(English version below) Manchmal läuft einfach alles schief. Der vergangene Freitag war wohl für die britische Progressive-Rock-Band Arcane Roots einer dieser Tage, an denen irgendwie nichts so funktionieren will, wie man es sich vorstellt. Eigentlich versprach der Tag so viel. Man sollte in einem ausverkauften Kölner Blue Shell die erste Headline-Show unter seinem neuen, letzte Woche erschienenen Album „Melancholia Hymns“ spielen und somit erstmals viel neue Technik einsetzen. Nachdem man nachmittags schon zwei Stunden lang gebraucht hatte, nur um die massive Lichtanlage aufzubauen, die kaum auf die kleine Bühne des Clubs passte, stellte man fest, dass diese gar nicht funktionierte. Mist. Verschob sich deshalb der komplette Aufbau und Soundcheck nach hinten, fand unser ausführliches Interview mit Sänger und Gitarrist Andrew Groves nicht vor, sondern nach dem Konzert statt. Also setzten wir uns mit dem bärtigen Herren bei später Stunde zusammen und quatschten über das neue Album seiner Band. Im ersten Teil unseres großen Interviews behandeln wir vor allem die aktuelle Tour und den Sound des neuen Albums.
minutenmusik: Erst einmal vielen Dank, dass du dir so spät noch Zeit für uns nimmst! Ihr habt gerade die erste Show der „Melancholia Hymns“-Tour gespielt. Wie war die Show für dich?
Andrew: Anstrengend und gruselig! Wir nutzen auf dieser Tour sehr viel neue Technik. Wir haben zum Beispiel eine komplett neue Lichtshow gebaut – sie sieht so gut aus und unterstützt den Flow der Show. Heute wäre das erste mal gewesen, dass wir diese genutzt hätten, aber sie wollte einfach nicht funktionieren.
Außerdem ist mir Adams [Adam Burton, Bassist] Ausrüstung auf den Fuß gefallen, der dann nicht zu bluten aufhören wollte. Zum Glück hat das Adrenalin beim Spielen dafür gesorgt, dass ich bis nach der Show keinen Schmerz mehr gefühlt habe. Hinzu kommt noch, dass in den letzten Tagen schon mehrere unserer Vans den Geist aufgegeben haben. Es ist einfach alles schief gelaufen.
Aber egal wo wir hinkommen, tauchen auf einmal diese tollen Menschen und schauen uns beim spielen zu. Vielleicht ist das so eine britische Sache, aber wir wollen die Leute einfach nicht enttäuschen. Wir wollen nur eine gute Show spielen. Ich sehe dann die Gesichter der Menschen, die ich auf vergangenen Tourneen schon getroffen habe, sehe wie sie lächeln und mitsingen. Das ist so schön! Deshalb gibt es so etwas wie eine schlechte Show bei uns nicht. Selbst wenn wir über etwas verärgert sind – und heute waren wir sehr verärgert – wendet sich immer alles zum guten.
minutenmusik: Ich erinnere mich noch an euer Konzert auf dem „Rock Im Revier“ vor einigen Jahren, bei dem ihr eigentlich keine Zeit zum soundchecken hattet, weil Limp Bizkit mit ihrem maßlos überzogen haben. Als ihr eigentlich hättet anfangen sollen, wart ihr noch am aufbauen, weshalb ihr dann nur für vier Songs Zeit hattet. Das war aber trotzdem ein tolles Set und ihr habt alles gegeben, was ihr unter den Umständen geben konntet.
Andrew: Ja, ich hatte trotzdem eine tolle Zeit! Wir hatten gut 40 Minuten Energie geplant, hatten dann aber nur 20. Dann musst du halt das doppelte in der Zeit geben! (lacht)
minutenmusik: Kannst du vielleicht einmal für Leute, die heute nicht in Köln sein konnten, erklären, was man so erwarten sollte, wenn man auf eine Show der „Melancholia Hymns“-Tour geht?
