Mika – My Name Is Michael Holbrook [Doppel-Review]

„Relax, take it ea-ea-sy“ – gebt zu, Ihr habt es gesungen und nicht gelesen. Nach einigen Jahren Abstinenz stellt uns Mika seinen fünften Longplayer vor. Alina und Christopher sind beide Fans der ersten Stunde und haben die neuen Songs für euch auseinander genommen.

Alina hat gemischte Gefühle:

“Grace Kelly”, “Happy Ending”, “Relax, Take It Easy” – im Jahr 2006 verzauberte Michael Holbrock alias Mika die Musikwelt mit einem bestechend guten Sound, einer außergewöhnlichen Stimme und Pop, der sich deutlich vom Einerlei abhob. Sein Debütalbum „Life In Cartoon Motion“ bescherte dem libanesisch-britischen Sänger einen kometenhaften Aufstieg. Dieser krönt sich mittlerweile in Mikas fünftem Studioalbum My Name Is Michael Holbrook.

Was Mika besonders gekonnt kreiert, sind tolle Pop-Songs, die nahezu spannend daher kommen. Er mixt unheimlich viele Genres miteinander, probiert und experimentiert viel und schafft damit immer wieder einen besonderen Sound. Dies ist auch auf den dreizehn Tracks auf My Name Is Michael Holbrock deutlich zu vernehmen. Mika spielt mit der Musik, schafft spannende Arrangements und eine große Vielfalt. Kein Song klingt wie der andere. Im Fokus des Ganzen steht Mikas außergewöhnliche Stimme, die herausragend besonders daher kommt. Gerade die hohen Töne sind es, die eben diese Besonderheit ausmachen. Untermalt wird dies vor allem in Balladen wie dem Song „Paloma“, den Mika über den Sturz seiner Schwester aus dem vierten Stock ihrer Wohnung, verfasst hat. Sehr harmonisch und mit vielen Emotionen schafft Mika hier einen packenden Song, der auch von den zusätzlich eingesetzten Chorgesängen profitiert.

Seine Wandelbarkeit beweist Mika nicht nur durch die sehr unterschiedlichen Stilrichtungen der Songs, sondern auch durch seine Texte. Diese sind auf My Name Is Michael Holbrook sehr persönlich, was sich alleine schon durch den Titel des Albums ergeben sollte. Mika betitelt seine Homosexualität, Fantasien, Emotionen, Ängste und selbstverständlich auch die Liebe. Herausstechen vermögen hier vor allem die etwas ruhigeren Songs wie „I Went To Hell Last Night“. Lieder wie „Dear Jealousy“ ecken hingegen etwas an, sind nicht immer so stimmig und wirken nach dem mehrmaligen Hören fast schon nervig. Besonders hervorgehoben werden sollte aber der Opener des Albums „Tiny Love“, der nur so von Stärke und Wandelbarkeit strotzt. Mika schafft an dieser Stelle ein grandioses Arrangement, welches nicht umsonst als sein ganz persönliches „Bohemian Rhapsody“ betitelt wird.

Leider schafft gerade die Vielseitigkeit des Albums aber auch einige Stolpersteine. So außergewöhnlich die Songs auch daher kommen mögen, so wenig fließend sind die Übergänge des Albums. Es passt nicht alles zusammen, wirkt oftmals einfach zu viel. Selbst Mikas Stimme kann diese Tatsache nicht retten. Dadurch geht insgesamt der Charakter des Albums sprichwörtlich flöten. Auch vermag My Name Is Michael Holbrook zwar gute Songs beinhalten, wirklich herausstechen schaffen es aber nur sehr wenige. Gerade wenn man an frühere Hits von Mika wie „Happy Ending“ denkt, schafft es sein neues Album nicht an solche catchy und einprägsamen Songs heranzukommen.

In der Vergangenheit hat Mika immer wieder bewiesen, dass Pop alles andere als langweilig sein muss. Eben dieses Prinzip setzt er auch auf My Name Is Michael Holbrock fort. Er kreiert super arrangierte Songs, beweist textlich großes Feingefühl und zeigt viele Emotionen auf – wirklich stimmig ist das Ganze aber nicht. Zu groß sind dafür die Unterschiede zwischen den einzelnen Liedern und zu groß auch der Faktor, dass man die Songs ganz schnell wieder vergisst. Sicherlich ist der Sound von Mika absolut geschmacksbedingt – von daher wird wahrscheinlich für jeden etwas dabei sein. Dennoch sind es gerade die ruhigeren Töne, bei denen Mika zu strahlen beginnt.

Christopher ist noch etwas strenger:

Die Rückbesinnung auf das eigene Ich. Ungefähr so könnte man den neuen Albumtitel von Mika verstehen. My Name Is Michael Holbrook schimpft sich das fünfte Werk des im Libanon geborenen, aber in England ansässigen Musikers, das über vier Jahre auf sich warten ließ.

