Robbie Williams – XXV

Ist Robbie Williams auserzählt? Ein wenig hat man in den letzten zehn Jahren genau diesen Eindruck bekommen. Der kommt auch nicht von irgendwoher, waren nämlich die 2010er im Vergleich zu den 1990ern wenig und im Vergleich zu den 2000ern noch weniger das Jahrzehnt des extravaganten Entertainers, der immer noch zu den erfolgreichsten britischen Soloacts aller Zeiten gehört. Aber warum auch in den Sack hauen, wenn der Backkatalog mittlerweile dermaßen viel hergibt, dass es auch produktivere Wege gibt, auf sich aufmerksam zu machen, als ständig irgendwas Neues zu komponieren?

XXV ist wohl genau das richtige Konglomerat, um all das auf einen Punkt zu bringen. Die römische 25 im Titel ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Stattdessen ist es tatsächlich schon 25 Jahre her, als Robbie Williams sich folgerichtig dazu entschieden hat, allein weiterzumachen und seine Boybandkarriere bei Take That hinter sich zu lassen. Die hielt im Vergleich übrigens gerade einmal sieben Jahre und drei Alben lang an – XXV ist hingegen Robbies Album Nr. 13.

Ja, tüchtig ist er wohl. Zwar nicht mehr ganz so wie in den ersten Jahren, als quasi jährlich eine neue Platte droppte, aber bevor sich das geneigte Radiopublikum fragt „Was macht denn der Robbie Williams eigentlich?“, kommt wie gerufen die nächste Ladung Hits angetrappt. Naja, zumindest war das halt bis Ende der 2000er so. Die liefen so gut, dass der 48-jährige in Staffordshire geborene Engländer gleich zwei Best-of-LPs veröffentlichte. 2004 ging das „Greatest Hits“ 6,2 Millionen Mal über die Ladentheke, „In and Out of Consciousness: The Greatest Hits 1990-2010“ knackte auch gerade noch so die Million, obwohl die Tracklist der ersten Best-of sechs Jahre später 1:1 auf der neuen landete, aber eben um 20 Tracks aufgepeppt wurde.

Im letzten Jahrzehnt ging es zwar mit zwei regulären Studioalben (2012/2016), einer Fortsetzung zum Swing-Giganten „Swing When You’re Winning“ namens „Swing Both Ways“ (2013) und einer in der Karriere vergleichsweise äußerst spät erscheinenden Weihnachtscompilation (2019) weiter, allerdings war vieles nur kurzzeitig von Interesse. Natürlich ging alles in der ersten Verkaufswoche stets stolz an die Pole sämtlicher Charts – bis auf das „Reality Killed The Video Star“ schaffte jedes seiner Alben Platz 1 im Heimatland UK; 12 der 14 VÖs inklusive „Greatest Hits“-Compilations schafften dies auch bei uns – nur das Radiopublikum, das nun mal einen Großteil der Williams-Fanbase ausmacht, hat das Interesse verloren. Lediglich zweimal gab es Top-10-Hits, drei Goldauszeichnungen in Deutschland, davon einmal aber als Feature bei dem Erfolgs-DJ Avicii („The Days“). Ist sonst irgendjemandem etwas im Kopf geblieben außer „Candy“ und „Love My Life“? Ok, uns auch nicht.

Dieser elendig lange Statistikkram ist nicht unwichtig, schaut man sich nun nach drei Jahren Pause das erste Lebenszeichen von dem abwechslungsreichen Sänger an, der einfach immer die passenden Songs mitbringt, um breit zu gefallen. XXV ist nämlich wieder mal eine Best-of-Compilation. Was zur Hölle? Das bereits erwähnte 39 Tracks umfassende Bombast-Spektakel auf zwei Datenträgern kam doch erst 2010, danach nur noch drei Lieder, die man kennt – ist das deren Ernst? Ja tatsächlich, denn obwohl das nach schierer Abzocke stinkt, ist der Inhalt zwar bekannt, aber das Erlebnis dennoch ein anderes: XXV sind die größten Hits seiner Karriere, ein bisschen etwas Neues, ein paar Fanfavoriten, aber alles neu eingespielt und eingesungen mit Orchester.

Reine RobbieWilliams-Anhänger*innen rasten aus, generell Musikinteressierte gähnen gelangweilt. Eine Retrospektive mit Orchester? Wow, tell me more. Es gibt unzählige Beispiele dafür, was für eine überflüssige Veröffentlichung dieses Retortenartige am Ende darstellen kann. Die einen legen ihre Hits im Akustikgewand neu auf, die da hinten machen ein wenig Orchester obendrauf, andere entscheiden sich für modernere Beats. Viel zu selten haben eben diese „Ich habe meine eigenen Klassiker nochmal ganz neu für mich entdeckt“-Schwafeleien Daseinsberechtigung und Substanz. Umso schöner, dass es XXV nicht zu einem ganz großen Wurf schafft, aber zumindest rund Zweidrittel des Inhalts echt gelungen klingen.

Wichtigster Faktor überhaupt: Robbie Williams hat selbst wieder im Studio gestanden und mit seiner gereifteren Stimme auch die 90s-Tracks neu eingesungen. Vieles davon ist einen halben bis einen ganzen Ton tiefer gestimmt, man ist eben auch nicht mehr der Allerjüngste und klingt vielleicht in den Höhen gedrückt. Eine sehr gute Entscheidung, sodass der Gesang und die erwachsen klingenden Orchester-Arrangements, eingespielt von dem dreifach Grammy-ausgezeichneten niederländischen Metropole Orkest, einfach viel besser matchen. Robbie klingt wie Robbie, aber mit einen Hauch weniger Theatralik. Etwas weniger Drama und Stadiongesang, etwas mehr Melancholie und Nostalgie. Bei den generellen Songaufbauten orientiert man sich jedoch stark an den jahrelang etablierten Studioversionen. Einiges ist in der Länge fast identisch, nur manches bekommt epochale Instrumentalparts.