Andrew: Das wird sich immer weiter steigern! (lacht) Wir wollten diesmal etwas anderes, theatralischeres machen. Wir wollten etwas von Grund auf konzipieren, anstelle einfach nur Songs zu spielen. Es ist manchmal sehr einfach sich als Jukebox zu fühlen, was sehr verrückt klingt. Man vergisst manchmal, dass man Musik macht and hat das Gefühl man müsse bestimmte Songs immer an bestimmten Stellen im Set spielen. Diesmal wollten wir wirklich alles zusammensäen und zwischen den Dingen kleine Fäden ziehen. Wir wollten schon immer neue Musik schreiben – wir schreiben auch momentan schon wieder neues Zeug – und Platz schaffen, um besondere Dinge geschehen zu lassen. Das heute war nur die Hälfte des Ganzen – leider aber auch alles, was wir arrangieren konnten.
Wir hoffen, dass unsere Live-Show eine immer wachsende Erfahrung werden kann, in der wir neue und auch alte Songs in verschiedenen Weisen präsentieren können. Der Plan ist weiter daran zu arbeiten – auch rückwirkend an den alten Songs. Ich mag die Idee, dass etwas bei jeder Tour, zu der man geht, anders ist. Wenn man einen Song bei der letzten Tour schon gehört hat, kommt man zu der nächsten und wir werden in in einer komplett anderen Art und Weise spielen.
minutenmusik: Das klingt interessant. Lass uns über das neue Album sprechen! Das klingt nämlich sehr anders, als alles was ihr zuvor veröffentlicht habt. Wie ist dieser Sound zustande gekommen? Ich habe gehört, dass du sehr viel mit Synthesizern und Keyboards experimentiert hast.
Andrew: Ich liebe Synthesizer, seitdem ich 14 bin. Ich musste mein Geld nur immer für Gitarren-, Band-Dinge oder Live-Equipment ausgeben. Das alles ist aber auch ein wenig komisch, weil die Musik für uns ja nicht wirklich neu ist. Für die Fans schießen wir nur alle vier Jahre einen Schnappschuss in Form einer Veröffentlichung von uns. Für sie sieht das dann so aus, als hätten wir uns total verändert. Für uns war das aber ein sehr konstanter Prozess.
Für das Album haben wir versucht zu der Idee, mit der wir die Band gegründet haben, zurückzukehren. Wir wollten etwas anderes machen, etwas interessantes präsentieren und fühlten uns, als können wir etwas geben – eine Sichtweise, die etwas anders als die anderer Bands ist. Ich selber höre gar nicht mehr so viel Rock-Musik. Ich liebe es sie zu spielen und kehre auch ab und an zu ihr zurück, wenn beispielsweise ein Album einer Band, die ich mal viel gehört habe, veröffentlicht wird. An sich habe ich mich aber sehr in Electronica, Klanglandschaften, Soundtracks und klassische Musik verguckt.
Vor einigen Jahren habe ich mir selbst dann endlich mal einen Synthie zum Geburtstag geschenkt – einen Doepfer A-100. Dieses Ding bereitet einem so viel Spaß! Wenn man daran gewöhnt ist an der Gitarre Songs zu schreiben, ist das als lerne man eine neue Sprache. Das ist sehr interessant in solch einer anderen Weise zu denken. Die Gitarre ist ein sehr greifbares Instrument. Beim Schreiben hat man immer eine bestimmtes Ziel im Kopf. Mit einem Synthesizer gibt es so viele verschiedene Wege zu diesem Ziel zu gelangen. Da gibt es so viele verschiedene Straßen, die du wählen kannst.
