteil an Gospel hat es fast den Anschein als würden die geschundenen Post-Punk-Seelen von Iceage endlich in den Himmel auffahren können – nur dass sie dabei in der abgeranzten Kneipe vor den Pforten hängenbleiben, um ihren Poetenherzschmerz mal wieder in viel Rotwein und Düsterromantik zu ertränken.
An hardcorelastigem No-Wave ausgetobt und ihrer Zerstörungswut Luft gemacht haben sich die Dänen schließlich schon genug auf ihrem Debüt „New Brigade“ und dessen Nachfolger „You’re Nothing“. Seitdem heißt es dem jugendlichen Nihilismus mit den wildesten Stilmixen Ausdruck zu verleihen. Das funktionierte schon auf „Plowing Into The Fields Of Love“ und „Beyondless“ unter Zugabe von Einflüssen aus etwa Folk, Psych, Garage, Blues, Gothic, Polka und halt immer wieder diesem Gospel für Gottlose, dem die Band diesmal eine ganze Reihe Songs widmet und dadurch ihre verletzlichen Texte schon fast versöhnlich klingen lässt.
Iceage trinken alles, was schmeckt
Anfangs scheinen die verklebten Augenlieder sich nur langsam zu öffnen, so bedächtig und langsam schleppt sich der Titeltrack sowie das darauffolgende „Love Kills Slowly“ von shoegazigen Soundkulissen über Americana-lastiges Gitarrenspiel in kathartischen Refrains, die gestützt von dem Lisboa Gospel Collective, beinahe himmlische Züge annehmen. Abgesehen von dem avantgardistischen Ansatz mag das zunächst wenig mit dem inflationär gebrauchten Post-Punk-Begriff zu tun haben, aber der mal ätzende, mal elegische und ständig lamentierende Gesang von Sänger Elias Bender Rønnenfelt trägt dann doch noch unverkennbar die Handschrift von Großmeister Mark E. Smith.
Wem das jetzt alles zu harmonisch klingt, hat aber Glück, Iceage haben schließlich den Punk in ihrer DNA. Auf „High & Hurt“ scheppert es nämlich gleich beherzt los und die Band lebt exemplarisch für das ganze Album einen gewissen Hang zu hymnischen Britpop und ausufernden Americana-Instrumentierung aus.
Weiterhin vereinen die Kopenhagener auf dem treibenden „Vendetta“ den ungehobelten Garage-Punk-Flair von den Black Lips mit dem Electro-Rock von Kasabian. Das loungige „Drink Rain“ erinnert stimm- und textlich an einen Pete Doherty, der fröhlich säuselnd, untermalt von Piano und inbrünstigen Blasinstrumenten, die Kings Road hinunterstolziert – nur um von dem Indie-Floor-Stomper „Gold City“ und dem vollmundigen „Dear Saint Cecilia“ mit seinem rockigen early Oasis-Gitarren-Sound empfangen zu werden. Letzterer Track wird begleitet von Rønnenfelts vielleicht klarsten Gesangseinlagen des Albums: „Reeeeed Wiiiiine“. Nach der kurzweiligen Party hängen die Augenlieder und auch der gesangsmüde Kiefer in „The Holding Hand“ wieder tief, bevor „Seek Shelter“ in einem infernalen Dröhnen verstummt.
Vorhänge zu und Kerzen an
Dem schrägen, atonalen, immer wieder unrhythmischen Zusammenspiel all dieser musikalischen Ansätze und der charakteristischen Intonation Rønnenfelts, machen es einem auf „Seek Shelter“ nicht unbedingt leicht, Anhaltspunkte in Form von erinnerungswürdigen Refrains, Melodien oder Hooks zu finden. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, denn die dichte Atmosphäre steht auf diesem Album im Vordergrund und schafft es durch ihre sogartige Wirkung Hörer*innen in ihren unverhofft warmen Strudel aus Nostalgie und Melancholie zu ziehen.
Das könnte wohl auch eine der Motivationen bei den Aufnahmen gewesen sein, denn zusammen mit Peter Kemberalias Sonic Boom – dem Co-Frontmann der legendären Spacemen-3 – verschlug es Iceage in ein heruntergekommenes Vintage-Studio in Portugal. Dort soll das Dach so undicht gewesen sein, dass die Band ihr Equipment um Pfützen herum arrangieren musste. Währenddessen mussten die Auffangbehälter mit Stoffstücken versehen werden, um das Prasseln des Regens bei den Aufnahmen zu kaschieren. Kember, der nebenbei bemerkt der erste externe Produzent der Gruppe überhaupt ist, sorgte dann noch höchstpersönlich mit Gartenlampen aus einem nahegelegen Partyladen für die passende Stimmungsbeleuchtung.
Das alles geht dann Hand in Hand mit dieser erschlagenden Soundwand wie sie auch von dem Spacemen-3-Debüt „Sound Of Confusion“ hätte stammen können. In Verbindung mit dem unverkennbaren Iceage-Charme und den mal hedonistischen, mal poetischen Texten scheinen auch die neuen Stilumbrüche der immer noch jungen Kopenhagener aufzugehen. Damit sich dieses sehr wohl gelungene Konzept nicht so schnell abnutzt, kann beim nächsten Mal aber gerne auf etwas weniger Düsterromantik gesetzt und die Hitdichte noch etwas hochgeschraubt werden.
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