Tom Morello – The Atlas Underground

Nur wenige Gitarrist*innen erkennt man auch als Laie unverzüglich an der einzigartigen Spielweise. Dazu gehören wohl Santana, Slash und eben Tom Morello. Mit Rage Against The Machine, der erfolgreichsten Crossover-Band aller Zeiten, sprengte er in den 90er Jahren alle Genre-Ketten und erschuf Hymnen für die Ewigkeit. Im Zusammenspiel mit Rapper Zach De La Rocha hauchte Morello dem festgefahrenen Rock-Genre neue Lebenskraft ein. Seine Gitarre kreist dabei um alle Alben herum, sie ist hoch, schrill, elektronisch, einzigartig. Erst letztes Jahr veröffentlicht Morello mit dem Supergroup-Kollektiv Prophets of Rage ein Album, das aus den Fußstapfen der Vorgänger-Band heraus Gesellschaftskritik übt. Nun möchte Morello aber auch mal wieder solo arbeiten und versammelt ähnlich wie auch Slash auf seinem Solo-Debüt namhafte Künstler*innen aus diversen Genre. Und wenn einer der größten Musiker*innen aller Zeiten ruft, kommen natürlich alle. Erneut lässt Morello dabei alle Genre-Grenzen außer acht, die Gäste-Liste spannt von Hip-Hop über Folk zu Pop und Punk. Ob das ähnlich gut greift wie die legendäre Band in den 90ern?

Im Opener “Battle Sirens” treffen zunächst Gitarren auf riesige Beats – was irgendwie sehr merkwürdig klingt. Wieder und wieder bauen sich Morellos Gitarren Schicht auf Schicht übereinander, bis sie in einem alles umspannenden Beat-Monstrum untergehen. Feature-Gast ist das Dubstep-Duo Knife Party, ein bisschen verwirrt der Track aber doch – denn Morello geht gegen die Beats doch ziemlich unter. Im folgenden “Rabbit’s Revenge” bekommt Morello Unterstützung von DJ Bassnectar, Rapper Big Boi von OutKast und seinem Kollegen Killer Mike. Ähnlich wie die Liste vermuten lässt werden hier elektronische Töne mit Old School Hip-Hop verbunden, was dem Crossover, den man erwartet hat, viel näher kommt. Erneut fragt man sich jedoch, wo genau Morello da bleibt. Und auch der dritte Song schlägt wieder in eine gänzlich andere Richtung: “Every Step That I Take” entstand mit Portugal.The Man und DJ Whethan– und genau so klingt er tatsächlich auch. Anstelle von Old School Crossover erwartet einen hier ein moderner Indie-Charts-Song, bei dem Morello sich in der letzten Strophe ein kleines Solo rausnimmt. Mit Vic Mensa gerät Morello in “We Don’t Need You” dann wieder auf die bekannten Crossover-Wege, bis dann in “Find Another Way” auf einmal Marcus Mumford in den großen Musikkessel geworfen wird. Ja, auch der unglaublich erfolgreiche Folk-Sänger wollte mitmischen. Dafür bekommt er nun einen absolut verramschten Song, der Beats mit Gitarre und Folk-Atmosphäre mischen möchte und dabei nichts von alldem so wirklich hinbekommt. Normalerweise hätte man wohl nicht damit gerechnet, dass die beiden Musiker diesen Song nötig hätten, aber irgendwas werden sie sich wohl dabei gedacht haben. Und auch der nächste große Sänger weiß nicht recht wohin. Tim McIlrath von Rise Against durfte bei “How Long” seinen Gesang beisteuern. So zornig hat man den Sänger lange nicht gehört, sogar geschrieen wird hier! Dazu bekommt er aber zugleich eine extrem anstrengende Techno-Beats-Wand an die Seite gestellt, die sich parallel zu seinem Zorn aufbaut. Das hat zumindest etwas und lässt aufhorchen. Und dann – endlich! Die Glanzstunde von Morello hat geschlagen. In “Lucky One” mit K. Flay hören wir die gewohnten Riffs, die gniedelige Gitarre, die elektronische Verzerrung – Morello ist in seinem Element und haut einfach mal einen riesigen Song raus. Warum nicht gleich so?

Morello will aber auch gar nichts unversucht lassen und stürzt sich mit Electro-Produzent Pretty Lights in sein sehr verkopftes Experiment, in dem Morellos Gitarre nicht mehr von den elektronischen Beats zu unterscheiden ist. Gemeinsam mit dem Multi-Instrumentalisten Carl Restivo stapft Morello schnurstracks in den nächsten Instrumental-Song, bei dem die Gitarren endlich wieder im Mittelpunkt stehen. Lange hält das aber nicht an, gleich im nächsten Schritt geht’s mit Hilfe von Bluessänger Gary Clark Jr und Produzent Nico Stadi ins nächste Experiment – eine rauchige Stimme, die nun wirklich gut zum Blues passt, wird in die Welten von knallenden Dubstep-Beats gehüllt. Hier kommt es wiederholt zum krassen Turn Up, was Electro-Fremde wohl ziemlich abschrecken könnte. Kaum hat man es sich versehen, übernimmt auch schon Rapperin Leikeli47 das Mikro. Plötzlich wird es ganz modern – im positiven Sinne. So könnten Rage Against the Machine 2018 klingen – Morellos Riffs und Beats untermalen jeden der zornig rausgespuckten Wörter der Sängerin mit Nachdruck. Das harmoniert ganz wunderbar und macht Lust auf den letzten Song. Und auch der zündet! Mit Wu-Tang Clan Mitgliedern GZA und RZA und dem Bass-Produzenten Herobust geht es im Old School Gewand gegen Polizei-Gewalt, auch Morello darf hier seinen Platz einräumen. Geht ins Ohr und macht ordentlich Druck für wichtige Messages!

Damit hinterlässt Morello uns also ein Album, das genau so viele Fragen hinterlässt wie das geflügelte Nilpferd auf dem Cover. Was genau möchte Morello uns nun damit sagen? Viele Experimente, einige mehr, andere weniger geglückt, kein wirklich roter Faden und das Merkwürdigste – über weite Strecken bleibt Morello nahezu unerkannt! Auch wenn Morello viele sehr anerkannte und grandiose Musiker*innen um sich versammelt, bedeutet das hier leider nicht, dass auch die Qualität proportional zur Bekanntheit wächst – etwas weniger hätte es auch getan. Dennoch, einige tolle Tracks hat Morello zustande gebracht. Die Frage bleibt jedoch, welche Zielgruppe Morello mit diesem Album ansprechen möchte – denn fast jeder Track scheint auf sich allein gestellt zu sein.

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