Für diese Platte haben wir uns darauf konzentriert die Einflüsse, die wir haben, nicht weiterhin stumm zu schalten. Ich hatte nie das Gefühl, dass wir nur eine Rock-Band sind. Wir wollten immer mehr sein. Wir wollten nie das „Beste Rock-Album“ in den Charts sein. Das ist interessant, weil man dann mehr Geld für die Produktion der Live-Show zur Verfügung hat, aber das ist auch das einzige, woran ich da interessiert wäre. Mehr Licht! (lacht)
minutenmusik: Hattest du denn zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel deine Gitarre beiseite zu legen und mehr Synthesizer zu nutzen? Ich meine es gibt einige Lieder auf dem Album, die nur Synthies und keine Gitarren beinhalten…
Andrew: Ja, „Indigo“ ist einer dieser Songs! Auf dem findet man nur Gitarren, weil Chris [Coulter, Produzent des Albums] das so wollte. (lacht) Ich wollte da keine Gitarren. Ich hatte diesen Part in der Bridge (imitiert die Gitarre / den Synthesizer), den ich auf einem Synthesizer gespielt habe. Chris meinte ich würde ja nur den Sound einer Gitarre imitieren. Das stimmte auch, aber ich wollte das eigentlich genau so haben. Also ja, es gibt Parts und Lieder auf „Melancholia Hymns“, die keine Gitarren beinhalten.
„Fireflies“ ist auch so ein Song. Der war auch einer der letzten, die wir geschrieben haben. Ich glaube in dem Song habe ich am besten erreicht zu klingen, wie ich klingen wollte. Ich fühlte mich endlich in der Lage einen Song zu schreiben, der komplett elektronisch ist. Ich war begeistert von dem Fakt, dass es sich um einen „Laptop Song“ handelte.
Ich habe in letzter Zeit auch Klavier und Violine spielen gelernt und mag die Idee dieser physischen, nüchternen Instrumente. Man schlägt eine Saite an und sie vibriert oder man streicht mit einem Bogen über die Saite. Hiermit kann man schön die Art und Weise, wie man denkt und an einen Song herangeht, ändern. Mit dem Klavier kann man viel mit den Akkorden rumspielen und alles in verschiedenen Weisen arrangieren. Das kann man so nicht wirklich auf einer Gitarre tun. Das ist also auch eine interessante Sache, um mit Songs zu experimentieren.
Wenn Groves über seinen Synthesizer spricht, glänzen seine Augen wie die eines kleinen Kindes, was gerade sein lang erwartetes Weihnachtsgeschenk auspackt. Ähnlich ist das auch, wenn er über das neue Album seiner Band spricht. Kein Wunder, beide Dinge sind ja auch irgendwie seine Babys. Im Verlauf des Gespräches klärt uns der sympathische Sänger noch über die größten Einflüsse für “Melancholia Hymns” auf, spricht mit uns über Schneetage, schlechte Rezensionen und den großen Plan, der das Album umgibt.
Hier geht es zu Teil zwei.
Hier zu Teil drei.
Und so hört sich das an:
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Arcane Roots live 2017:
24.09. – Hannover, Lux
26.09. – Berlin, Musik & Frieden
27.09. – München, Orange House
28.09. – Salzburg, Rockhouse Bar (AT)
30.09. – Milan, Rock in the Park @ Legend Club (IT)
01.10. – Baden, Werk (CH)
03.10. – Paris, Etoile (F)
English version:
minutenmusik: First of all: Thank you very much for taking your time! You just played the first headline show of the “Melancholia Hymns“-tour, the tour, which promotes your new album “Melancholia Hymns“, at the Blue Shell in Cologne. How was that show for you?
Andrew: Stressful and scary! We are running lots of new systems this tour. We were building this light show – it looks so good and we were working really hard on making it flow and were hoping that today would be the first time for people to see it, but it just did not work.
I also dropped Adam’s [Adam Burton, Bassist] rig on my foot and it does not stop bleeding. But luckily the flow of adrenalin when playing made me forget it is there until later. In addition to that the Vans have exploded and everything has gone wrong.
But then no matter where we go these lovely people come and watch us play. Maybe it is a British thing, but we feel like we cannot let you down. All our afford is to play a good show for you. I recognize peoples faces, I have seen before, they are smiling and singing along, that is so nice. So, we do not really have a bad show. Even if we are annoyed about something – and we were really annoyed today – it will turn out fine.
minutenmusik: I remember your show at “Rock Im Revier“ a few years ago. You had literally no time for soundcheck, because Limb Bizkit soundchecked way to long. So you were not ready to play on stage time and had only time for 4 songs. But it was a great set and you gave everything you had!
