Jin, Jiyan, Azadî – die Musik der iranischen Revolution

Im September 2022 wurde Jina Mahsa Amini in Teheran von der Sittenpolizei der Islamischen Republik Iran ermordet, weil Haarsträhnen aus ihrem Kopftuch herausschauten. Dieser gewaltsame Tod der kurdischen Iranerin zog eine Protestwelle durch das Land nach sich, die angesichts des herrschenden Regimes auf radikale Maßnahmen setzt. Aus den Protesten wurde schnell eine ganze Revolution. Bilder wie das kollektive Ablegen von Kopftüchern und anhaltenden Protesten trotz der drohenden hohen Strafen durch ein brutales Regime gehen um die Welt. Dabei steht „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) für die kurdische Frauenbewegung, die sich seit Jahren mit den Missständen auseinandersetzt.

Die Proteste halten an, die Maßnahmen der Regierung auch, die internationale Berichterstattung und politische Bemühungen katastrophalerweise nicht. Gerade jetzt ist die Unterstützung von Aktivist*innen aber von enormer Bedeutung. Supportet Accounts und Stimmen von Personen und Organisationen wie Düzen Tekkal, Enissa Amani, Jasmin Shakeri oder Hawar Help – aber nutzt auch eure eigenen Ressourcen, um euch auf dem Laufenden zu halten.

In absoluter Solidarität mit der Revolution setzen wir hier den Fokus auf das, was unseren Blog ausmacht: Musik. Musik, die in Extremsituationen gleichzeitig eine ähnliche und doch eine ganz andere Bedeutung hat als in Zeiten und Räumen des Friedens. Sie verbindet, bestärkt, ermutigt. Wir stellen euch 10 Songs vor, die die Proteste in besonderem Maß begleiten und prägen oder thematisieren.

Toomaj Salehi – Meydoone Jang

Im Herbst 2022 wird der iranische Rapper Toomaj Salehi während der massiven Proteste in Iran festgenommen. Er wird zu einer Haftstrafe von 6 Jahren verurteilt. Zuvor hatte er in seinen Texten immer wieder auf die politischen Missstände im Land aufmerksam gemacht. „Meydoone Jang“ ist einer der vielen Songs des Rappers, die die Revolution unterstützen.

Aus dem Persischen übersetzt heißen Textzeilen hier so viel wie „It’s the battle field, come that it’s time to attack into the foe’s heart witout any fear“ oder „Whatever idea and faith you have, stand with us, we already stood with you for years / We’re the furious shout of thousand silent ones / rebel isn’t enough, we’ve a revolutionary root“. Salehi war schon seit 2017 als Rapper bekannt – mit seinen Songs erreicht er online regelmäßig 100.000 Views.

Saman Yasin – Haji

Dem kurdischen Rapper Saman Yasin steht nach seinen Protesten gegen das Regime eine ganz ähnliche Situation bevor wie auch Salehi. 2022 wird er festgenommen, im Anschluss sogar zur Todesstrafe verurteilt. Vorerst wurde dieses Urteil durch eine Berufung wieder zurückgenommen – die Lage bleibt aber wie bei allen Inhaftierten des Landes kritisch.

Schon vor diesem Song war Yasin von der Sittenpolizei verhaftet worden, „Haji“ sprach die Umstände dieser Verhaftung dann radikal detailliert an. Zeilen wie diese – eine grobe Übersetzung ins Englische aus dem Kurdischen Dialekt von Farsi – machen das deutlich: „They’ve turned me crazy. / They’ve searched me. / They treat me like an animal“.  Aber auch in Bezug auf der Situation der Frauen in Iran bezieht der Song klare Stellung: „The era is just beginning. / Our eyes are open now. / Anyone who comes for my girls are going to be targeted.“

Faravaz Farvardin – Naft To, Khoon-e-Man-E

1990 geboren in Teheran, verließ die Musikerin Faravaz Farvardin 2022 Iran und immigrierte nach Deuschland, genauer: Berlin. Von dort aus setzt sich Favardin als Aktivistin permanent und radikal für die Situation der Frauen in Iran ein. Mit der Kampagne „Right to Sing“ setzt sie sich politisch für das Recht auf Gesang für Frauen ein – diese könnt ihr hier unterstützen. Farvardin wurde in Iran selbst auf Grund ihres Gesangs vor Gericht gestellt.

„Mullah“ ist nur einer von vielen Songs, mit dem die Iranerin mit der explosiven Mischung aus Rap, Pop und expliziten Lyrics gegen jegliche Regeln aufbegehrt, die das Regime für Frauen durchsetzen will. Statt dem „Mullah“-Regime ergeben zu sein, singt sie: „Wanna come with a mullah, in the sun with a mullah / Wanna whip, be my bitch point a gun to a mullah.“

Googoosh, Leila Forouhar, Shahrzad Sepanlou, Shohreh Aghdashloo, Sogand & Darya Dadvar – Dobareh

Eine große Hymne der Revolution baut auf einer großen Zusammenarbeit: Googoosh, einer der bekanntesten Pop-Sängerinnen in Iran versammelt dafür fünf weitere Musikerinnen. Alle sind in Iran geboren, aber aus politischen Gründen ins Exil gegangen. Dazu gehören die Sängerinnen Leila Forouhar und Shahrzad Sepanlou sowie die Schauspielerin Shohreh Aghdashloo, die mittlerweile alle in den USA leben. Ebenfalls zu hören sind Rapperin Sogand und Sopranistin Darya Dadvar, die in Frankreich leben.

