Rafael Schmauch – Battlerap. Die Kunst der Beleidigung (Buch)

Manchmal erscheint ein Buch genau zur richtigen Zeit. Auf den letzten Seiten seines Buches Battlerap. Die Kunst der Beleidigung beschreibt Autor Rafael Schmauch eben diese Sprachkunst als ein „noch viel zu wenig bekannte[s] großartige[s] Spiel“. Schmauch, selbst in Battlerap-Kreisen bekannter Sprachkunst-Artist, der unter dem Synonym Papi Schlauch auftritt, konnte bei Abgabe und Fertigstellung seines Manuskripts selbst noch nicht wissen, dass der Episode Battlerap in Deutschland nur wenige Wochen nach Veröffentlichung ein weiteres Kapitel hinzugefügt wird. Ein solches Kapitel, dass genau diesen Schritt gehen könnte, Battlerap zu einem durchaus viel bekannteren großartigen Spiel zu machen. Warum ist das so?

Vor drei Wochen stellten sich Davie Jones und BEASTBOY in einem Battle, dass schon jetzt als legendär gilt. Die Auseinandersetzung der beiden Battlerapper hat in wenigen Tagen (genau genommen 9) sämtliche Aufrufrekorde des YouTube-Channels von Don’t Let The Label Label You (bekannteste deutsche Rapbattle-Marke) gebrochen und damit ein anderes Rapbattle überholt, dass für sage und schreibe neun Jahre das erfolgreichste Video des Kanals darstellte. Wie langlebig dieser Aufmerksamkeitsboost dem Battlerap in Deutschland und auch ganz direkt der Marke Dltlly helfen wird, ist noch nicht abzusehen. Ein gigantischer kurzfristiger Aufmerksamkeitsboost ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Rafael Schmauch kann sich also sicher sein: Er hat das richtige Buch zur richtigen Zeit geschrieben.

Aber fangen wir mal ganz vorne an: Rafael Schmauch legt mit Battlerap. Die Kunst der Beleidigung das erste Buch vor, dass sich die Mühe macht die Entwicklung des vorgetragenen Battleraps in Deutschland zu beschreiben und einzuordnen. Dabei beginnt Schmauch zunächst damit die historischen Entwicklungen nachzuzeichnen. Mit Vorbildern aus anderen Ländern wird sich gar nicht lange aufgehalten, sondern eher die Ursprünge in Deutschland in den Fokus gerückt. Los ging alles mit der Agentur Out4Fame Entertainment, die 1998 u.a. zur Produktion von Hip-Hop-DVDs gegründet wurde. Out4Fame organisierte überall in Deutschland nach und nach kleinere Battlerap-Formate, die den ersten Grundstein legten für eine Battlerap-Kultur, die noch absolut in ihren Kinderschuhen steckte. Schmauch dokumentiert, wie die ersten zarten Versuche dieser Kunstform in Deutschland mal besser mal schlechter funktionierten. Eine Sache hat sich aber im Wesentlichen bis heute nicht geändert und war auch in der damaligen Zeit schon elementarer Bestandteil der Battlerap-Formate wie bspw. Feuer über Deutschland, die von Out4Fame ausgerichtet wurden: Battlerap, das ist die Gegenüberstellung zweier „Gegner“, die sich auf möglichst kreative – teils auch martialische – Art und Weise mit Worten gegenseitig beleidigen, um die Gunst des Publikums und/oder einer Jury für sich zu gewinnen.

