Wicca Phase Springs Eternal – Suffer On

Wicca Phase Springs Eternal - Suffer On

Kaum ein Genre hat in der Vergangenheit einen derart umfassenden Wandel vollzogen wie Emo. Von den Anfangstagen im Post-Hardcore, über den melancholiegetränkten Math- und Indie-Rock der späten 90er-Jahre, hin zu der Modeerscheinung mit ins Gesicht frisierten Haaren und Eyeliner verschmierten Augen in den frühen 2000ern trieb sich die Musikrichtung mal voll im Trend umher, mal eher komplett an diesem vorbei. Seit einigen Jahren erobert der berühmt-berüchtigte Genre-Ableger nun auch einen bislang noch unerforschten, auf den ersten Blick eher fremden Musikbereich: Den Hip-Hop.

Vor allem in Amerika erfreut sich dieser neue Strang des Rap höchster Beliebtheit. Mit Crews wie den Suicideboys oder der Gothboiclique widmen sich dort vor allem junge Musikfans den düsteren Abgründen des Lebens zu. Die Texte handeln von Drogen, Selbstmordgedanken, der Liebe. Während sich der Mainstream um Selbstbeweihräucherung und Kokain kümmert, bringen hier junge Menschen ihre Seele, ihr gespaltenes Innenleben auf das Papier. Welches Genre eignet sich besser für den Ausdruck unverblümter Emotion als die momentan schnelllebigste Szene der Industrie? So darf Emo also noch einmal einen kleinen Aufschwung erleben – wenn auch in leicht anderer, für Anhänger der alten Spielart ungewohnten Form.

Der junge Herr, um den sich dieser Text dreht, steht gleich in doppelter Beziehung zu dem einst populären Genre. Zum einen tobte er sich als Gründungsmitglied von Tigers Jaw im alten Fahrwasser zwischen Indie und Emo umher, zum anderen war und ist er von Anfang an Teil der Gothboiclique, einem losen New-School-Rap-Künstlerkollektiv, dem bis zu seinem Tod auch die Sperrspitze des Emorap Lil Peep angehörte. Bei Adam McIlwee, wie der Mensch hinter dem Projekt Wicca Phase Springs Eternal mit bürgerlichen Namen heißt, handelt es sich also um einen wahren Emo-Vordenker.

Die Vergangenheit des Musikers lässt schon vermuten, dass es sich bei „Suffer On“ wohl um keine reine Rap-Platte handelt. Rhymes spittet McIlwee tatsächlich gar nicht. Wer Trap-Beats nicht mehr hören kann, dem ist der Sound des Nordamerikaners dann wohl trotzdem zu modern. Die zehn Instrumentals des auf dem Indiependent-Label Run For Cover Records, das auch schon Platten seiner ehemaligen Band Tigers Jaw auf den Markt schmiss, erscheinenden Albums sind mit Akustik- und E-Gitarren, sowie vielen E-Bässen zu großen Teilen zwar sehr analog produziert, werden in den meisten Fällen jedoch von knalligen Bass-Drums, holpernden Hi-Hat-Schlägen und elektronischen Snare-Samples unterlegt. Ab und an widmet sich Wicca Phase Springs Eternal auch synthesizerlastigeren Grundkonstrukten, die nicht selten skizzenhafter und repetitiver daherkommen.

Über dieses nicht grundlegend innovative, aber stringent durchgezogene, sehr homogene Soundkonstrukt, setzt McIlwee seine stets gesungenen, mit viel Schmerz und Teenage-Angst vorgetragenen Zeilen. Der 28-jährige singt von der Panik vor der Einsamkeit („To think that I’m alone is like my worst fear.“), von der eigenen Zurückhaltung in sozialen Kontexten („I’m afraid to make contact.“), von einer durch Depression und Angstzustände auf den Prüfstand gestellten Beziehung („I try to bring it up, but I can’t speak.“). Diese Verknüpfung von ungeschönter Trauer und Negativität mit hoher Melodiedichte verkörpert genau das, wofür Emo-Jünger das Genre seit Jahrzehnten schätzen.

Wicca Phase Springs Eternal legt mit „Suffer On“ ein Album vor, das nicht nur komplett in Eigenregie entstand und bereits dadurch beeindruckt, sondern das Genre Emo in einen gänzlich neuen Kontext rückt und damit dazu beiträgt, dass einem eingestaubten Schmöcker wieder die Spannung und Aufmerksamkeit zukommt, die er einst einheimsen konnte. Im Gegensatz zu anderen Vertretern diese relativ neuen Stilrichtung scheinen die Einflüsse der alten Helden hier noch deutlicher durch und machen die Musik des Amerikaners dadurch auch für viele Leute interessant, denen der moderne Hip-Hop-Sound normalerweise zu digital und homogen ist. Lang lebe der Emo.

Das Album “Suffer On” kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

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Die Rechte für das Cover liegen bei Run For Cover Records.

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