Vor mittlerweile zwölf Jahren gab es kaum ein Entkommen. Egal ob „Grace Kelly“ oder „Relax, Take It Easy“ – die beiden ersten Singles aus dem Debüt „Life In Cartoon Motion“ waren in aller Ohren. Und zwar mit Recht. Der einzigartige, durchgeknallte und vor allen Dingen extrem spaßige Sound traf genau den Nerv der Zeit, suchte seinesgleichen und brachte Mika bei uns Gold ein. In seiner Heimat wurden sechs (!) von zehn möglichen Titeln aus dem Longplayer ausgekoppelt und ausnahmslos jeder Track stand mindestens fünf Monate in den Charts. Das Album platzierte sich in UK fast zwei Jahre in den Verkaufslisten und auch bei uns war Platin angesagt.

Doch dann war leider schnell der Bedarf gedeckt. Zwar hielt der zwei Jahre später veröffentlichte Nachfolger „The Boy Who Knew Too Much“ die qualitative Messlatte noch ungefähr auf gleicher Höhe, nur die Verkaufszahlen sanken spürbar. Mit der dritten Platte „The Origin Of Love“ versuchte sich Mika an einem neuen Sound, der keinesfalls schlecht war, aber beim Publikum gnadenlos durchfiel. Der vorerst letzte Versuch namens „No Place Like Heaven“ wiederholte die Bauchlandung im Jahr 2015, obwohl der Sound zurück zu den Wurzeln ging, aber wie eine schlechte Kopie klang.

2019 also mehr Ich als Ihr. My Name Is Michael Holbrook stellt Mikas Gedankenkarussell der letzten Jahre dar und thematisiert u.a. sein langwieriges Outing und den damit verbundenen Struggle. Musikalisch pendeln sich die 13 Songs irgendwo zwischen allen Alben ein und liefern ein paar, aber leider zu wenige gute Lieder. Ganz besonders der Aspekt des Overactings und des Muts zum Anecken, sowie das Händchen für durchschlägige Melodien fehlen zuhauf.

Irgendwie ist einfach die Luft raus. Mika serviert keinerlei schlechte Kost, aber eben stark berechenbare. Dabei ist der Anfang doch vielversprechend: „Ice Cream“ ist zwar keine wirklich neue Idee, aber dafür nach dem zweiten Durchlauf ein so böser Ohrwurm, dass einem wenig anderes übrigbleibt, als den lasziv-zweideutigen Song den ganzen Tag zu singen und sich beim Hüfte schwingen zu ertappen. Gleiches gilt für das leicht düstere, aber doch modern klingende „Dear Jealousy“. Das hat Hitpotenzial.

Dem entgegen stehen einige stets bemühte, aber dennoch wenig zündende Kompositionen. „Tiny Love“ probiert als Opening durch ständige Tempo- und Stimmungswechsel groß aufzufahren und musicalesque zu wirken, stockt aber dank eines nicht vorhandenen roten Fadens und bleibt gänzlich unbeachtet. In „Paloma“ wagt sich Mika an Rumba-Rhythmen und präsentiert schöne Melodiebögen, verweilt aber weit hinter berührend-epischen Momenten wie in einem „Happy Ending“ (2007). „Tomorrow“ erinnert kurz an „Relax, Take It Easy“, soll dank „Who gives a shit about tomorrow“-Hook mitreißen und frech klingen, entspricht aber nur nettem Trallala-Pop. „Platform Ballerinas“ und „Stay High“ sind der Tiefpunkt und drehen gehörig an der Nervenschraube.

Die größte Neuigkeit neben alldem Bekannten: es gibt ein Duett. Mika wagt erstmalig einen Gastmusiker einzuladen und wählt mit dem ebenfalls aus England stammenden Jack Savoretti ein perfektes Feature. Zwei Stimmen, die harmonieren, und in „Ready To Call This Love“ zwar keine weltbewegende Nummer, aber immerhin den emotionalsten Moment kreieren. Dafür flutschen „Cry“ und „I Went To Hell Last Night“ nahezu unbeachtet durch die Ohren durch. Mika wäre bei Hörern früher viel passiert – aber das definitiv nicht.

Es ist eigentlich schwer über die Lippen zu bringen, aber Mikas Zeit ist vorbei. Einst ein wirklich spannender Wind in der Popszene, schnell jedoch Schnee von gestern ohne ein weiteres Ass im Ärmel. Auch auf My Name Is Michael Holbrook serviert das 36-jährige Genie der Stimmakrobatik nette Liedchen, die Fans für einige Tage zufriedenstellen sollten, aber leider ansonsten kaum jemanden interessieren werden.

Das Album kannst du hier kaufen.*

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