Der gemeinsame Song ist ein Konglomerat aus folkloristischen und modernen Sounds und richtet seinen Dank an die Kämpferinnen der Revolution im Land. Zeilen wie „In a land where battles are fought by men / You stood up for my right to be a woman / I have faith in your future and your generation“  oder „My Iran – the torture chamber of the innocent“ sind so kraftvoll wie bewegend.

Liraz Charhi – Azizam

Als Tochter persisch-jüdischer Eltern ist die israelische Sängerin Liraz dem heutigen Iran tief verbunden. Für ihr aktuelles Album „Roya“ hat sie sich nun neben einer sechsköpfigen Band aus Israel auch mit einer Handvoll befreundeter iranischer Musiker*innen zusammengetan. Gemeinsam hatten sie bereits auf dem Vorgänger „Zan“ musiziert, damals jedoch aus Angst vor der iranischen Geheimpolizei nur anonym und ohne Kamera per Internet.

„Azizam“ und die anderen Songs des 2022 erschienenen Albums entstanden nun bei gemeinsamen Aufnahmen in Istanbul. Im Song selbst geht es um die Verbindung zu ihren iranischen Freund*innen in Zeiten großer Gefahr, aber auch der tiefgehenden Freundschaft zueinander und allen positiven Dingen, die dazu gehören.

Shervin Hajipour – Baraye

Die Ballade „Baraye“ zählt als inoffizielle Hymne der iranischen Revolution und wurde Millionenfach auf den unterschiedlichsten Netzwerken aufgerufen. Geschrieben und veröffentlicht hatte sie der iranische Musiker Shervin Hajipour. Hajipour griff für den Text auf die Kommentar-Spalten sozialer Netzwerke zurück – und fasst damit die verschiedenen Gründe zusammen, warum Personen sich den Protesten anschlossen.

Während der Song seinen Lauf nahm und hundertfach von Musiker*innen von der ganzen Welt gecovert wurde (darunter Coldplay, Nico Santos und Ben Salomo), nahm die iranische Sittenpolizei Hajipour fest und sorgten dafür, dass er die originale Version löschte. Natürlich war es dann schon zu spät – und „Baraye“ blieb. Bei den Grammy Awards 2023 wurde der Song schließlich in der neuen Kategorie „Best Song For Social Change“ ausgezeichnet.

Ali Azimi ft. Golshifteh Farahani – Marze Por Gohar

In diesem Duett treffen der in iranisch-stämmige Sänger Ali Azimi und die erfolgreiche Schauspielerin Golshifteh Farahani aufeinander. Zwar erschien ihr gemeinsamer Song bereits 2020, doch „Marze Por Gohar“ ist inhaltlich so aktuell wie nie.

Der Song nimmt Bezug auf die ehemalige Nationalhymne Irans „Ey Iran – Ey Marze Por Gohar“ des Musikers Rohollah Khaleghi und ruft zum Widerstand für das geliebte Land auf: „We have seen enough wars , we have suffered enough / We no longer listen to this lunacy“ und „Hey wolf, your hunting ground is not here / In this treasured land“.

Mehdi Yarrahi – Soroode Zan

Nur 18 Tage nach dem Tod von Mahsa Amini erschien mit „Soroode Zan“ („Woman’s Anthem“) der Song des iranischen Musikers Mehdi Yarrahi, der von Mona Borzouei geschrieben wurde. Borzouei wurde für diesen Song festgenommen, nach acht Tagen jedoch wieder freigelassen.

Im Song treffen verschiedene Chöre aufeinander, der große Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ trägt das Stück immer weiter. Mit Hunderttausenden Aufrufen auf den verschiedensten sozialen Netzwerken ist der Song zu einem der größten der Revolution geworden.

Golazin Ardastani – Hagham-e

„The Islamic Republic must be afraid of my generation. We’ll fight the regime“, sagt Golazin Ardestani und wurde damit schnell zu einer der bekanntesten Gesichter der Revolution. Mittlerweile leb Ardastani in London, sie war jedoch Mitglied der ersten All-Female-Band Irans.

Mit „Hagham-e“ veröffentlichte die Aktivistin eine feministische Hymne, die vor Pop-Beats und großen Chören klare Parolen formuliert:  „What I choose to wear should be a question of taste, not a law / This is a very simple right“ oder „You, who are so afraid of my hair / Who is the weak one? / Me or you, who does not have my courage?“ (aus dem Persischen übersetzt).

Mina Richman – Baba said

Mit „Baba said“ bringt Mina Richman die Generationen zusammen. Das lyrische Ich berichtet hier von der eigenen Tante, die das Kopftuch früher noch jahrzehntelang stolz trug – bei der aktuellen Situation aber selbst auch dazu aufrufen würde, es ins Feuer zu werfen.

Den Wandel einer Kultur und ihrer Traditionen durch ein brutales Regime wird in diesem Song deutlich, aber auch der Zusammenhalt von Familien angesichts anhaltender Repressalien. Solidarität wird gemeinsam ausgetragen. Und Musik ist ein Teil von ihr.

Beitragsbild von Pexels.

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