Rafael Schmauch arbeitet auf 117 Seiten des insgesamt 246 Seiten umfassenden Buches die Geschichte des deutschen Battleraps auf, diese historische Einordnung nimmt also einen großen Teil ein. Da sich der Battlerap in Deutschland aber stetig weiterentwickelt hat, ist das durchaus unterhaltsam zu lesen und lohnenswert für Fans, die mit Sprachkunst und Rapmusik etwas anfangen können. Für alle anderen dürfte dieses Buch sowieso grundsätzlich eher uninteressant sein. Der Leser und die Leserin lernen die verschiedenen Entwicklungsschritte kennen, wie sich mit Rap am Mittwoch nach den anfänglichen Versuchen von Out4Fame ein Format herausbildet, dem es regelmäßig gelingt, hunderte Menschen in verschiedenen Clubs des Landes zusammenzubringen, die live dabei sein wollen, wenn sich inzwischen herausgebildete Szenegrößen battlen oder spannende Newcomer*innen ihre erste Performance abliefern. Rap am Mittwoch ist auch das Format, dem es zum ersten Mal gelingt die Battlerap-Formate via YouTube auch erfolgreich ins heimische Wohnzimmer zu bringen, wodurch sich nicht nur eine größere Fanbase gewinnen lässt, sondern auch andere monetäre Einnahmen, die letztendlich der Professionalisierung des Battleraps zu Gute kommen. Weiter zeichnet Rafael Schmauch den Weg bis zu Don’t Let The Label Label You, der bis heute erfolgreichsten Battlerap-Marke in Deutschland. Natürlich dokumentiert der Autor, die einzelnen Wegmarken des Battleraps nicht in eiserner Chronistenpflicht, sondern ordnet auch unterhaltsam die legendären, absurden und skurrilen Battles, Momente und Situationen ein. Hierzu zählt beispielsweise die legendäre Auseinandersetzung von Laas Unltd. und Drop Dynamic, aber auch namhafte Battelrapper wie Ssynic, Bong Teggy, Fresh Polakke oder auch Rapper, die ihre Anfänge im Battlerap machten und danach eine richtige Rap-Karriere starteten wie Capital Bra, Finch Asozial oder Karate Andi finden Erwähnung. Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie das Buch bei mir direkt das Interesse geweckt hat, entsprechende Battles ansehen zu wollen, so dass der Transfer vom gelesenen Buch zum YouTube-Video hier wunderbar funktioniert. Im Grunde hätte man der Einfachheit halber sogar direkt QR-Codes zu den Battles einbinden können.

Rafael Schmauch belässt es in seinem Buch nicht allein bei der historischen Erzählung, viel mehr ist das Buch zusätzlich wie ein Lexikon aufgesetzt: Schmauch erklärt die Entstehung der verschiedenen Formate und Kunstarten, die inzwischen im Battlerap bekannt sind. Ob 2on2s, On Beat, Compliment Battles oder Badbar Battles – die verschiedenen Spielformen werden den Lesenden nahegebracht und mit Beispielen unterlegt. Verwendete Fachbegriffe werden in einem umfangreichen Glossar am Ende des Buches zusammengefasst. Schmauch probiert sich darüber hinaus auch an einer allgemeinen Theorie der gereimten Beleidigung. Auch dieser Teil ist trotz Theorie unterhaltsam, da die Beispiele von bestimmten Zeilen einfach lustig sind – zumindest für alle, die Rap etwas abgewinnen können.

Schlussendlich duckt sich das Buch auch bei den schwierigeren Themen nicht weg. Wenn ich mich daran erinnere, welche Battles ich selbst bei Rap am Mittwoch früher gefeiert habe, fallen mir auf Anhieb einige Zeilen ein, die ich heute nicht mehr so lustig finde. Lassen wir die Debatten über Wokeness und „Was darf Kunst“ mal beiseite – aber die Welt dreht sich nun einmal weiter und nicht jede Zeile, die 2010 cool war, ist es heute noch. Gerade im Battlerap sind viele Texte auch Ausdruck der Zeit, in der sie geschrieben wurden. Rafael Schmauch spart dieses Thema nicht aus. Stattdessen kann er anhand der Entwicklung von Texten im Battlerap sogar aufzeigen, wie sich Diskussionen um strittige Texte, die rassistische, homophobe oder sexistische Elemente enthalten, weiterentwickelt haben ohne eine endlose moralische Debatte auszufechten. Im Wesentlichen sind viele solcher stumpf beleidigenden Zeilen zwar rassistisch, homophob und oder sexistisch – im künstlerischen Sinne aber zusätzlich inzwischen auch einfach langweilig, eben weil sie schon in der Vergangenheit gebracht wurden und aus der Zeit gefallen sind. Das führt dazu, dass solche Textzeilen heutzutage eher seltener in Battleraps zu hören sind und wenn, werden sie von der Gegenseite häufig direkt aufgegriffen. Nicht selten ist es schon passiert, dass eine solche Verunglimpfung wie ein Boomerang doppelt und dreifach zurückkam. Insofern hat sich der Battlerap von derlei Rapkunst gewissermaßen selbst emanzipiert.

Rafael Schmauch hat mit Battlerap. Die Kunst der Beleidigung ein stimmiges Buch vorgelegt, dass vielleicht dabei helfen kann, dass das Thema Battlerap mehr aus der Nische herauswandert und den gängigen Battlerapformaten neue Zielgruppen erschließt. Der richtige Zeitpunkt der Buchveröffentlichung ist schon einmal gelungen.

Eindrücke aus dem Buch:

Mehr Informationen hier.

Die Rechte am Buchcover liegen bei Venti Verlag/Rafael Schmauch.

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