Soundtechnisch ist die etwas andere Werkschau dadurch schon mal ein hervorragender Mittelweg aus „Den kann ich doch direkt mitsingen und habe jeden Takt im Ohr“ und „Ah, da ist aber etwas anderes, was ich erstmal neu einordnen muss“. So sollte es ja nun mal auch sein – genug Bekanntes, das im Langzeitgedächtnis festsitzt, etwas Neues, das sich nach einigen Runden eingliedern darf. Einige Titel sind zu nah am Original und bleiben dadurch unbeachtet, besonders aber die großen Rockballaden, die durch etwas schwermütige Lyrics auftrumpfen, kommen in den 2022er-Versionen richtig gut.

Weniger gut: Mal wieder die Verkaufspolitik. Man darf sich zwischen einer 18 Tracks umfassenden Standard und einer 29 Tracks umfassenden Deluxe Variante entscheiden. Klar, Fans nehmen das dicke Paket – aber es wird einem eigentlich auch kaum eine richtige Wahl gelassen. Nimmt man die schmalere Ausgabe, darf man von den vier neu komponierten Songs drei (!) erst gar nicht hören, „Candy“ als einer der zwei Erfolgssongs des letzten Jahrzehnts fehlt dann auch. Andererseits bekommt man auf der Deluxe eine zweite, nur minimal andere Version von „Angels“ geschenkt sowie noch zwei Hand voll aufgepimpter Albumtracks zuzüglich mit „Lazy Days“ und „Sexed Up“ mittelgroße Chartshits. Somit weisen beide Versionen Makel auf: Was der einen fehlt, hat die andere zu viel.

Inhaltlich gibt es erneut typisches Best-of-Material. Was von den großen Erfolgen fehlt: „Freedom“, „Old Before I Die“, „Radio“, „Rudebox“, „Somethin‘ Stupid“. Wäre letztes schwierig gewesen, neu zu besetzen, ist es jedoch besonders schade, dass die zwei kantigen und wenig feingeschliffenen „Radio“ und „Rudebox“ fehlen, welche mit Orchester wohl äußerst spannend geworden wären – oder eben auch einfach nicht umsetzbar waren, weswegen sie es womöglich nicht auf die Platte geschafft haben. Dass ein „Advertising Space“ jedoch die Chance noch mehr zu glänzen nicht bekommen hat, ist mehr als eine Fehlentscheidung.

Ansonsten ist das Hit-auf-Hit-Feuerwerk aber oft treffsicher. „Kids“ mit Kylie Minogue wurde tatsächlich 22 Jahre später erneut gemeinsam aufgenommen, und immer noch haben beide richtig Bock drauf. „Come Undone“ ist und bleibt eine wirklich fantastische Popnummer, die mit ihrem epischen Streicherintro und der dadurch entstehenden Broadway-Atmosphäre nun noch tiefer trifft. „The Road to Mandalay“ wurde quasi komplett umgekrempelt und hat plötzlich musicalesque Züge, zu denen sich fast schon langsamer Walzer tanzen lässt. „Rock DJ“ baut mit seinen Bläsern schwungvoll auf und hat im vollen Refrain swinging Vibes. „Tripping“ hat auf einmal etwas Bond-mäßiges mit leicht verzögertem Reggae-Beat in den Strophen. Waren etwas langatmige Songs wie „Eternity“ zuvor ein wenig kitschig, gewinnen sie durch das Orchester an notwendiger, authentischer Tragik. Chic.

Dem gegenüber stehen Titel, denen man zu wenig Neues abgewinnen kann: „Let Me Entertain You“ ist einfach so ausgenudelt, dass die minimale klangliche Veränderung es auch nicht aus der „Hab ich 1000x zu oft gehört“-Ecke hervorholt. „Candy“ war schon vorher Feel Good und würde dem Großteil nicht mal als neue Version auffallen. Ein wenig zu viel in Disney-Tinktur getränkt wurde „She’s The One“. Von den vier Songs, die extra für XXV komponiert wurden, sticht kein einziger so richtig hervor. Die Leadsingle „Lost“ kommt nie zum Höhepunkt und plätschert wie ein Bächlein statt wie Stromschnellen, das Gleiche gilt für das öde vorgetragene „More Than This“. „Disco Symphony“ startet zwar mit einem richtig lauten Choral, wird dann aber im Refrain mit seinen rudimentären Lyrics schon fast trashig. Am besten schneidet „The World and Her Mother“ ab, das immerhin im Midtempo-Pop-Instrumental ganz ok anzuhören ist.

Trotzdem macht das Neuste von Robbie Spaß zu hören. Ähnlich wie er darf man ein wenig nostalgisch auf 25 Jahre Leben zurückblicken und in Erinnerungen kramen, um herauszufinden, was man mit welchem Song nun verbindet. Einiges sticht sehr positiv hervor, manches singt man aus Gewohnheit mit und ein Teil bleibt ohne erwähnenswerte Details. Durchhören lohnt, um zu entscheiden, ob es einem der Kauf wert ist oder es auch reicht die wirklich schönen, neu arrangierten Highlights in der Playlist abzuspeichern.

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