Andrew: Yeah, I had a great time! We were planing a good 40 minutes of energy, but only had like 20. Then you just give the double in that time. (laughs)
minutenmusik: For people, who were not at the show today: What can you expect, if you are planing on going to a show of the “Melancholia Hymns“-tour?
Andrew: An every increasing amount of things! (laughs) We wanted to do something a little different and more theatrical. We wanted to design something from the ground up, rather than just play songs. It sometimes quite easy feels like we are a jukebox, which is a very stupid thing. You kind of forget, that you are playing music and feel like you need to play particular songs in particular spots. This time we really wanted to sow everything together and make this little thread between them. We always wanted to write new music – we are already writing new music – and make this little spaces for things to happen. So that was only half of it today. It was all we could fit in.
We are hoping that it [the live show] can be this ever growing experience, in which we can present new songs and also the old songs in different ways. The plan is to keep working – backwards as well! Going to the old songs and playing around with them. I like the idea, that on every tour you go on, it is a different thing. When you heard a song a particular way the last tour, you come to the next one and we will do it in a completely different way.
minutenmusik: Sounds great. Lets talk about the album! Obviously it is quite different than your previous releases. So, how did this sound develop? I heard you experimented a lot with synthesizers and keyboards.
Andrew: I loved them since I was 14. I just always had to spend my money on guitar and band stuff and live things, so I had no money and time for that. It is kind of strange, because for us it is not really new. For our fans we only take a picture of ourselves every four years or something. For them it looks like we changed so much. But for us it has been so constant.
The record was more about embracing or returning to the idea, that we startet the band with. We wanted to do something different, to present something interesting and felt like we had something to give – an angle, that was slightly different. I do not listen to that much rock music. I love playing it and still revisit the music, that I loved. For example when a new album by a band I used to listen to is being release. But I’ve fallen in love with electronica, soundscapes, soundtracks and classical music.
I some years ago finally bought myself a synth for my birthday, a Doepfer A-100, and I started spending money on it. It is so fun! When you are used to writing it is like learning a new language. It is really interesting to think in a different way. A guitar is quite a physical instrument. You always have a destination in mind. With the synth you have so many different ways in order to get there. There are so many different avenues you can take. I really enjoy it.
This record really was about not turning off all these influences we had. I never felt like we were just a rock band. We always wanted to do more. We never wanted to be the „best rock album“ in the charts. It is fun for the idea of getting more money to spend on production, but that is the only thing I would be interested in. More light! (laughs)
minutenmusik: Was there at any point doubt of putting aside your guitar and using more synth for parts or songs? I think there are some songs on the album which only feature synths and no guitar…
Andrew: Yeah. “Indigo“ is one of those songs. On this song there is only guitar, because Chris [Coulter, Producer of the album] said so. (laughs) I did not want them on there. I had that part in the bridge (imitates the guitar / synth), which I played on a synth. He was like: “You are just copying the sound of a guitar!“ and I knew he was right, but just did not wanna do it. So yeah, there are parts and songs on there, which do not feature guitars.
“Fireflies“ is another one. It was one of the last ones to be written. It felt like in this song I achieved the most in finding the sound I was after. I felt like I finally was ready to write a song, that was purely electronic. I was keen, that this song was just a “laptop song“.
I also been learning the piano and the violin and like this idea of these physical, literal instruments, as you are hitting a string and it is vibrating or putting a bow over the string. It is kind of fun. This all is a nice way to change the way you think and approach a song. With a piano you can do so much with the chords and can arrange them in such a different way. You cannot really do that on a guitar. That is a fun thing to play around.
Second part of our interview with Arcane Roots.
Third part of our interview with Andrew.
Foto von Carla Mundi.
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